2002,  Antifaschismus

Polizeidirektor verharmlost Gaskammern Biel

Inhalt:
1. Medienbericht


1. Medienbericht (Originalquelle: https://www.antifa.ch/jurg-scherrer-provoziert-weiter/, https://www.antifa.ch/scherrer-im-o-ton/, https://www.antifa.ch/strafrechtliches-verfahren-gegen-jurg-scherrer/, https://www.antifa.ch/an-scherrers-stuhl-wird-heftig-geruttelt/, https://www.antifa.ch/scherrer-bedauert/ & https://www.antifa.ch/scherrer-bleibt-fps-prasident/)
-BernerZeitung: Jürg Scherrer provoziert weiter
«Ein Detail in der Geschichte» seien die Gaskammern des Zweiten Weltkriegs, provoziert Biels Polizeidirektor Jürg Scherrer (FPS). Der Untersuchungsrichter hat ein Ermittlungsverfahren eröffnet.

Rémy Kappeler
Der Bieler Polizeidirektor provoziert die Öffentlichkeit ein weiteres Mal mit Aussagen, die in der Grauzone des Antirassismusgesetzes liegen. «Die Gaskammern sind ein Detail der Geschichte», sagte Jürg Scherrer (FPS) am Montagabend in einem Interview mit Radio Suisse Romande (RSR). Diese Aussage wurde bereits vor Jahren in ähnlicher Form geäussert. Der französische Präsidentschaftskandidat des Front National, Jean-Marie Le Pen, löste 1997 einen Sturm der Entrüstung aus. Er sagte an einer Pressekonferenz, die Ermordung der Juden sei «ein Detailpunkt in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges». Die Justiz verurteilte ihn zu einer Geldstrafe.

Scherrer windet sich
Das RSR-Interview sei eine «journalistische Fehlleistung» gewesen, poltert Scherrer. Er habe keine Chance gehabt, auch nur einen Satz beenden zu können und habe die Fragen wegen der Tonqualität schlecht verstanden. Zudem sei das Gespräch in Französisch geführt worden. Der Journalist fragte den Polizeidirektor, ob «die Gaskammern ein Detail der Geschichte» seien. Scherrer rechtfertigt seine Aussage damit, er habe verstanden, ob Gaskammern Teil der Geschichte seien. «Dann habe ich geantwortet:

Verfahren eingeleitet
Auf die Aussagen im Interview hat das Untersuchungsrichteramt Biel-Seeland umgehend reagiert. Untersuchungsrichter Patrick Robert-Nicoud hat gestern von Amtes wegen ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen Scherrer eröffnet. Dieses soll prüfen, ob Scherrers Äusserungen gegen das Antirassismusgesetz verstossen. Der Polizeidirektor reagierte auf die Nachricht gelassen: «Der Untersuchungsrichter hat keine Chance. Ich habe weder den Völkermord noch die Existenz der Gaskammern geleugnet.»Weniger gelassen nimmts Biels Stadtpräsident Hans Stöckli (SP): «Das hat er als Präsident der Freiheits-Partei gesagt. Mit der Stadt Biel hat das nichts zu tun.» Die Aussage sei inakzeptabel. Ob Scherrer als Gemeinderat noch tragbar ist, wollte Stöckli nicht kommentieren.

«Eigenartige Argumente»
«Ich habe Schwierigkeiten mit dem Argument, Gaskammern seien in der Geschichte der Menschheit Details», sagt auch Marcel Niggli, Strafrechtsprofessor an der Universität Freiburg. Da müsse Scherrer schon genauer defininieren, was ein Detail sei. «Von der Allgemeinheit wird darunter etwas nicht Bedeutsames verstanden», so Niggli. Und das seien Gaskammern niemals: «Kein einziger Völkermord wird je vergessen.»Erst vor zwei Monaten sorgte Jürg Scherrer für Aufsehen. Der Bieler Einzelrichter sprach ihn vom Vorwurf der Rassendiskriminierung frei: Seine Äusserungen nach tätlichen Angriffen auf Rekruten hätten sich nicht gegen eine bestimmte Rasse oder Ethnie gerichtet. Scherrer sagte damals, er werde nichts an seiner Art ändern, sich zu äussern.

-BernerZeitung: Scherrer im O-Ton
Frage: Löst der Begriff «Durafour-Krematorium» in Ihnen
Im Interview mit dem Westschweizer Radio (RSR) hat sich der Bieler Polizeidirektor Jürg Scherrer (FPS) juristisch aufs Glatteis begeben. Nachfolgend ein Auszug aus dem Gespräch:
…eine Reaktion aus, Herr Scherrer?
Scherrer: Nein, das löst in mir keine Reaktion aus, weil ich 1947 geboren bin, das heisst nach dem Zweiten Weltkrieg.
Frage: Aber man kann von Zeit zu Zeit Geschichtsbücher lesen.
Scherrer: Ja, bestimmt, und man kann ihnen vertrauen oder nicht. Aber ich werde zu dieser Frage keine Stellung nehmen, weil ich kein Historiker bin.
Frage: Aber Sie würden trotzdem nicht sagen, dass das ein Detail der Geschichte ist? … die Gaskammern?
Scherrer: Das ist ein Detail der Geschichte, das ist ganz klar, aber es hat auch andere Völkermorde gegeben.
Frage: Sind die Gaskam- mern für Sie ein Detail der Geschichte?
Scherrer: Ja, absolut.

-Der Bund: Strafrechtliches Verfahren gegen Jürg Scherrer
BIEL / Äusserungen des Bieler Polizeidirektors beschäftigen das Gericht. Er selber ist kleinlaut und sieht sich als Opfer.
bel. Die Aussage, «der Holocaust ist ein Detail der Geschichte», die der Bieler Sicherheits-, Energie- und Verkehrsdirektor und Präsident der Freiheitspartei Schweiz Jürg Scherrer in einer Sendung des Westschweizer Radios gemacht hat, veranlasste den Bieler Untersuchungsrichter Patrick Robert-Nicoud, ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen Scherrer zu eröffnen. Einmal mehr steht er unter dem Verdacht, die Rassismus-Strafnorm verletzt zu haben. Anders als in früheren Fällen, wo sich Scherrer erklärtermassen absichtlich «hart am Rand des Straftatbestands» geäussert hat, behauptet er diesmal, er sei vom Journalisten in eine Falle gelockt worden. Er habe «in einer chaotischen Sendung» nur wiederholt und bestätigt, was der Journalist gesagt habe.
Als «extrem unglücklich» bezeichnet der Freiburger Rechtsprofessor Marcel Niggli Scherrers Äusserungen, denn ein Völkermord können nie ein Detail sein. Niggli und der Präsident der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Georg Kreis, plädieren vehement dafür, dass zu solchen Äusserungen von Politikern nicht verschämt geschwiegen werde, sondern dass eine öffentliche Diskussion und eine Verurteilung durch die Gesellschaft stattfinde.

Jürg Scherrer einmal mehr im Zwielicht
BIEL / Äusserungen von Polizeidirektor Jürg Scherrer zum Holocaust im Westschweizer Radio sorgen für Aufregung: Ein polizeiliches Ermittlungsverfahren läuft. Auf die Frage, ob die Medien Politikern trotz Aussagen, die möglicherweise unter die Rassismus-Strafnorm fallen, eine Plattform bieten dürfen, sagen die Experten Ja.

Einmal mehr wird gegen Jürg Scherrer ermittelt. (Vch) Knapp zweieinhalb Monate sind vergangen, seit Jürg Scherrer wegen des Vorwurfs, die Antirassismus-Strafnorm verletzt zu haben, vor Gericht stand. Nun haben die Bieler Gerichtsbehörden erneut ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet. Scherrer, Bieler Sicherheits-, Energie und Verkehrsdirektor sowie Präsident der Freiheitspartei Schweiz (FPS), wurden diesmal seine Äusserungen in der Diskussionssendung «Forum» von Radio Suisse Romande am Dienstagabend zum Verhängnis.
Thema der Sendung waren die Wahlen in Frankreich und das Phänomen Le Pen. Scherrer, der in die Sendung telefonisch zugeschaltet wurde, hat, wie verschiedene Medien berichteten, die Gaskammern im zweiten Weltkrieg als «ein Detail in der Geschichte» bezeichnet. Diese Äusserung veranlasste den Bieler Untersuchungsrichter Patrick Robert-Nicoud zu prüfen, ob hier ein Straftatbestand vorliegt.

Mehrmals verklagt
Die eingangs erwähnte Klage gegen Scherrer er wurde im Februar freigesprochen war nicht das erste Gerichtsverfahren wegen Widerhandlungen gegen das Antirassismus-Gesetz, das gegen ihn während seiner politischen Karriere eingeleitet wurde. Im Anschluss an eine Diskussion in der «Arena» von SFDRS wurde Scherrer 1995, damals noch Nationalrat, schon einmal eingeklagt, weil er erklärte, Tamilen und Jugoslawen könnten nicht mit Bielern oder Zürchern verglichen werden, denn sie seien bedeutend krimineller. Zu einem Urteil kam es damals nicht, weil die Rechtskommission des Nationalrats die Aufhebung der parlamentarischen Immunität ablehnte.
In der «Chronologie der rassistischen Vorfälle in der Schweiz» wird auch Scherrers Äusserung bezüglich einer Gruppe französischer Roma erwähnt. Er weigerte sich im September 2000, den Fahrenden in Biel einen Platz zur Verfügung zu stellen, und erklärte gegenüber den Medien: «Die sollen zur Stadt raus, denn wir wissen ja, wie sich Zigeuner verhalten», und er, so Scherrer weiter, wolle «die Zigeuner nicht in Biel haben».

Anders als im Februar, als Scherrer vor Gericht erklärte, «die Anzeige lässt mich kalt, und ich habe mich absichtlich so ausgedrückt, dass meine Äusserungen haarscharf an der Grenze zur rassistischen Hetze liegen», stellt sich Scherrer diesmal als Medienopfer dar. Nicht er, sondern der Moderator der Sendung habe von einem Detail in der Geschichte geredet, und er habe diese Aussage nur wiederholt. Während der Sendung habe ein Riesendurcheinander geherrscht, so dass er nie gewusst habe, ob er nun dran sei oder nicht, erklärte er gegenüber dem «Bund». Zudem sei Französisch nicht seine Muttersprache, «und der Holocaust, da gibt es Beweise, war in der Politik nie mein Thema», sagte Scherrer.

Anprangern oder totschweigen?
Jürg Scherrer steht einmal mehr im Verdacht, die Rassismus-Strafnorm verletzt zu haben. (Valérie Chételat)bel. Angesichts provokativer, laut Antirassismus-Gesetz möglicherweise strafrechtlich relevanter Äusserungen von Politikern wie Jürg Scherrer werden die Medien regelmässig mit dem Vorwurf konfrontiert, durch ihre Berichterstattung böten sie diesen Politikern eine Plattform zur Verbreitung ihrer Ideen. Dies hat gestern auch die Bieler FDP in einem Communiqué kritisiert.

Solche Kritik sei nicht berechtigt, sagt Georg Kreis, Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. «Die Demarkationslinie zwischen dem, was wir dulden und dem, was wir verurteilen, muss immer wieder öffentlich gezogen werden», sagt Kreis. Dies könne jedoch nicht auf einer theoretischen Ebene, sondern nur an konkreten Beispielen geschehen. Zudem müsse die Öffentlichkeit bei Politikern wissen, «wofür sie sind».
Solche Äusserungen dürfe man sicher nicht totschweigen, denn sie seien ein wichtiger Teil des politischen Diskurses, sagt auch Peter Studer, Präsident des Presserates. «Insbesondere die Wählerschaft in der engeren Umgebung muss wissen, was Politiker denken. Also gehört es zur Pflicht der Journalisten, solche Äusserungen öffentlich zu machen und den gesellschaftlich notwendigen Diskurs zu ermöglichen.» Dies gelte auch für Äusserungen, die strafrechtlich nicht relevant seien.

Vehement für die Veröffentlichung solcher Äusserung plädiert auch Marcel Niggli, Rechtsprofessor an der Universität Freiburg. Dabei verweist er auf die Art und Weise, wie das Strafrecht funktioniere. «Es sind nicht in erster Linie strafrechtliche Sanktionen, welche die Täter von ihrem Tun abhalten, sondern die informelle Sozialkontrolle», sagt Niggli. Das Strafrecht sei eine Symbolisierung der allgemeinen Werte und deshalb müsse die Gesellschaft sagen: «Das wollen wir nicht.» Dies könne sie aber nur, wenn sie über das strafrechtliche Vorgehen informiert sei. Gerade bei der Rassismus-Strafnorm zeige sich dies deutlich. «Durch dieses Gesetz ist etwas als strafbar erklärt worden, was einst nur unanständig war, und seither wird viel intensiver über solche Vorfälle diskutiert», sagt Niggli.
Scherrers Äusserungen bezeichnet Niggli als «extrem unglücklich, denn kein Völkermord ist ein Detail». Der Untersuchungsrichter habe hier sicher ein Verfahren eröffnen müssen «und er wird den Fall besser auch überweisen». Immerhin zeige sich in diesem Fall nun, «dass sich die Gerichte verantwortlich fühlen und funktionieren».

-Der Bund: An Scherrers Stuhl wird heftig gerüttelt
BIEL / Sein Ausspruch, die Gaskammern der Nazis seien «ein Detail der Geschichte», bringt Gemeinderat Jürg Scherrer (fps) arg in Bedrängnis. Markige Worte am Rande der Legalität waren allerdings schon immer ein Markenzeichen des Bieler Sicherheitsdirektors, der trotz magerem Leistungsausweis bisher fest im Sattel sass.
Jürg Scherrer war schon immer und dies mag die Erklärung für seine steile Karriere sein ein Vollblutpolitiker, wie sie in diesem Land eher rar sind. Im verbalen Schlagabtausch mit dem Gegner läuft er zur Hochform auf, wie sich etwa in zahlreichen «Arena»-Sendungen in den Neunzigerjahren zeigte: Während seine Kontrahenten nach politisch korrekten Ausdrücken suchten, benutzte Scherrer eine Sprache, die seine potenziellen Wähler verstehen.

Scherrer der Polemiker: Da ist schon mal vom «Ausländerpack einer gewissen Herkunft» die Rede gemeint waren aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien eingereiste Jugendliche. Oder von einer «erpresserischen Bevölkerungsschicht» eine im Zusammenhang unmissverständliche Umschreibung für Angehörige des jüdischen Glaubens. Differenziert denkenden Menschen mögen dabei die Haare zu Berg stehen. Und manch einer hat schon versucht, Scherrer via Gerichtsbeschluss zu stoppen. Vergeblich der umstrittene Rechtsaussen umschiffte die für ihn gefährlichen Klippen des Antirassismusgesetzes bisher erfolgreich.
Dass Scherrer trotz ständigem Kokettieren mit rassistischem Gedankengut nie als Rassist verurteilt wurde, liegt auch daran, dass er das erwähnte Gesetz und dessen Lücken gut kennt. Umso mehr erstaunt deshalb, dass er nun ausgerechnet mit seiner Aussage über die Gaskammern der Nazis eine Grenze überschritten haben soll, jenseits derer eine Fortsetzung seiner politischen Karriere kaum vorstellbar ist. Die Gaskammern seien «ein Detail der Geschichte», sagte er am Montag im Westschweizer Radio. Nun ermittelt die Justiz.

Opfer statt Täter?
Ob Scherrer wirklich meinte, was er sagte, oder ob er sich in der Fremdsprache Französisch nur falsch ausdrückte, wird der Untersuchungsrichter klären müssen. Tatsache ist, dass der Präsident der Freiheitspartei Schweiz, der ausserhalb von Biel immer seltener Beachtung findet, seither den Medien des ganzen Landes zu erklären versucht, dass er Opfer eines sprachlichen Missverständnisses geworden sei. Während ihm seine Bieler Parteikollegen nach einer Aussprache das Vertrauen ausgesprochen haben, hat Scherrer beim politischen Gegner einen schweren Stand. Zuerst distanzierte sich die Bieler FDP «mit aller Deutlichkeit» von dessen Aussage und forderte den Gesamtgemeinderat auf, das Gleiche zu tun. Am 1.-Mai-Umzug in Biel verlangte Gewerkschaftssekretär Corrado Pardini Scherrers Rücktritt. Dann wandte sich die SP an die Medien, verurteilte Scherrers Worte ebenfalls und kündigte an, alles daran zu setzen, «der Politik der extremen Rechten mit offenen und gerechten politischen Konzepten entgegenzutreten». Und auch die reformierten Kirchgemeinden der Stadt erklärten sich «schockiert» und äusserten ihr Bedauern, dass ein Mitglied der Stadtregierung wenige Tage vor Eröffnung der Expo.02 das «Image der Offenheit und des Respekts» beeinträchtige, das die Stadt so gerne als ihr Aushängeschild sähe. SP-Grossrätin Evi Allemann wurde in einer Zuschrift noch deutlicher: «Scherrer schadet dem Image der Stadt Biel und dem Expo.02-Kanton Bern!»

Entnervter Stadtpräsident
Scherrers Gaskammer-Ausspruch ist Stadtgespräch und Biels Ruf in Gefahr da erwartet man ein klärendes Wort des Stadtpräsidenten. Doch ein entnervter Hans Stöckli (sp) will zuerst gar nichts sagen und dann immerhin dies: Unverständlich und unglaublich sei Scherrers Aussage. Doch sei sie dessen Privatangelegenheit, die er als «Präsident einer serbelnden Partei, die öffentliche Aufmerksamkeit sucht», gemacht habe. Man hätte sich lieber aufgeregt, als Scherrer vor einigen Jahren zum zweiten Mal das Parteipräsidium übernahm, sagt Stöckli. Denn damit seien Debatten wie die jetzige vorgezeichnet gewesen. Für Rücktrittsforderungen zeigt er kein Verständnis: «Jürg Scherrer wurde dreimal vom Volk gewählt.» Und als Gemeinderat führe er seine Geschäfte korrekt.

In der Tat hat sich der ehemalige Baudirektor und heutige Vorsteher der Sicherheits-, Energie- und Verkehrsdirektion (SEV) Jürg Scherrer im Amt nichts zuschulden kommen lassen. Allerdings hat er auch keine grossen Stricke zerrissen. Als SEV-Direktor hat er sich in fünf Jahren vor allem für eine Aufstockung des Polizeibestandes stark gemacht. Bei heiklen Dossiers wie der Ausgliederung des Energie Service aus der Verwaltung oder der Reorganisation der Feuerwehr und der damit zusammenhängenden Überprüfung des gesamten Sicherheitsbereichs erwies er sich als «nicht kompromiss- und teamfähig» (FDP-Präsident Peter Moser), worauf ihm der Gemeinderat einen externen Spezialisten und eine gemeinderätliche Delegation zur Seite stellte. Kritisiert wurde er aber selten. Moser: «Es ist für uns schwierig zu zeigen, dass er nichts macht.»
Nun macht Jürg Scherrer zumindest wieder Schlagzeilen. Seine frühere Abgeklärtheit scheint er aber verloren zu haben, bezeichnete er doch die Radioreporter, die ihn am vergangenen Montag interviewt hatten, gegenüber der Zeitung «Le Matin» als «salauds» (Sauhunde). Einer der so Titulierten will ihn nun wegen übler Nachrede verklagen.

HELLE EMPÖRUNG
Die Schlagzeilen sind fett, und die Empörung ist gross. Wieder einmal sorgt der Bieler Polizeidirektor Jürg Scherrer mit seinen Äusserungen für Aufregung. Und natürlich wird wieder einmal die Frage diskutiert: Ist Scherrer politisch noch tragbar? Und flugs wird die Forderung gestellt, die restlichen Gemeinderäte müssten sich offiziell von Scherrer distanzieren. Oder besser noch, sie sollten dafür sorgen, dass er als Gemeinderat abgesetzt wird. Doch was heisst hier tragbar? Scherrer wurde vom Volk gewählt, kann also nur vom Volk in die Wüste geschickt werden. Seine Äusserungen sind politisch äusserst fragwürdig, aber seines Amtes enthoben werden kann er nur, wenn er die Amtspflicht verletzt.
Tatsache ist allerdings: Scherrer ist kein guter Gemeinderat. Sein Leistungsausweis ist äusserst dürftig. Bei schwierigen Geschäften seiner Direktion, beispielsweise bei der Verselbständigung des Energie Service Biel, hat ihm der Gemeinderat schon lange eine Delegation zur Seite oder vor die Nase gesetzt diskret, ohne die Öffentlichkeit über das Vorgehen oder über die Meinung des Gesamtgemeinderats zu Scherrers Arbeit ins Bild zu setzen.

Diskret geschwiegen haben der Gemeinderat und die meisten Bieler Politiker auch zu Scherrers Aussage vor Gericht im Februar. Er gehe mit seinen Äusserungen «absichtlich haarscharf an die Grenze zur rassistischen Hetze», sagte Polizeidirektor Scherrer und wo war die Empörung?
Was Scherrer im Westschweizer Radio genau gesagt hat, ob er wie er es nun darzustellen versucht das Opfer des Journalisten und sprachlicher Schwierigkeiten geworden ist, wird der Richter beurteilen. Falls es zu einer Verurteilung kommt, wird die politische Tragbarkeit Scherrers als Gemeinderat sicher und hoffentlich endgültig zur Diskussion stehen. Mit empörten Rücktrittsforderungen zum jetzigen Zeitpunkt wird man den Problemen Scherrer und Rechtsextremismus aber sicher nicht gerecht.

-Der Bund: Scherrer bedauert
BIEL / Der Bieler Polizei- direktor Jürg Scherrer (fps) nimmt Stellung zum Vorwurf, er habe den Holocaust verharmlost.
sms. Er bedaure, dass «in gewissen Kreisen der falsche Eindruck entstand», er verharmlose den Holocaust, schrieb der Bieler Gemeinderat Jürg Scherrer gestern in einer Mitteilung. Er sei zwar ein «rechter, harter und konsequenter Politiker», aber solches würde er nie tun. Scherrer hatte am Montag in einem Radiointerview die Gaskammern der Nazis als «Detail der Geschichte» bezeichnet.
Während der Gesamtgemeinderat nach einer Aussprache mit Scherrer dessen Klarstellung akzeptierte, blieben Scherrers Gegner hart. Der Gewerkschaftsbund Biel-Lyss-Seeland rief zur «parteiübergreifenden» Kundgebung am 23.Mai auf. Das Grüne Bündnis forderte die Mitglieder des Stadtrats auf, den Parlamentsbetrieb zu boykottieren, «bis Herr Scherrer seinen Rücktritt bekannt gibt».

«Erleichterung» nach «offener Aussprache»
BIEL / Der «Fall Scherrer» bewegt weiterhin die Gemüter. Nach einer Aussprache über die Ereignisse der letzten Tage erklärte sich der Bieler Gemeinderat erleichtert, dass Jürg Scherrer die Haltung der Stadtregierung zum Genozid an der jüdischen Bevölkerung teile. Der Gewerkschaftsbund forderte erneut den Rücktritt des Polizeidirektors.
«Scherrer muss weg!» lautete die Botschaft, welche auf Transparenten an den Einfallsachsen Biels gestern am Morgen die Aufmerksamkeit der Automobilisten erheischte. Zwar wurden die Plakate von der Polizei rasch entfernt. Doch der «Fall Scherrer» bewegt weiterhin die Gemüter.

Zu Beginn der gestrigen Gemeinderatssitzung brachte Jürg Scherrer (fps) das Thema selber auf den Tisch. Nach seiner persönlichen Erklärung habe eine offene Aussprache der Exekutive stattgefunden, erklärte Vizestadtschreiber Pio Pagani auf Anfrage. Dabei hätten alle Anwesenden ihre Meinung frei geäussert. Scherrer habe sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigt, die er seinen Amtskollegen verursacht habe.
In einer Medienmitteilung nahm die Exekutive in der Folge Stellung. Der Gemeinderat bedaure Scherrers Äusserungen der letzten Tage «ausserordentlich». Und: «Für den Gemeinderat der Stadt Biel ist es eine Selbstverständlichkeit, dass der Genozid an der jüdischen Bevölkerung in den Zeiten des 2. Weltkrieges einen dunklen, tiefen und dramatischen Einschnitt in die Geschichte des letzten Jahrhunderts darstellt.»

Erleichtert habe man festgestellt, dass Jürg Scherrer diese Haltung vollumfänglich teile. Der Gemeinderat habe zur Kenntnis genommen, dass sich der Polizeidirektor bei allen Personen entschuldige, «die er mit seinen unbedachten Äusserungen ungewollt verletzt und in nachvollziehbare Entrüstung versetzt hat».
Während es Scherrer gelungen ist, den Gemeinderat zu überzeugen, dass er mit seiner im Radio gemachten Aussage («die Gaskammern sind ein Detail der Geschichte») nicht den Holocaust verharmlosen wollte, blieben seine Gegner hart. «Mit Ernüchterung» habe der Gewerkschaftsbund Biel-Lyss-Seeland (GBLS) die Mitteilung des Gemeinderats zur Kenntnis genommen, schrieb dessen Präsident Corrado Pardini in einem Communiqué.

Demo- und Boykottaufruf
Zum Kräftemessen zwischen Scherrer und Pardini dürfte es am 23.Mai kommen. Dann werde auf dem Burgplatz eine Kundgebung «für eine Stadt Biel, die die Völkerverständigung lebt und sich gegen Rassismus und Antisemitismus abgrenzt» stattfinden, schreibt der GBLS-Präsident. Er erwarte, dass alle Mitglieder des Parlaments der gleichzeitig stattfindenden Stadtratssitzung fernbleiben und sich mit den Demonstranten solidarisieren, schreibt Pardini.

Dem Aufruf sicher Folge leisten wird Heinz Ledergerber, Sekretär des GBLS und Vertreter des Grünen Bündnis im Stadtrat. Im eigenen Communiqué ging er noch weiter und forderte einen Boykott des Stadtrats, «bis Herr Scherrer seinen Rücktritt bekannt gibt». Ob es gelingen wird, mit der Aktion den politischen Geschäftsgang der Stadt lahmzulegen, ist allerdings offen. Sowohl der SP-Fraktionspräsident Roland Gurtner (psr) als auch Olivier Ammann (prr), Präsident der bürgerlichen Fraktion «Forum», erklärten, sie seien persönlich dagegen, Scherrer ein Ultimatum zu stellen. Unter dem Titel «Der ganze Satz schafft Klarheit» meldete sich gegen Abend Jürg Scherrer schriftlich bei den Medien. Für den Satz «Ja, die Gaskammern sind ein Detail der Geschichte, aber es gab auch noch andere Völkermorde», müsse er sich nicht entschuldigen «auch wenn das Wort Detail nicht der glücklichste Ausdruck war». Aber: Der Holocaust und die Gaskammern seien für ihn «feststehende grausame Tatsachen». Obwohl er ein «rechter, harter und konsequenter» Politiker sei, würde er diese nie verharmlosen, schreibt Scherrer. Wer dies behaupte oder ihn Rassist, Antisemit oder Rechtsextremist nenne, müsse künftig mit strafrechtlichen Folgen rechnen.

Während Jürg Scherrer sein Exekutivamt weiter auszuüben gedenkt, könnte seine Zeit als Präsident der Freiheitspartei bald ablaufen. Dem Gemeinderat, der diese Ämterkombination als «ausserordentlich problematisch» bezeichnet, habe er zugesagt, «diese Problematik im Lauf der nächsten Monate einer Lösung» zuzuführen, schreibt der Gemeinderat.

-BernerZeitung: Scherrer bleibt FPS-Präsident
Jürg Scherrer will sich als Präsident der FPS nicht zurückziehen. Auch wenn dies der Gemeinderat klar fordert.
Die Einigkeit, welche der Bieler Gemeinderat am Freitag in einem Mediencommuniqué präsentierte, trügt: Polizeidirektor Jürg Scherrer will als Präsident der Schweizerischen Freiheitspartei (FPS) nicht zurücktreten, wie er gegenüber der «SonntagsZeitung» versichert. Aber gerade diesen Rücktritt hatte der Gemeinderat im Communiqué angekündigt, weil das Doppelmandat als Gemeinderat und Parteipräsident «ausserordentlich problematisch» sei: «Herr Scherrer versicherte dem Gemeinderat, dass er diese Problematik im Laufe der nächsten Monate einer Lösung zuführen wird.» Für Gemeindepräsident Hans Stöckli (SP) eine klare Aussage: «Für mich heisst dies, dass Herr Scherrer als FPS-Präsident zurücktreten wird», sagte er gegenüber der «SonntagsZeitung». Der Rechtsaussenpolitiker Scherrer siehts anders: «Ich habe nur gesagt, ich werde das Problem mit dem Doppelmandat lösen; ich weiss aber noch nicht, auf welche Weise dies geschehen soll.» kap