2002,  Antifa Spaziergang,  Antifaschismus,  Ausschreitungen,  Repression,  Sprays

3. Antifaschistischer Abendspaziergang

Inhalt:
1. Medienberichte
2. Medienberichte Kontrollkommission Polizei


1. Medienbericht (Originalquelle: https://www.antifa.ch/spaziergang-mit-sprayereien/, https://www.antifa.ch/friedlicher-anfang-trauriges-ende/ & https://www.antifa.ch/diskussion-im-rat-beantragt/)
-Der Bund: «Spaziergang» mit Sprayereien
BERN / Zum dritten Mal fand am Samstagabend ein so genannter «antifaschistischer Abendspaziergang» durch die Berner Altstadt mit rund 2000 Teilnehmern statt. Dabei kam es zu massiven Sachbeschädigungen und zu Zusammenstössen mit der Polizei.

Sprayereien an Schaufenstern, Fassaden und Fahrzeugen, 33 Festnahmen, mehrere Verletzte sowie ein geschätzter Sachschaden von über 100’000 Franken – der «3. Antifaschistische Abendspaziergang» hat in der Berner Altstadt breite Spuren hinterlassen. Was von den Organisatoren als lautstarke, aber friedliche Demonstration angekündigt worden war, endete in einer Konfrontation mit der Berner Stadtpolizei.
Grund für das Eingreifen der Polizei waren mehrere Dutzend Vermummte, die den Schutz der Masse nutzten, um mit Spraydosen Schriftzüge entlang der Wegroute der Demonstranten anzubringen. Dabei wurden vor allem Schaufenster von Boutiquen sowie teure Autos ins Visier genommen. Aber auch die Trams und Busse von BernMobil wurden mit Parolen aller Art verunstaltet. Zwar hatte die Stadtpolizei Bern vorgängig bekannt gegeben, dass für sie die Tatsache, dass die Kundgebung unbewilligt war, noch kein Grund zum Eingreifen sei. Aufgrund der massiven Sachbeschädigungen sah sie sich aber gezwungen, von ihrer erklärten «De-Eskalations-Strategie» abzuweichen und auf Konfrontationskurs mit den Demonstranten zu gehen.
Bei der Nydeggbrücke wurden die Demonstranten zuerst daran gehindert, wie von den Organisatoren geplant durch die Junkerngasse wieder Richtung Bahnhof zu laufen. Anschliessend sperrten die Polizeigrenadiere auch die Gerechtigkeitsgasse, woher der Kundgebungszug gekommen war. Nach fast zweistündigem Abwarten gelang es den Demonstranten schliesslich, diese Sperre zu durchbrechen, worauf es beim Bollwerk in der Nähe des Bahnhofs zu weiteren Zusammenstössen und Festnahmen kam.

Strafrechtliche Konsequenzen
Aufgrund der Ereignisse sprachen die Kundgebungsorganisatoren des «Bündnisses Alle gegen Rechts» davon, dass die Stadtpolizei Bern «ein weiteres Mal ihr Gesicht verloren» habe, und beklagte sich über massive Polizeiübergriffe. Demgegenüber betonte Polizeisprecher Beat Gross die unerwartet hohe Gewalttätigkeit der Linksautonomen. Die 33 festgenommenen Personen müssen laut Gross mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen: «Es wird sicher Anzeigen wegen Sachbeschädigung und Landfriedensbruch geben.»
Uneinig waren sich Polizei und Linksautonome nicht nur bei der Beurteilung der Ereignisse, sonder auch bei der Anzahl der Teilnehmer am antifaschistischen Abendspaziergang. Während die Stadtpolizei Bern von rund 1600 Personen ausgeht, sprachen die Autonomen von über 3000 Demonstranten.

-BernerZeitung: Friedlicher Anfang, trauriges Ende
Die Botschaft des antifaschistischen Spaziergangs ging in Sachbeschädigungen, Tränengas und Gummischrothagel unter. Von den rund 2000 Demonstranten wurden 33 von der Polizei abgeführt.
«Laut, kraftvoll und selbstdiszipliniert» sollte der Antifaschistische Abendspaziergang werden, zu dem das Bündnis gegen rechts aufgerufen hatte. Und so begann er auch, als sich am Samstag Abend zwischen 1600 und 3000 vorwiegend jugendliche Personen vor der Heiliggeistkirche versammelten, um gegen Faschismus, Sexismus und Kapitalismus zu demonstrieren. Doch schon Minuten, nachdem sich der Zug durch die Spitalgasse Richtung untere Altstadt bewegte, hatte Polizeisprecher Beat Gross «ein ungutes Gefühl». Was die Demo-Organisatoren als friedliche und farbige Kundgebung bezeichneten, war seiner Ansicht nach zu farbig, um toleriert zu werden. Im Schutz der Menge verschmierte nämlich ein regelrechter Sprayertrupp in der Spital-, Markt- und Kramgasse Fassaden, Busse, Trams und private Autos. Geschätzter Sachschaden: 100 000 Franken.

Kontrollen gescheitert
Aus diesem Grund habe sich die Polizei entschieden, «den Saubannerzug» zu stoppen, wie Gemeinderat Kurt Wasserfallen gestern auf Anfrage erklärte. «Ich ordnete an, die Teilnehmer der unbewilligten Demonstration anzuhalten, zu kontrollieren und auf Landfriedensbruch zu verzeigen.» In der Gerechtigkeitsgasse kesselten seine Leute den Zug daraufhin ein. Nur der Weg über die Nydeggbrücke blieb – nach erfolgter Personenkontrolle – offen. Doch die Demonstrierenden beharrten auf ihrer Route durch die Junkerngasse und setzten sich auf die Strasse.Die Spannung stieg. Beide Seiten warfen sich Provokationen vor. Schwarz Vermummte standen blau Uniformierten gegenüber. Pflastersteine wurden ausgegraben. Pfiffe gellten, Petarden knallten, und Fäuste flogen, bis plötzlich eine kleine Gruppe von Autonomen die Polizeisperre überrannte und in die Junkerngasse stürmte. Wohl zehn Mal feuerten die Polizeigrenadiere mit Gummischrot gegen die Angreifer und drängten sie mit dem Wasserwerfer und mit Einsatz von Tränengas zurück. Vierzehn Personen wurden festgenommen. Und noch während sie abgeführt wurden, stürmten erneut Vermummte gegen die Junkerngasse. Einer von ihnen geriet dabei unter den heranfahrenden Wasserwerfer. Wie durch ein Wunder blieb er unverletzt.

Polizeisperren überrannt
Während sich wenige Militante diese Scharmützel mit der Polizei lieferten, blieb das Gros der Kundgebungsteilnehmer friedlich. Die Jugendlichen sassen auf der Strasse oder an den Tischen von Gartenwirtschaften und warteten, während polizeiintern offenbar heftig über das weitere Vorgehen diskutiert wurde. Die Entscheidung wurde ihnen abgenommen. Als sich die Kundgebung um elf Uhr aufzulösen begann, riefen die Organisatoren nämlich dazu auf, gemeinsam den Rückweg Richtung Bahnhof anzutreten. Und so durchbrach die Menge unbeeindruckt von Gummischrot und Reizgas die Polizeisperre bei der Kreuzgasse und bewegte sich – spazierend – zur Heiliggeistkirche, wo sie sich auflöste. Trotzdem kam es im Anschluss noch zu einer letzten Auseinandersetzung. Rund hundert Personen, die Richtung Reitschule gingen, wurden von der Polizei im Bollwerk erneut eingekesselt, beschossen und eingenebelt. Dabei wurde eine Frau über dem Auge von einem Gummigeschoss getroffen und musste in Spitalpflege gebracht werden. 19 Personen wurden in die Polizeikaserne am Waisenhaus abgeführt.

«Eine traurige Bilanz»
Erst nach Entlassung der 33 Verhafteten im Verlauf der Nacht beruhigte sich die Lage in der Stadt allmählich.Polizeidirektor Kurt Waserfallen zog nach der bewegten Nacht «eine traurige Bilanz»: Trotz Beteuerungen um eine selbstdisziplinierte Demonstration habe «die Brut aus der Reitschule» einmal mehr «die Stadt terrorisiert». Die Polizei habe versucht, diese Leute ohne Sach- und Personenschäden zur Rechenschaft zu ziehen. Offenbar mit mässigem Erfolg.

-Der Bund: Diskussion im Rat beantragt
ANTIFA / Die Sachbeschädigungen im Rahmen des Antifaschistischen Abendspazierganges und der Einsatz der Polizei geben weiter zu reden. Morgen wohl auch im Stadtrat.

uho. Nach den Scharmützeln während des Antifaschistischen Abendspaziergangs vom letzten Samstag haben sich die Gemüter noch nicht beruhigt. Verschiedene Parteien liessen bereits am Montag verlauten, dass sie in diesem Zusammenhang Vorstösse im Stadtrat planen. Gestern nun hat FDP-Fraktionschef Adrian Haas bei Ratspräsidentin Annemarie Sancar (gb) einen «Antrag zur Diskussion aus aktuellem Ereignis» gestellt. Morgen werden die Mitglieder des Stadtrates also über diesen Antrag abstimmen und – falls er von der Mehrheit angenommen wird – höchstens eine Stunde lang über das Vorgefallene diskutieren.
Zu den Vorfällen hat sich gestern auch «Bern Shopping», die Vereinigung Berner Spezialgeschäfte, geäussert. Sie zeigt sich «bestürzt und empört über den barbarischen Umgang mit dem Welterbe Berner Altstadt durch randalierende Jugendliche» und fordert, die Präsenz der Polizei müsse erhöht werden.

Trotz Empörung über die Randale gilt es, Augenmass zu bewahren
Nun ist genau das geschehen, was nicht hätte passieren dürfen: Der 3. Antifaschistische Abendspaziergang von letztem Samstag hat nicht den zunehmenden Rechtsextremismus ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Von Interesse und Gegenstand allgemeiner Empörung sind stattdessen die massiven Sachbeschädigungen, die von Teilnehmern des Abendspaziergangs in der Innenstadt verübt wurden.

Feindbild Polizei
Den Grund hierfür müssen die Organisatoren des Abendspaziergangs jedoch vorab bei sich selbst suchen. Zwar war es bloss ein kleiner Teil der Demonstranten, der Schaden angerichtet hat. Möglich waren die Vandalenakte aber nur, weil die Randalierer aus der Masse der friedlichen Demonstranten heraus wüten konnten und von den Organisatoren des Abendspaziergangs nicht an ihrem unsinnigen Tun gehindert wurden. Eine «selbstdisziplinierte» Kundgebung solle es werden, liess das organisierende Bündnis «Alle gegen Rechts» im Vorfeld verlauten – und es verzichtete darauf, bei der Polizei um eine Bewilligung für die Demonstration zu ersuchen. In einem Brief an den Chef des Nachrichtendienstes der Stadtpolizei wurde bloss die vorgesehene Marschroute bekannt gegeben – ansonsten wurde die Zusammenarbeit mit der Polizei verweigert. Dieses pubertär anmutende Feindbild Polizei war eine der Voraussetzungen für die gewalttätigen Konfrontationen vom Samstagabend.
Dabei gilt es anzumerken, dass sich die Stadtpolizei bemühte, eine Eskalation zu vermeiden. Der Einsatz der Polizei war lange Zeit zurückhaltend – abgesehen von der letzten Aktion am Bollwerk kurz nach Mitternacht. Dort allerdings fragt sich, ob die Einkesselung der übrigbleibenden rund 100 Demonstranten verhältnismässig war: Die strafrechtliche Verfolgung der 19 Personen, die hier verhaftet wurden, dürfte höchstens symbolische Bedeutung haben. Die Vermutung liegt nahe, dass es in dieser Aktion der Polizei – oder ihrer übergeordneten Behörde – nur noch darum ging, das Gesicht zu wahren, zu zeigen, dass Ausschreitungen dieser Art in Bern nicht geduldet werden.

Übertriebene Aufregung
Damit ist das Thema der politischen Folgen der Ereignisse von letztem Samstag gegeben: Dass nun die bürgerlichen Parteien die juristische Verfolgung der Randalierer fordern, ist angesichts der hohen Sachschäden richtig. Die Aufregung und Empörung gegenüber der antifaschistischen Bewegung ist indes übertrieben, wenn man sie der lauen Bekämpfung des Rechtsextremismus gegenüberstellt: Dass am gleichen Samstag in Klingnau AG zwei Türken von Skinheads mit einem Baseballschläger zusammengeschlagen und verletzt wurden (einer davon lebensgefährlich), sorgte in der öffentlichen Wahrnehmung, in vielen Medien, für wesentlich geringeres Aufsehen als die Schmierereien an Berner Hauswänden. Das gilt auch für die Berichterstattung des «Bund».

Parteien sind gefordert
Kurz: Ob der Aufregung über die Ausschreitungen am 3. Antifaschistischen Abendspaziergang droht das Augenmass verloren zu gehen. Und wenn zum Beispiel Polizeidirektor Wasserfallen von der «Brut in der Reithalle» spricht, tut er wenig für Ruhe und Ordnung in der Stadt – vielmehr heizt er damit den Konflikt an, was weitere Konfrontationen geradezu provoziert.
Angebracht wäre nicht erst seit letztem Samstag, dass auch die bürgerlichen Parteien entschiedener gegen den Rechtsextremismus antreten. Die linken Parteien, die zwar wortreich rechtsextreme Tendenzen kritisieren, wären ihrerseits gut beraten, grundsätzlich begrüssenswerte Aktionen wie zum Beispiel den Antifaschistischen Abendspaziergang nicht allein der Organisation durch jugendliche Heisssporne zu überlassen.

Engagement für Menschenwürde
Schliesslich kommt die antifaschistische Bewegung nicht darum herum, sich von randalierenden Anarchisten zu distanzieren: Antifaschismus ist nicht der Kampf gegen «die Reichen» oder die Staatsgewalt, nicht der Kampf für die Anarchie, sondern ein Engagement gegen rassistische Gewalt, gegen die Ausgrenzung von Menschen fremder Herkunft, für den Rechtsstaat und letztlich für die Menschenwürde.


2. Medienberichte Kontrollkommission Polizei (Originalquelle: https://www.antifa.ch/jetzt-wollen-die-grunen-die-polizei-kontrollieren/, https://www.antifa.ch/beirat-soll-wasserfallens-polizei-auf-finger-schauen/ & https://www.antifa.ch/wasserfallen-will-fruher-durchgreifen/)
-BernerZeitung:
Jetzt wollen die Grünen die Polizei kontrollieren
Die Polizei habe zu viel Spielraum für Willkür, finden Grünes Bündnis und die Grüne Partei. Sie wollen die Polizeiarbeit in Stadt und Kanton kontrollieren lassen. Und zwar von einer Polizei-Fachkommission.

Esther Diener-Morscher
Das Grüne Bündnis (GB) und die Grüne Partei (GPB) wollen der Polizei besser auf die Finger schauen können. Mit einem Vorstoss im Stadtrat fordern sie deshalb eine Polizei-Fachkommission. Diese Kommission soll den Gemeinderat in Polizeifragen beraten und darauf achten, dass die Polizei die Grundrechte einhält.

Anmeldepflicht für Demos
Um diese Grundrechte sorgen sich die Grünen: «Der Polizeieinsatz an der Demo vom 16. März zeigt, wie schnell die Grenzen der Verhältnismässigkeit überschritten werden können», erklärte GB-Stadträtin Annemarie Sancar an einer Medienorientierung. Das Polizeigesetz lasse zu viel Spielraum und lade damit geradezu ein zu willkürlichem Handeln. GPB-Stadtrat Daniele Jenni hätte bereits konkrete Arbeit für eine Polizei-Fachkommission: Sie müsste sich zum Beispiel mit der Wegweisungspraxis der Berner Stadtpolizei befassen, findet er. Die Zahl der Wegweisungen nahm von 339 im Jahr 2000 auf 789 im letzten Jahr zu. «Eine weitere Zunahme dieser ist absehbar», ist Jenni überzeugt. Er sieht Grundrechte wie die Versammlungs- und die Bewegungsfreiheit oder das Willkürverbot gefährdet. Jenni wehrt sich zurzeit auch mit einer Beschwerde gegen den Wegweisungsartikel im Polizeigesetz.Mehr Kontrolle der Polizei wünscht sich Catherine Weber (GB) auch in Sachen Video-überwachung und Demo-Bewilligungen. Videoüberwachungen kämen für die Stadträtin nur mit starken Einschränkungen in Frage. Für Kundgebungen fordert sie, dass die Bewilligungspflicht abgeschafft und durch eine blosse Anmeldepflicht ersetzt wird.Auf Kantonsebene fordert GB-Grossrätin Regula Rytz parallel zur städtischen eine kantonale Polizei-Fachkommission. Diese Kommission müsse neue Prioritäten in der Polizeiarbeit setzen dürfen: Statt rechtlose Sans-Papiers zu jagen, soll die Polizei mehr gegen häusliche Gewalt vorgehen, findet sie.

Schwierige Doppelrolle
Sie gesteht der Polizei zu, dass sie eine «schwierige Doppelrolle» habe. Einerseits müsse sie die Grundrechte schützen, andererseits könne sie diese Rechte mit ihrer Arbeit aber auch einschränken. «Deshalb ist es wichtig», sagte Rytz, «die politischen Kontrollmöglichkeiten auszubauen und sowohl auf städtischer als auch auf kantonaler Ebene eine Polizei-Fachkommission einzurichten.»

-Der Bund: Beirat soll Wasserfallens Polizei auf Finger schauen
POLIZEIPOLITIK / Linksgrüne verlangen in der Stadt wie übrigens auch auf Kantonsebene die Bildung einer Polizei-Fachkommission. Der bürgerliche Polizeidirektor Wasserfallen wehrt das Ansinnen ab.

Der Polizeieinsatz beim «Antifaschistischen Abendspaziergang» vor einer Woche habe einmal mehr gezeigt, «wie schnell die Grenzen der Verhältnismässigkeit überschritten werden können», sagte Annemarie Sancar, GB-Stadträtin und als Stadtratspräsidentin dieses Jahr protokollarisch die höchste Bernerin, gestern vor den Medien. Polizeiliches Handeln sei grundsätzlich heikel, bewege es sich doch in einem «Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit». Die Polizei habe insbesondere die Grundrechte der Menschen zu schützen, doch «kommt es immer wieder zu Situationen, wo diese Rechte auch durch die Polizei verletzt werden». Hinzu komme das revidierte kantonale Polizeigesetz, das «zu willkürlichem Handeln geradezu einlädt», so Sancar, während auf der anderen Seite die Polizeiarbeit selber zu wenig kontrolliert, begleitet werde. Gerade für eine wirksame parlamentarische Kontrolle fehle es an Zeit, Kraft und Fachwissen.

Die Polizei kritisch begleiten
Mit einer Motion, die nächsten Donnerstag im Stadtrat deponiert wird, fordert die linksgrüne Fraktion (Grünes Bündnis, Grüne Partei, Junge Alternative) deshalb die Einsetzung einer «verwaltungsexternen Polizei-Fachkommission», die sich aus Fachleuten der Bereiche Bürger- und Menschenrechte, Polizeipraxis, Staats- und Verwaltungsrecht, aber auch Sozial- und Familienpolitik zusammensetzen soll. Diese soll die Stadtregierung und Parlamentskommissionen in Polizeifragen beraten – um so «das polizeiliche Handeln zu optimieren», etwa wenn es um den Schutz der Grundrechte geht, aber andererseits auch, um bereits «präventiv Fehlentwicklungen zu verhindern», vorab wenn es um polizeilichePrioritätensetzung geht, also etwa um die Frage, wo wann welche Polizeipräsenz angezeigt ist, «gegen Raser oder gegen Kiffer». Die Fachkommission soll die nötigen Mittel und Befugnisse, so insbesondere Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte, erhalten.Sie soll auch Polizeiübergriffe untersuchen können. Aber sie soll ausdrücklich nicht die Ombudsstelle der Stadt konkurrenzieren, ebenso wenig die Rolle der Geschäfts-prüfungskommission (GPK) des Stadtrats, wie GB-Stadträtin Catherine Weber, Vizepräsidentin der GPK und Leiterin der GPK-Polizeidelegation, sagte. Im Übrigen, sagte Weber, gelte es zu bedenken, dass es ja zu vielen Themen besondere Fachkommissionen gebe, im KantonBern seien dies rund 30 – doch ausgerechnet im Polizeibereich, «wo es um die Grundrechte geht», gebe es hierzulande, anders als in anderen Ländern, noch keine. Dies soll sich nach dem Willen der Linksgrünen nun ändern, und zwar nicht bloss in der Stadt Bern, sondern auch auf Kantonsebene, wo GrossrätinRegula Rytz nächste Woche gleichfalls eine Motion für eine Fachkommission einreichen wird. Die Bürgerlichen hätten, so etwa mit der DNA-Profildatenbank, der Polizei «ständig grösseren Ermessensspielraum» gegeben, und für den Vollzug vonAusschaffungen gebe es keine Kriterien für Zwangsmittel, beklagte sie.

GB will Wasserfallen bremsen
Dem GB-Vorstoss im Stadtrat ist indes mehr politische Brisanz beizumessen als Rytz‘ Pendant im Grossen Rat, denn angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse hat die Forderung in der Stadt wesentlich bessere Chancen auf Durchkommen als im bürgerlich dominierten Kanton. Und der GB-Vorstoss imStadtrat ist um so pikanter noch, als es selbstredend natürlich auch darum gehen soll, Polizeidirektor Kurt Wasserfallen, den rechtsfreisinnigen Stachel im rot-grün dominierten Gemeinderat, «in die Schranken zu weisen». Hierin versage die RGM-Mehrheit nämlich völlig, «diese Verantwortung wird massiv zu wenig wahrgenommen», sagte GPB-Stadtrat Daniele Jenni. Die Fachkommission könne als beratende Stelle des Gemeinderats positiv einwirken. Einen konkreten Fall solchen rot-grünen Versagens gegenüber Wasserfallscher Politik ortet Jenni bei den Wegweisungen störender Auffälliger aufgrund Artikel 29 des Polizeigesetzes («Lex Wasserfallen»): Immer mehr Kreise seien davon betroffen, diese Polizeipraxis sei von einer «unkontrollierbaren Dynamik», innert nur eines Jahres sei die Anzahl der Wegweisungen von 340 auf 790 hinaufgeschnellt. Jenni geht jetzt rechtlich vor, um die Wegweisungspraxis zu Fall zu bringen (vgl. «Bund» vom 26. 2.), doch müsse auch politisch reagiert werden, meint er – so mit der Bildung der Fachkommission.

Kurt Wasserfallen gibt zurück
Die geforderte Kommission sei schlicht und einfach «nicht nötig» und würde die Polizeiarbeit allenfalls nur «erschweren», sagte dazu Wasserfallen auf Anfrage. Die heutige parlamentarische und exekutive Kontrolle genüge sehr wohl: «Wenn ich so die Schweiz ansehe, so sind wir wohl dasjenige Land mit der grössten demokratischen Kontrolle über die Polizei.» Und es gebe ja auch noch die Gerichte, die angerufen werden könnten. Und:«Dass beim GB-Vorstoss natürlich auch Misstrauen gegen meine Person mitspielt, ist so, und ich erwarte es auch nicht anders.» Wasserfallen verhehlt seinerseits denn auch nicht, was er umgekehrt von den Linksgrünen hält – nämlich nicht viel: Die GB-Leute habe er am Donnerstag bei der Antifa-Debatte im Stadtrat ganz genau beobachtet – und festgestellt: «Sie haben sich als einzige nicht explizit von Gewalt distanziert.»

-BernerZeitung: Wasserfallen will früher durchgreifen
Wie kann die Polizei präventiv gegen gewaltbereite Demonstranten vorgehen? Wann ist eine Demonstration gewaltbereit? Der städtische Polizeidirektor will diese Fragen juristisch abklären lassen.
Für Andreas Hubacher ist klar: «Die Sprayer am antifaschistischen Abendspaziergang haben weit mehr als die geschätzten 100 000 Franken Schaden verursacht», sagt der Sekretär des Berner Oberstadt-Leists (BOL). Allein das Herrenmodegeschäft PKZ habe einen Schaden von 15 000 bis 20 000 Franken zu beklagen. «Die müssen sogar den Sandstein wegfräsen, um die Schriften zu beseitigen», sagt Hubacher. BOL, Cityverband und Vereinigte Altstadt-Leiste (VAL) legen ihren Mitgliedern nun nahe, massenhaft Strafanzeige gegen unbekannt wegen Sachbeschädigung einzureichen. Der City-Verband hat den Mitgliedern gar vorgedruckte Formulare des Hauseigentümerverbands zur Einreichung von Anzeigen zukommen lassen.

Wie bei Brandbekämpfung
«Ich begrüsse die Anzeigen», sagt Polizeidirektor Kurt Wasserfallen. Auch die in einem Brief an den Gemeinderat erhobene Forderung der Leiste, unbewilligte Demonstrationen künftig «im Ansatz» zu unterbinden, stösst beim Polizeidirektor auf Zustimmung. «Ich bin für präventive Eingriffe», sagt Kurt Wasserfallen. Ob und wie der vorbeugende Polizeieingriff in eine Demonstration möglich ist, will der Polizeidirektor nun durch einen verwaltungsexternen Juristen abklären lassen. «Ich werde in den nächsten Tagen einen Experten mit einem Gutachten beauftragen», sagt Kurt Wasserfallen. Für ihn als Nichtjuristen gebe es «schon gewisse Kriterien», nach denen die Polizei eingreifen könnte, verrät Wasserfallen: «Wenn Demoteilnehmer mit Helmen oder Spraydosen anrücken, so lässt dies auf Gewaltbereitschaft schliessen.» Dabei verhalte es sich ähnlich wie bei der Brandbekämpfung: «Wer eine Ausbreitung verhindern will, muss früh eingreifen», sagt der Direktor für Öffentliche Sicherheit.

Zahnloses Demoreglement
Wasserfallen begründet seine Initiative mit der «Aushebelung» des Reglementes für Kundgebungen auf öffentlichem Grund (KgR) durch die Justiz. Vor drei Jahren hatte das Polizeiinspektorat SP-Präsidentin Christiane Brunner mit einer Busse von 300 Franken belegt, weil sie an einer unbewilligten Demonstration gegen die Ablehnung der Mutterschaftsinitiative teilgenommen hatte. Grund: Bei der Manifestation, die mehr als 24 Stunden nach der Abstimmung erfolgt ist, habe es sich nicht um eine bewilligungsfreie Spontandemo gemäss KgR gehandelt. Brunner erhob Einsprache gegen das Urteil, worauf sie der Richter im Herbst 2000 vom Vorwurf der Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration frei- gesprochen hat. Das Gericht «verurteilte» statt Brunner das Demoreglement der Stadt Bern und bezeichnete es als eine «Ansammlung von Strafnormen ohne Tatbestände». Wasserfallen liess diese Schlappe nicht auf sich sitzen und kündigte damals an, dass er das Demoreglement «neu schreiben» lassen will.Gemäss Presseberichten will der Polizeidirektor diesen Mai eine Revision des Demoreglementes in den Gemeinderat bringen: Sie sieht unter anderem die Streichung der bewilligungsfreien Spontandemo und Strafen für die Teilnahme an unbewilligten Demos vor. «Das Demonstrationsrecht», so Wasserfallen, «hört bei drohenden Ausschreitungen auf.»