2003,  Antifa Spaziergang,  Antifaschismus,  Antikapitalismus,  Demo,  Gender

4. Antifa-Abendspaziergang

Inhalt:
1. Aufruf
2. Communiqué
3. Bilder
4. Hintergrundtext 1945 Armee gegen PdA
5. Medienberichte


1. Aufruf (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2003/01/2581.shtml)
Jetzt erst recht – heraus zum 4. Antifaschistischen Abendspaziergang in Bern!

Zum vierten Mal wird am 1. März 2003 (20.30 Uhr, Heiliggeistkirche Bern) der Antifaschistische Abendspaziergang in Bern stattfinden – und er ist nötiger denn je!
Jetzt erst recht – heraus zum
4. Antifaschistischen Abendspaziergang in Bern!
Zum vierten Mal wird am 1. März 2003 der Antifaschistische Abendspaziergang in Bern stattfinden – und er ist nötiger denn je:
Zwar trauen sich die NazischlägerInnen momentan – dank antifaschistischer Gegenwehr – nur noch höchst selten in Vollmontur (mit Whitepower-Zeichen, Hakenkreuzen oder anderen eindeutigen Abzeichen) in die Berner Innenstadt. Dass sie weniger auffallen (viele Faschos „tarnen“ sich inzwischen z.B. als HC-Gabbers oder unpolitische Skinheads), heisst aber nicht, dass sie nicht mehr aktiv sind oder dass es keine Übergriffe mehr gibt.
Vor allem in den Agglomerationen und in den anderen Städten im Kanton wüten die braunen Horden weiter, wie Vorfälle in Köniz (Angriff auf Jugendliche – Schädelbruch), Langenthal (Angriff auf TürkInnen und Lakuz), Burgdorf (Angriff auf Nestbau), Biel (Messerstecherei), um nur einige zu nennen, bestätigen.
Wir wollen diese Provokationen und Übergriffe nicht unbeantwortet hinnehmen. Eine Möglichkeit zum bitternötigen Widerstand ist der Antifaschistische Abendspaziergang: Zeigen wir den Nazideppen mit einer kraftvollen, entschlossenen, lautstarken und selbstdisziplinierten Demo, dass sie und ihre Taten weder in Bern noch sonst wo geduldet werden!

Der Kampf geht weiter
Leider sind die Nazi-Skins nur die Spitze des Eisbergs; das von SVP und anderen Parteien geschürte rassistische und antisemitische Klima in der Schweizer Bevölkerung und die Ausschaffungs- und Kriminalisierungspraktiken des Staates stellen das weit grössere Problem dar.
Wollen wir nicht länger „nur“ die Symptome (wie prügelnde Nazis und Bullen) bekämpfen, müssen wir den Hebel bei der Ursache für Intoleranz, Unterdrückung, Ausbeutung, Sexismus und Rassismus ansetzen – dem kapitalistischen System!
Nur wenn wir das herrschende System überwinden, indem wir die Gesellschaft von unten nach oben verändern und gemeinsam für eine andere, solidarische Welt, für Gerechtigkeit, Basisdemokratie und Selbstbestimmung kämpfen, wird auch Faschismus nicht mehr möglich sein.

Deshalb wollen wir am Abendspaziergang nicht ausschliesslich gegen den Faschismus demonstrieren, sondern auch gegen die anderen unterdrückerischen Systeme und Strukturen; gegen Kapitalismus, Staat, Patriarchat und Sexismus.
Setzen wir gemeinsam ein Zeichen für eine andere Welt – basisdemokratisch organisiert, selbstbestimmt, gerecht und solidarisch!
Wir lassen uns von Medienhetze, polizeilicher Repression und Faschodrohungen nicht beeindrucken…
… und sehen uns am 1. März 2003 um 20:30Uhr bei der Heiliggeistkirche!

Euch gehört die Macht – uns gehört die Nacht!
Stoppt Sexismus und Männlichkeitswahn!
Kein Raum für Nazis – nirgendwo!
Keine Macht – für niemand!
Solidarität ist eine Waffe!
Kein Mensch ist illegal!
Kampf dem Kapital!
Bündnis Alle gegen Rechts

2. Communiqué (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2003/03/5141.shtml)
Heute Samstagabend, 1. März, haben über 4000 Personen in der Berner Innenstadt ein entschlossenes, diszipliniertes und unüberhörbares Zeichen gegen Neonazis, rechte Hooligans und rassistische Tendenzen in unserer Gesellschaft gesetzt. Und damit jeglicher Hetze im Vorfeld der heutigen Demonstration Lügen gestraft und auch dem Regen getrotzt.

Mediencommuniqué
Antifaschistischer Abendspaziergang in Bern
Heute Samstagabend, 1. März, haben über 4000 Personen in der Berner Innenstadt ein entschlossenes, diszipliniertes und unüberhörbares Zeichen gegen Neonazis, rechte Hooligans und rassistische Tendenzen in unserer Gesellschaft gesetzt. Und damit jeglicher Hetze im Vorfeld der heutigen Demonstration Lügen gestraft und auch dem Regen getrotzt.
Die antifaschistische Bewegung geht gestärkt aus diesem Abendspaziergang hervor. Aufgrund des friedlichen, farbigen und kraftvollen Verlaufs der Demo haben wir unsere Inhalte vermitteln können und gezeigt, dass wir uns weder von den abstrusen Forderungen gewisser Parteien nach einem Verbot des Anlasses noch von der Scharfmacher-Rhetorik eines Kurt Wasserfallen, der DemonstrantInnen mit TerroristInnen gleichgesetzt hatte, haben provozieren lassen.

Das Motto des diesjährigen Abendspaziergangs lautete „Den bürgerlich-rassistischen Konsens durchbrechen“. Antifaschismus richtet sich nicht nur gegen prügelnde Nazis auf der Strasse, sondern auch gegen die rassistische Asylpolitik der Schweiz. Die Schweiz schiebt immer noch MigrantInnen in Länder ab, in denen sie der Tod oder Folter erwartet. Die Parteien überbieten sich gegenseitig mit ihren Forderungen, das Asylgesetz zu verschärfen. Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit in der schweizerischen Bevölkerung nehmen stetig zu. Im kapitalistischen System gibt es keinen Platz für Menschlichkeit und Toleranz. Es zählt allein die Verwertungslogik.

Diesen Entwicklungen müssen wir uns auch künftig mit aller Kraft entgegenstellen. Es gibt noch viel zu tun, und wir werden es anpacken. Der Kampf hat erst begonnen. Unsere Waffe ist die Solidarität!
Für Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Basisdemokratie!
Gegen Ausbeutung und Rassismus!
Bündnis Alle gegen Rechts
PS: Der nächste Termin steht bereits: Die Antifa Thun ruft am 17. Mai zu einem Abendspaziergang in Thun auf.

3. Bilder (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2003/03/5183.shtml, http://ch.indymedia.org/de/2003/03/5224.shtml)


4. Hintergrundtext 1945 Armee gegen PdA (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2003/01/3832.shtml)
August 1945: Als die Armee gegen die PdA eingesetzt werden sollte
Dass es im August 1945 beinahe zu einem Armeeeinsatz gegen die PdA kam, ist kaum bekannt. Hintergrund waren antifaschistische Demonstrationen, Verhaftungen und bedrängte Behörden.

Nach mehreren Demonstrationen in Biel und einer anschliessenden Verhaftungsaktion befürchtet die Berner Regierung und der Bundesrat am 29. August 1945 kommunistische Demonstrationen in Biel und in Bern. Die Kundgebungen sind verboten worden, und zur Durchsetzung des behördlichen Verdikts ist man zum Schlimmsten bereit. In Bern stehen Armeeeinheiten auf Pikett, ausgerüstet mit scharfer Munition. Zum Einsatz kommt es glücklicherweise nicht. Nach Verhandlungen mit der Polizei wird man sich bei der PdA bewusst, dass die Behörden alles unternehmen würden, damit die Kundgebungen verhindert werden könnten. Von der bereitstehenden Armee weiss man indes nichts. Und wird man auch nichts erfahren.

Wie kam es dazu? Die Mobilisierung der Armee und deren Ausrüstung mit scharfer Munition ist das letzte und brutalste Mittel, das ein Staat gegen die Bevölkerung einsetzen kann. Gleichzeitig kann ein Armeeeinsatz auch ein Hinweis darauf sein, dass die Regierung ihre Situation als akut bedrängt einschätzt. Für die Landesregierung und die kantonalen Behörden kam die damalige Bedrängnis in der Gestalt der sogenannten „Säuberungskampagne“ daher, welche nach dem Kriegsende einsetzt und sich zuerst gegen die anwesenden ausländischen Faschisten und Nationalsozialisten richtet. Bald wendet sich die Kampagne auch gegen schweizerische Fröntler wie auch gegen deutschlandfreundliche Behördenmitglieder, Politiker und Unternehmer. An zahlreichen Demonstrationen, nicht immer mit friedlichem Verlauf, werden in den grösseren Städten der Schweiz Abertausende mobilisiert. Eine der ersten Forderungen verlangt vehement den Rücktritt des EJPD-Vorstehers und BGB-Bundesrates von Steiger (bekanntlich wird aus seiner Partei, der Bauern- Gewerbe- und Bürgerpartei, später die SVP). Von Steiger war in den 30er Jahren als Anwalt für das Hitlerregime tätig und wurde für die Flüchtlingspolitik sowie für die Repression gegen die Linke während des Krieges verantwortlich gemacht. Obwohl die Sozialdemokratie in der Kampagne mit der schärferen Wortwahl auftritt, ist die PdA die federführende Kraft.

Die unmittelbare Vorgeschichte zum Fast-Armeeeinsatz nimmt ihren Lauf in der Nacht auf den 26. August. An Häusern von stadtbekannten Rechtsextremisten werden antifaschistische Parolen angebracht. Zudem wird der Justiz- und Polizeiminister, der an diesem Tag vom Bieler Unteroffiziersverein erwartet wird, beim Bahnhofsplatz mit dem Schriftzug „Fort mit von Steiger“ empfangen. Weil die Bieler PdA am Tag zuvor, am Sonntag, ihren Volkstag abgehalten hat, wird sie von der Polizei für die Aktionen verantwortlich gemacht. Als sich dann am Nachmittag des 27. Augusts – mittlerweile ist es Dienstag – ein mehr oder minder spontaner Protestzug formiert, der bis in den späten Abend hinein Geschäfte und Häuser von Nationalsozialisten und Faschisten aufsucht und es dabei vereinzelt zu Übergriffen kommt, sieht sich die Bieler Polizei zum Einschreiten veranlasst. Sie verhaftet in einer Nacht und Nebel Aktion sechs vermeintliche „Haupträdelsführer“ der Demonstration, allesamt PdA-Mitglieder, darunter Paul Fell und seine Tochter.

Was nun folgt, muss die Behörden erschreckt haben und war wahrscheinlich der Auslöser für die Mobilisierung der Armee. Die Kunde von den Verhaftungen verbreitet sich am nächsten Tag in Windeseile, und nachdem der Untersuchungsrichter die Forderung einer PdA-Delegation nach Freilassung ausschlägt, wird am Nachmittag binnen weniger Stunden zu einer erneuten Demonstration mobilisiert. Nach Schätzungen der Polizei finden sich am frühen Abend 2000 DemonstrantInnen vor dem Amtshaus ein und verlangen lautstark die Freilassung der Inhaftierten. Redner fordern die Menge auf, solange vor dem Amtshaus zu verbleiben, bis die Forderung erfüllt würde. Unter dem Eindruck des mächtigen Aufmarsches empfängt der ausserordentliche Untersuchungsrichter erneut eine Verhandlungsdelegation. Bereits nach kurzer Unterredung werden vier Inhaftierte freigelassen. Paul Fell und seine Tochter bleiben jedoch weiterhin in Haft. Fell befindet sich zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in Biel. Er ist am Nachmittag nach Bern geschafft worden, vielleicht aus Angst vor einer Gefangenenbefreiung.

Mit der Freilassung der vier Inhaftierten gelingt es den Behörden, den Proteststurm vorerst einzudämmen. Bereits am nächsten Tag, am 29. August, wird aber klar, dass die Bewegung nicht gebrochen ist. Es wird bekannt, dass in einem Unternehmen zwei Arbeiter entlassen worden sind, weil sie sich an den Kundgebungen beteiligt hatten. Zudem sitzt Fell in Bern immer noch in Haft. Deshalb droht die PdA damit, auf den Abend gleich in Biel und in Bern zu einer Demonstration aufzurufen. Nun unternimmt der Berner Regierungsrat in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat alles, um die Kundgebungen zu verhindern und damit die Protestbewegung zu brechen. Sämtliche verfügbaren Kantonspolizisten werden nach Biel beordert. Die Stadt wird regelrecht belagert. Derweil werden in Bern Armeeeinheiten für den Ernstfall instruiert und vereidigt, scharfe Munition wird ausgeteilt. Sie sollen die Stadtpolizei unterstützen.

Dass die Armee 1945 gegen eine PdA-Demonstration eingesetzt werden sollte, ist bis heute kaum bekannt. Der Grund dafür ist simpel: Die Kundgebung fand nicht statt, die Armeeeinheiten verharrten in der Kaserne. Die Öffentlichkeit merkte von den düsteren Wolken, welche an jenem Abend über Bern aufzuziehen drohten, nichts. Deshalb findet sich diese Mobilmachung auch in keiner der vielen Zusammenstellungen über die Armeeeinsätze im Innern, welche von der Linken veröffentlicht worden sind. Es ist ironischerweise eine Reaktion der Armee darauf, die den Einsatz vom August 45 erstmals beinhaltet. Nachdem im Zuge der 68er Bewegung Soldatenkomitees in der Armee deren Vergangenheit anprangerten, sah sich der armeeinterne Agitationsstab Heer und Haus veranlasst, eine eigene Studie zum Thema zu verfassen. Die 1973 unter dem Titel „Die Schweizer Armee im Ordnungsdienst 1856 -1970“ erschienene Schrift sollte dem militärischen Kader quasi das Gegenargumentarium gegen die linken „Angriffe auf die Armee“ liefern und Beispiele von „praktischen Anwendungsfällen“ veranschaulichen. Über den verheerenden Einsatz in Genf 1932 heisst es da beispielsweise, es habe sich um einen „notwendig gewordenen Ordnungsdienst“ gehandelt. Wie der Hinweis auf den vorbereiteten Einsatz gegen die PdA zeigt, ist die Schrift aber durchaus auch ein Fundus für die Gegenseite.


5. Medienberichte (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2003/03/5218.shtml)
-DerBund: Antifa «spaziert» ohne Gewalt
STADT BERN Die Polizei hatte im Zuge der schweren Krawalle vom 25. Januar vor «hohem Gewaltpotenzial» gewarnt und stand am Samstag denn auch für alle Fälle im Hintergrund «massiv parat», wäre der neuerliche Autonomen-Aufmarsch eskaliert. Indes, der «4. antifaschistische Abendspaziergang» verlief völlig gewaltfrei so friedlich, dass auch ein Rechtsaussen-Parlamentarier der Schweizer Demokraten, der einen «Saubannerzug» befürchtet hatte, sich nun versöhnt, ja «glücklich» zeigte. Zufrieden ist auch die Stadtpolizei, die trotz dem aufgeheizten Klima im Vorfeld schliesslich ihre deeskalierende Strategie aufrecht erhalten konnte. Aufs Korn genommen wurde von den Demonstrierenden indes Polizeidirektor Kurt Wasserfallen, der nach der WEF-Randale mit seinem Terrorismus-Vergleich für böses Blut gesorgt hatte.

Erneut erstarkt und nicht erstickt
Militanter Ausdruck, geordneter Auftritt: Berns Antifa-Bewegung ist friedlich marschiert – und weiter gewachsen
Ohne Bewilligung, mit einer Hundertschaft Vermummter, gar Behelmter vom Schwarzen Block an der Spitze – und doch gewaltfrei, selbstdiszipliniert bis hin zur Warnung, wer nur schon spraye, fliege raus. Der diesjährige «Antifaschistische Abendspaziergang» in Bern geriet zum Erfolg einer neuerlich gewachsenen Bewegung.

«Hey, ich freue mich schon auf den Abendspaziergang! Lasst es einfach bitte nicht abgehen, das würde unsere Szene spalten so stark wie heute werden wir lange nicht mehr!» notierte «flügu» aus Burgdorf im Internet-Diskussionsforum der autonomen Antifa. «flügus» Einschätzung war richtig: Die Antifa-Bewegung brachte so viele junge Leute auf Berns Strassen wie nie, gut 2500 laut Polizei, über 4000 laut Organisatoren, darunter viele sehr junge, kaum 16-jährige Teenager, viele aus der Region Bern, und einige sogar aus dem fernen Thurgau.

Gar ein Rechtsaussen lobt Antifa
Und «flügus» Wunsch ging in Erfüllung, die nicht bewilligte und ins aufgeheizte Klima nach dem Anti-WEF-Krawall geratene Antifa-Demonstration verlief völlig friedlich. Der teils selber aus vermummten Autonomen bestehende «Berner Demoschutz» sorgte wachsam für einen geordneten Ablauf. Wer nur schon spraye, fliege raus, warnten die Veranstalter über Megafon und als eine Frau mit Rastamütze versehentlich eine Bierflasche fallen liess, eilten flugs zwei Demonstranten herbei: «Spinnst du? Es muss friedlich bleiben!» Verdattert entschuldigte sich die junge Frau, hob die Glasscherben auf und trug sie zum nächsten Abfallkübel.

Ja, der Aufmarsch der Autonomen verlief derart friedlich, dass selbst Rechtsaussen-Stadtrat Dieter Beyeler von den Schweizer Demokraten, der zwei Tage zuvor im Rat gegen den Antifa-«Saubannerzug» von «Anarchisten und Kommunisten» gewettert hatte und am Samstagabend am Strassenrand zuschaute, nun versöhnlich klang er sei «glücklich» ob dieses friedlichen Anblicks, so Beyeler. Zufrieden äusserte sich auch die Stadtpolizei, die, durch Kantonspolizei verstärkt, für alle Fälle «massiv parat» war: Sie konnte «an ihrer de-eskalierenden Strategie festhalten und war für die Demonstrierenden kaum sichtbar», so Stadtpolizei-Informationschef Franz Märki.

«Terroristen»-Spott für «Kurt W.»
«Polizei und Journalisten warten nur darauf», einen Vorwand zu finden, die Bewegung anzugreifen, behauptete «Demo»-Leitung. Und in einem Communiqué vom Sonntag bilanziert das von autonomen Gruppierungen getragene «Bündnis Alle gegen Rechts» den Marsch denn auch als vollen Erfolg: «Wir haben unsere Inhalte vermitteln können und gezeigt, dass wir uns weder von den abstrusen Forderungen gewisser Parteien nach einem Verbot des Anlasses noch von der Scharfmacher-Rhetorik eines Kurt Wasserfallen, der DemonstrantInnen mit TerroristInnen gleichgesetzt hatte, provozieren lassen.» Auch ein von Anarcho-Autonomen getragenes Fronttransparent nahm Bezug auf Wasserfallen: «Laut Kurt W. sind wir Terroristen», stand da und ein Marschierer nahm ebenfalls genüsslich den Polizeidirektor ins Visier: «Das wird Kurt Wasserfallen zu denken geben die Terroristen sind nur mit Kreide bewaffnet», erklärte er zum Umstand, dass, statt zu sprayen, Parolen nur mit Kreide gemalt wurden.

«Ohne Polizei macht es ja gleich viel Spass wie mit», staunte ein Vermummter. Nach dem ruhigen Verlauf der lautstarken Demonstration gabs in der Reitschule ein lautes Punk-Konzert. Und kein «Nachdemo»-Lärm ertönte in den Gassen.

Die braune Welle ebbt ab
In der Stadt Bern haben rechtsradikale Aktivitäten und rechtsextremistische Gewaltübergriffe die im Sommer 2000 mit der Sturmgewehrsalve von Skinheads auf linke Solterpolter-Hausbesetzer und mit der Rohrbombenbastelei der Nationalen Offensive ihren Höhepunkt erreichten und dann auf hohem Niveau verharrten seit gut einem Jahr markant abgenommen, wie die Stadtpolizei-Staatsschutzstelle feststellt. Antifa-Aktivisten vom Bündnis Alle gegen Rechts ihrerseits haben dazu dem «Bund» erklärt, in der Tat wagten sich Nazis in Bern nicht mehr so offensiv wie früher auf die Strasse, doch dies liege vor allem auch «a üsem Bügu», an der Antifa-Gegenwehr nämlich. Grund zur Entwarnung bestehe jedoch nicht, schon gar nicht in Bezug auf die Agglomeration.

Angaben der linksautonomen Antifa (Antifaschistische Aktion) sind weil nicht unabhängig und aus der Anonymität heraus vorgetragen grundsätzlich mit Vorsicht zu taxieren. Gleichwohl ist diese Quelle aber ernst zu nehmen, steht doch gerade die seit 1994 bestehende Gruppe in Bern im Rufe, die über die rechtsextreme Szene am besten unterrichtete Schweizer Antifa zu sein; hinzu kommt, dass sich Antifa- und Polizeiangaben oft decken.

Im letzten Jahr kam es, wie die Antifa in ihrem Jahresrückblick schreibt, in Bern vorab im Raum Bahnhof und bei der Universität zu Nazi-Angriffen auf Punks.Der brutalste Übergriff aber sei «einmal mehr in der Agglomeration» passiert in Köniz nämlich, wo ein Jugendlicher schwer am Kopf verletzt wurde. Höhepunkt der rechtsextremistischen Kampagne im Kanton sei letztes Jahr aber der Angriff auf das alternative Langenthaler Kulturzentrum LaKuz gewesen wogegen in Bern Hooligan-Attacken auf das Kulturzentrum Reitschule abgewendet werden konnten.

Stille um Neonazi-Strukturen
Wiederum gab es im Bernbiet Nazi-Treffen und Skinhead-Partys. Still geworden ists im Raume Bern aber um organisierte Strukturen: Die Nationale Offensive (NO) fällt bloss noch im Internet auf, die einst als «relevante Partei» angetretene Nationale Partei Schweiz (NPS) nur noch mit einer Kleber-Kampagne «gegen Kinderschänder» und eine von der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) angekündigte «Demo» in Bern blieb aus. (rg)

KOMMENTAR
Antifa macht Polizeipolitik
Puh! die brenzlige «Demo» ist nicht bös «abgegangen», sondern gut, sehr gut sogar. Gar besser noch, denn auf dem Spiel stand wohl mehr, als vielen klar war. Der Samstag war nicht nur ein Glaubwürdigkeitstest für die Antifas eine Reifeprüfung für die in vier Jahren von 100 auf 3000 gewachsene Jugendbewegung. Es ging auch um Polizei-, ja Stadtpolitik: Eine Frontenverhärtung hätte bedeutet, einen unseligen Rückfall zu riskieren.

Wer die 80er-Jugendunruhen erlebt hat, weiss um die fatale Eskaltionsspirale von Aufruhr- und Aufstandsbekämpfungslogik, und Haudegen-Repression trieb Radikalisierung erst recht voran. Einer, der, damals 25, in Zürich 1980 «die Bilder dieses Kriegs, dieses Kriegszustands» (sic!) gesehen hat, ist jetzt 46, kommandiert die Stadtpolizei Bern und will diese Bilder nie wieder sehen. Und deshalb setzt Daniel Blumer auf Deeskalation und Dialog. Er begreift sich nicht als Obrigkeit, sondern als Dienstleister, und Organisatoren einer «Demo» begreift er als Partner; so auch die Antifa, die in ihm den «Bullen» erkennt.

Im Ringen der letzten Woche haben Autonome prinzipientreu darauf beharrt, dass sie mit den «Bullen» nicht verhandeln und gar nicht erst um Bewilligung anfragen. Und Blumer? Er ist den störrischen «Partnern» gar noch wohlgesinnt nachgerannt, um deren «Demo», wenn schon nicht bewilligen, so doch ohne Gewalt über die Bühne bringen zu können.Die seit dem WEF-Krawall gespannte Lage spitzte sich gefährlich zu, und Blumer geriet ins Sandwich, denn in der Reitschule, aber auch in der Polizeidirektion schien ideologisch motivierte Vereinfachung und Rechthaberei über pragmatische Lösungsorientiertheit zu triumphieren. Wäre auch diese «Demo» gekippt, wäre Blumers Deeskalation jetzt angeschlagen, wenn nicht auf der Kippe wogegen Wasserfallens Polarisierungskurs gestärkt wäre, weil im Volk Härte gefordert würde, so auch gegen die Reitschule.

Jedoch, es ging gut. Denn die Autonomen auch ihr militanter, häufig Chaoten und jüngst sogar Terroristen gescholtener Flügel haben am Ende doch Disziplin und Verantwortungssinn gezeigt. Möglich, dass sie es sich im nächsten Jahr schon ohne Gesichtsverlust vorstellen können, mit «Bulle» Blumer sogar zu reden. Warum nicht hat sich doch gezeigt, dass, bei aller Radikalität, selbst autonome Hardliner zu konstruktiver Realpolitik fähig sind. Ja sogar zu Polizeipolitik. Solche haben sie am Samstagabend nämlich gemacht, und zwar konstruktiv.

-Bernerzeitung: Zornig, aber gewaltfrei
Gegen 3000 Demonstrantinnen und Demonstranten zogen am Samstagabend durch die Berner Innenstadt. Der 4. Antifaschistische Abendspaziergang artete nicht, wie von vielen befürchtet, in Krawallen aus. Auch gesprayt wurde diesmal kaum. Stattdessen kritzelten die vorwiegend jugendlichen Demonstranten mit Kreiden die Wände voll. bg
Erinnerungen an Zaff-Zeiten
Diesmal wars wirklich ein Abendspaziergang: Gegen 3000 Demonstrantinnen und Demonstranten zogen am Samstag zwei Stunden durch die Innenstadt. Zornig und lachend. Ohne Gewalt.

Am Schluss, im strömenden Regen vor der Reitschule, feierten sich die Demonstrierenden selber. Sie hatten den 4. antifaschistischen Abendspaziergang «gewaltfrei durchziehen» können. Die Befürchtungen, es komme wieder zum Krawall, waren im Vorfeld ja gross gewesen. Zu sehr hatte die Randale der Anti-WEF-Nachdemo vom 25. Januar nachgehallt.
Ebenso in Erinnerung war noch der Abendspaziergang Mitte März letzten Jahres. Damals war es zu Verwüstungen vor allem durch Sprayereien gekommen. Darauf hatte die Polizei den Demonstrationszug eingekesselt. Von «der Brut aus der Reitschule, die die Stadt terrorisiert», sprach Polizeidirektor Kurt Wasserfallen damals. Nach den Krawallen vom 25. Januar bezeichnete er die Chaoten dann ganz direkt als «Terroristen».

Kreide statt Spray
Daran erinnerte am Samstag ein Transparent an der Spitze der Demonstration: «Laut Kurt W. sind wir Terroristen». Diesmal zeigten sich die «Terroristen» sehr diszipliniert. «Heute Abend sprayen wir nicht», wurde über Lautsprecher erklärt. Die allermeisten der Demonstrierenden hielten sich daran. Die andern wurden noch einmal verwarnt: «Es haben noch immer nicht alle begriffen, dass heute nicht gesprayt wird», sagte die strenge Lautsprecherstimme vor dem Zytglogge. Wer das weiter mache, «fliegt aus der Demo».
Die Konfrontation suchte das «Bündnis alle gegen rechts», das zum Abendspaziergang aufgerufen hatte, ganz offensichtlich nicht. Aber ein bisschen Provokation musste trotzdem sein: Statt Spraydosen hatten die Demonstranten Kreidestifte mitgenommen, mit denen sie Laubenpfeiler, Fassaden und Schaufenster vollkritzelten. Von «Nazis raus» über «Fuck Bush» bis zu «Wasserfallen muss weg» war da alles zu lesen. Oder auch: «Links gehen, Gefahr sehen»; «Unser Land ist kein Vergnügen» und «Remember Zaff» als Reminiszenz an das in den Achtzigerjahren von der Polizei geräumte alternative Kulturzentrum.

Entspannte Stimmung
Es hat etwas Unheimliches, wenn Hunderte von Jugendlichen schwarz vermummt durch die nächtliche Stadt ziehen. Doch dies gehört zur bewussten Uniformierung der Autonomen: «Auffällige Klamotten gehören nicht an Demos», stand auf Flugblättern mit den Demo-Verhaltensregeln zu lesen. Ausdrücklich aufgefordert, sich zu vermummen, wurden darauf auch jene, die nicht wollen, dass sie von «Bullen, Faschos, Medienleuten» fotografiert, gefilmt oder identifiziert werden.
Trotz aller Abgrenzung gegen aussen: Die Stimmung war entspannt und offen. Nie hatte man das Gefühl, dass sie gleich kippen würde. Da wurde viel gelacht, gekifft, und man wollte es ganz einfach auch gut miteinander haben.

Polizei war diskret
Weil nicht eine drohende Eskalation das Ereignis war, hörte man plötzlich auch die Botschaften viel deutlicher: Politische Analysen zum Beispiel über die andauernde Gefahr des Faschismus oder über Sexismus wurden verlesen. Und die Medien wurden bezichtigt, beim letztjährigen Abendspaziergang auf die Propaganda der Polizei hereingefallen zu sein.
Diesmal hielt sich die Polizei zurück, verfolgte «ihre deeskalierende Strategie», wie sie in einer Medienmitteilung festhält. Die durch die Kantonspolizei verstärkte Stadtpolizei stand zwar bereit. Aber sie hielt sich im Hintergrund.

Kommentar
Jetzt etwas Respekt
Es mag durchaus sein, dass die Medien – also auch diese Zeitung – im Nachzug zum letztjährigen Abendspaziergang etwas dramatisiert haben. Aber das gleiche tun die Demonstranten bei jedem polizeilichen Eingriff in noch viel stärkerem Mass. Und natürlich hat es im Vorfeld des diesjährigen Abendspaziergangs, wie das «Bündnis alle gegen rechts» schreibt, auch Hetze gegeben. Aber nicht nur.
Die durch den Abendspaziergang 2002 und vor allem die Anti-WEF-Nachdemo im Januar dieses Jahres gefährlich aufgeladene Stimmung musste dringendst entspannt werden. Was die Demo-Organisatoren Hetze nennen, war weitgehend Ausdruck der Befürchtung, dass noch mehr Gewalt noch mehr kaputt-macht: letztlich auch die jahrelange Aufbauarbeit im Kulturzentrum Reitschule. Es waren keineswegs nur Rechtsbürgerliche, die gefordert hatten, dass es Gewalt so wie im Januar nicht mehr geben darf. Auch jene, die zur Demo aufgerufen haben, waren sich darüber offenbar einig: Sonst hätten sie sich am Samstag kaum so viel Mühe gemacht, darauf zu achten, dass gewisse Verhaltensregeln – zum Beispiel das Sprayverbot – strikt eingehalten werden.
Mit der gewaltfreien, in der Sache unversöhnlichen, im Auftreten aber friedlichen Demonstration hat die antifaschistische Jugendbewegung viel Glaubwürdigkeit zurückgewonnen. Die Ernsthaftigkeit und das Engagement, mit denen sie sich Themen wie Faschismus, Sexismus oder des drohenden Kriegs annimmt, verlangt Respekt. Das müssten nun auch jene einsehen, die tatsächlich lieber hetzen als differenzieren, wenn es um die Reitschule und ihr Umfeld geht.