2002,  Diverse Aktionen,  Repression

Einweihung Carlo-Giuliani-Platz

Inhalt:
1. Aufruf
2. Medienbericht


1. Aufruf (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2002/09/1307.shtml)
Im Rahmen der Ausstellung „le Geometreie della memoria“ in der berner Reitschule kommt Haidi Guiliani (Mutter von Carlo) und Mitglieder der Internationalen Untersuchungskommission von Genua um über die Hintergründe und Konsequenzen von Carlos Ermordung zu berichten.
Do 03.10. Grosse Halle (Reitschule) Bern
20 Uhr Der Tod von Carlo Giuliani
Haidi Guiliani (Mutter von Carlo) und Mitglieder der Internationalen Untersuchungskommission zu Genua berichten über die Hintergründe und Konsequenzen von Carlos Ermordung.
18.30 & 23 Uhr Carlo Giuliani, ragazzo
Film von Cristina Comencini, Italien 2002


2. Medienbericht (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2002/10/1361.shtml)
Gestern wurde in Bern der ehemalige Kleeplatz (zwischen Amtshaus und Reitschule) in Carlo-Giuliani-Platz umbenannt.
Was in Berner Amtsstuben zu Verwirrung führte…

Berner Zeitung 4.10.02
Neuer Name für Kleeplatz?
Gestern haben Aktivisten der Anti-WEF-Bewegung den ehemaligen Paul-Klee-Platz in Carlo-Giuliani-Platz umgetauft. Sie spielen damit auf den Tod des jungen Italieners an, der bei den Anti-WEF-Demonstrationen in Genua gestorben war. Stadtgeometerin Christine Früh vom Vermessungsamt wusste auf Anfrage nichts von der Aktion. Zudem meinte sie weiter, dass die Verfahrensweise zur Vergabe von Strassennamen vorgegeben sei. «Es kann nicht einfach jeder eine Strasse oder einen Platz umtaufen.» Der Gemeinderat habe in dieser Sache immer das letzte Wort.
shb/mg

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Haidi Giuliani will nicht Mutter eines Märtyrers sein

STADT BERN
Die Mutter des von der Polizei am G-8-Gipfel in Genua im letzten Jahr erschossenen Carlo Giuliani ist gestern nach Bern gekommen. Etwa 50 Globalisierungsgegner haben gegenüber der Reithalle den ehemaligen Paul-Klee-Platz nach ihrem Sohn Carlo Giuliani benannt. «So einfach geht das nicht», sagt Christine Früh von der Kommission für Strassenbenennung dazu.

«Che cosa posso dire ragazzi?» «Was soll ich nur sagen, Kinder?», fragte Haidi Giuliani, als ihr gestern auf dem ehemaligen Paul-Klee-Platz beim Bollwerk das Mikrofon gereicht wurde. Die Mutter des vor einem Jahr in Genua von der Polizei erschossenen Demonstranten war den Tränen nahe. Zuvor hatten etwa 50 Globalisierungsgegner aus dem Umfeld der Berner Reitschule den ehemaligen Paul-Klee-Platz mit Tafeln neu als Carlo-Giuliani-Platz benannt. «Dieser Platz ist nicht nur für Carlo, sondern für
alle Carli und Carle der Welt», sagte Haidi Giuliani schliesslich ins Mikrofon. «Es darf nicht sein, dass unsere Kinder einfach erschossen werden».

Carlo sei kein Märtyrer, denn es herrsche nicht Krieg und mit Religion habe das Ganze nicht direkt zu tun, erklärte Giuliani gegenüber dem «Bund». Auch andere Demonstranten seien in Italien schon von der Polizei erschossen worden, «doch die letzte Ermordung liegt 25 Jahre zurück». Daneben komme es aber immer wieder vor, dass die Polizei Minderjährige auf der Flucht grundlos erschiesse.

Die Proteste in Genua
«Carlo war ein Junge, der seinen Weg suchte», sagte seine Mutter, die von Beruf Primarlehrerin ist. Er sei nicht zufrieden gewesen an der Universität und habe soeben seinen Zivildienst gemacht, um danach frei zu sein. Dann kamen die Proteste der Globalisierungskritiker gegenden G-8-Gipfel in Genua. Der grösste Teil der Demonstrierenden sei friedlich gewesen, betonte Giuliani, und diejenigen, die Gewalt anwendeten, hätten diese nicht gegen Personen gerichtet. «Aber in unserer Gesellschaft ist es ja fast schlimmer, wenn einer eine Schaufensterscheibe zertrümmert, als wenn er einen Schädel einschlägt», sagte die Mutter bitter. Giuliani bestreitet nicht, dass auch ihr Sohn Gewalt angewendet hat. Er sei jedoch ein schmächtiger Junge gewesen und ihr Sohn wirke auf der Fotografie, die ihn zeigt, wie er einen Feuerlöscher gegen ein Polizeifahrzeug wirft, durch das Teleobjektiv und die Aufnahmeposition bedrohlicher, als er jemals gewesen sei. Die Medien in Italien hätten jedoch kein Interesse daran, die detaillierteren Bilder und Filmberichte zu Genua zu zeigen. «Das wird totgeschwiegen», sagte Giuliani. Somit liege es an ihr, die ungeklärten Umstände des Todes ihres Sohnes weiterzuverbreiten. Seit neun Monaten ist sie ständig unterwegs. «Morgen fahre ich mit meinen Rechtsanwälten für das Beweisaufnahmeverfahren wieder nach Genua, und nächste Woche fliege ich für eine längere Reise nach England», erzählte sie.

Verschiedene Ansichten
Bei den Globalisierungsgegnern führte die gestrige Aktion zu unterschiedlichen
Reaktionen. «Wir wollen weder Helden noch Märtyrer schaffen, sondern mit künstlerischen Mitteln ein gesellschaftliches Thema an die Öffentlichkeit bringen», erklärte Sandra Ryf, Mitorganisatorin der Aktion. Reto Plattner, der mit seinem Freund Andreas Mauz eigens aus Basel angereist war, zeigte sich skeptisch: «In der Dritten Welt sterben viele Menschen im selben Kampf wie Carlo Giuliani aber ihre Namen sind nicht bekannt.» Der Anlass grenzte für ihn deshalb an eine «Ikonenverehrung».
Mauz sah dies anders: «Mit dieser Platzbenennung bedienen wir uns eines
bürgerlichen Mittels zur Gewinnung von Öffentlichkeit das ist legitim.»

Andere Namen warten länger
«So einfach geht das nicht», meinte dagegen Christine Früh von der städtischen Kommission für Strassenbenennung auf Anfrage. Sie wusste natürlich nichts von der neuen Bezeichnung für den namenlosen Ort. Wer einen Platz benennen wolle, müsse den offiziellen Weg gehen, meinte sie lachend. Ein Carlo-Giuliano-Platz hätte es ihrer Ansicht nach wegen des fehlenden Lokalbezugs schwer. «Wir haben viele Berühmtheiten, die noch auf einen angemessenen Platz warten», sagte Früh, «zum Beispiel Mani Matter.»