Armee sucht Mithilfe bei Aufstandsbekämpfung in der Reitschule
Inhalt:
1. Communiqué
2. Brief der Armee
3. Medien
1. Communiqué (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2003/07/12654.shtml)
Presseerklärung der Anti-WTO Koordination Bern, Antifa Bern, Jugend gegen Krieg und Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule:
Keine Mithilfe bei der „Verbesserung“ von Militäreinsätzen gegen Protestierende!
Zwei Mitarbeiter vom Pädagogisch-Psychologischen Dienst der Schweizer Armee (PPD) haben die AktivistInnen des autonomen Kulturzentrums Reitschule für Mithilfe bei der Erstellung eines Lehrmittels für Armeeangehörige angefragt. Damit sollen die Soldaten besser für „subsidiäre Dienste“, wie zum Beispiel bei Demonstrationen, vorbereitet werden. Die Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (IKuR), die Anti-WTO Koordination Bern, die Antifa Bern und die Jugend gegen Krieg, welche alle im Kulturzentrum Reitschule aktiv sind, lehnen die Zusammenarbeit mit der Armee mit aller Entschiedenheit ab. Statt einer Verbesserung der Militäreinsätze gegen die Bevölkerung fordern wir die Abschaffung derartiger Einsätze.
Anfang Juli bekam die Reitschule Bern von zwei Herren des psychologisch-pädagogischen Diensts der Schweizer Armee (PPD) Besuch. Sie erhofften sich Mithilfe von AktivistInnen bei einer Evaluation von subsidiären Armeeeinsätzen und der Erstellung eines Lehrmittels für Soldaten. Auf Aufforderung der Angesprochenen formulierte der PPD sein Anliegen schriftlich (siehe Anhang). Ziel des Projekts mit dem Namen „Aggression“ sei es, schrieb der PPD, die Armee-Angehörigen mit einem Lehrmittel besser auf subsidiäre Militäreinsätze zur Wahrung der „inneren Sicherheit“ wie rund um den G8-Gipfel in Evian oder das Weltwirtschaftsforum in Davos vorzubereiten und die Einsätze damit zu verbessern. Als Problemfeld betrachten die Herren des PPD insbesondere die persönlichen Konflikte von Soldaten, die „sich mit den Menschen im Demonstrationszug ebenfalls verbunden fühlen und deren Beweggründe und politische Ansichten u.U. sogar teilen“.
Wir nehmen hierzu wie folgt Stellung: Es ist nicht in unserem Interesse, die Gewissenskonflikte von Soldaten, die gegen DemonstrantInnen eingesetzt werden, zu beschwichtigen oder zu verringern. Statt dessen möchten wir die Soldaten dazu ermutigen, solche Einsätze grundsätzlich offen abzulehnen und sich an das im Vorfeld des G8-Gipfels entstandene Soldatenkomitee zu wenden ( http://g8verweigerung.ch.vu/). Das Soldatenkomitee unterstützt Soldaten, die einen Militäreinsatz gegen die demonstrierende Bevölkerung nicht leisten wollen und einen Ausweg suchen.
Wir sehen in der geplanten Studie weiter den Trend, das neue Betätigungsfeld der Armee im Innern zu konsolidieren oder gar auszubauen. Der subsidiäre Einsatz von Milizsoldaten zum Schutz von Gipfeltreffen soll zum Normalfall werden, was wir mit aller Vehemenz ablehnen. Während die Behörden anlässlich des Armeeeinsatzes am G8-Gipfel noch beteuerten, dass Soldaten nur im Hintergrund eingesetzt würden und mit den DemonstrantInnen nicht in Kontakt kämen, scheint jetzt ein Ausbau des Einsatzbereichs anzustehen: Die Soldaten, so schreibt der PPD in seiner Anfrage, sollen das „Rüstzeug“ bekommen, um „mit Konfliktsituationen und dem damit verbundenen Stress besser fertig zu werden“. Wir verstehen dies dahingehend, dass künftig der direkte Kontakt von Armeeangehörigen mit protestierenden Menschen nicht mehr kategorisch ausgeschlossen wird. In diesem Zusammenhang ist auch die Erteilung des Schiessbefehls an die aufgebotenen Soldaten anlässlich des Einsatzes der Schweizer Armee rund um das G8-Treffen in Evian zu sehen. Was dies bedeuten könnte, zeigen die Ereignisse während einer antifaschistischen Demonstration in Genf aus dem Jahr 1932: Hier schossen Milizsoldaten auf die demonstrierenden Menschen, wobei 13 getötet und über 60 verletzt wurden.
Es ist unser Recht und Teil unserer sozialer Verantwortung, gegen Gipfeltreffen zu protestieren, an denen die Mächtigen militärische und soziale Kriege planen und vorantreiben, die für Millionen von Menschen verheerende Auswirkungen haben. Wir wehren uns sowohl gegen die Beschränkung der Rechte der Bevölkerung sowie gegen Militäreinsätze rund um die Gipfeltreffen. Daher erachten wir die Anfrage des PPD, bei der „Verbesserung“ von Militäreinsätzen gegen die demonstrierende Bevölkerung mitzuhelfen, als absurd. Wir lehnen jegliche Mitarbeit bei der „Verbesserung“, bzw. subtileren Ausgestaltung der Militäreinsätze vollumfänglich ab. Statt dem Ausbau der Repression und der Schaffung von gesellschaftlicher Akzeptanz dafür, fordern wir, dass keine Soldaten mehr gegen Demonstrierende und für die Wahrung der sog. „inneren Sicherheit“ eingesetzt werden dürfen.
Der PPD bat uns in seinem Brief, die Anfrage zur Mitarbeit bei diesem Projekt an andere GegnerInnengruppierungen von Gipfeltreffen weiterzuleiten, falls wir nicht daran teilnehmen wollten. Wir werden dies aus den oben genannten Gründen nicht tun und hoffen, dass alle anderen linken Gruppierungen, welche diesbezüglich vom PPD kontaktiert wurden, die Kollaboration mit der Armee ebenfalls verweigern. Gemeinsam für eine Abschaffung von Militäreinsätzen gegen die demonstrierende Bevölkerung!
Bern, 16.7.2003,
2. Brief der Armee (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2003/07/12654.shtml)
Anfrage des Psychologisch-Pädagogischen Dienstes der Armee, erhalten am 2. Juli 2003
Sehr geehrtes Kollektiv
Der Psychologisch-Pädagogische Dienst der Armee PPD befasst sich zur Zeit unter anderem mit einem Projekt das den Namen Aggression trägt. Worum geht es in diesem Projekt, werden Sie fragen, und was hat dieses Projekt mit Ihnen zu tun? Die Armee befindet sich im Wandel. Sie muss sich dem Wandel der Gesellschaft anpassen und versuchen im Rahmen ihres Auftrags auf deren Bedürfnisse einzugehen.
Das Projekt wurde vom PPD iniziiert und steht unter der Leitung des Chefs dieses Dienstzweigs. Ziel des Projekts ist es, ein Lehrmittel zu Gunsten der Angehörigen der Armee zu erstellen. Die Milizsoldaten, welche sich in der Lage finden, in subsidiären Einsätzen wie G8 oder WEF und ähnlichem eingesetzt zu werden, sollen mental auf solche Einsätze vorbereitet werden. Wenn wir den Begriff Milizsoldaten benutzen, dann meinen wir damit Privatleute, die einen solchen Einsatz leisten müssen, vielleicht ohne dies mit viel Motivation tun zu wollen, weil sie sich den Menschen im Demonstrationszug ebenfalls verbunden fühlen und deren Beweggründe und politische Ansichten u.U. sogar teilen. Diesen Soldaten wollen wir das Rüstzeug mitgeben, mit Konfliktsituationen und dem damit verbundenen Stress besser fertig zu werden, damit es nicht zur Eskalation kommt. Die Zielsetzung zeigt auf eine deeskalierende Haltung und Verständnis gegenüber konfliktträchtigen Situationen, wie sie zum Beispiel anlässlich von Demonstrationszügen leider häufig vorkommen.
Dazu bitten wir Sie um Ihre Mithilfe. Teil des Projekts Aggression ist es, Interviews mit Personen aus Armee und Polizeikorps durchzuführen, welche über ihre Erfahrungen mit Ordnungsdienst-Einsätzen und dem Umgang mit Aggressionen und Konfliktsituationen berichten. Uns ist aber wichtig, nicht nur die Kräfte auf der einen Seite zu Wort kommen zu lassen, sondern im Gegenzug auch die Meinung und die Erfahrungen der Gegenkraft einfliessen zu lassen. Unsere Absicht ist ausdrücklich ein Gleichgewichtsverhältnis zur gegenseitigen Verständigung zu schaffen, wo auch andere Meinungen als die der „Ordnungskräfte“ eine Plattform finden. Diese Interviews finden zum Teil nach einem für alle gleich bleibenden Frageschema statt. Ebenfalls steht Raum offen, um über persönliche Eindrücke zu sprechen.
Die Interviews werden auf Video aufgezeichnet und nach der Auswertung durch uns als Kurzsequenzen in die Präsentation einfliessen. Wir verfolgen das Ziel, prägnante Meinungen und Aussagen zu erhalten, um den Angehörigen der Armee eine praxisnahe Präsentation bieten zu können. Die Menschen, die sich bereit erklären, uns für eine gute Sache zur Verfügung zu stehen, müssen damit einverstanden sein, dass sie gefilmt werden und ihre Erklärungen in ein Lehrmittel der Armee einfliessen wird. Den Personen, die sich uns zur Verfügung stellen, um ihre Eindrücke zu schildern,sichern wir äusserste Diskretion zu.
Wir würden uns freuen, wenn Sie sich mit uns in Verbindung setzen würden, um Einzelheiten zu erläutern und offene Fragen zu beantworten. Möglicherweise sind Sie nicht der richtige Ansprechpartner für unser Anliegen. Dann wären wir erfreut, wenn Sie sich bereit erklären könnten, uns an die Antifa-Bewegung zu empfehlen. Auf Ihre wohlwollende Antwort hoffend verbleiben wir.
Psychologisch-Pädagogischer Dienst PPD
Projektleiter Aggression / PPD
Fachof Dominik Messerli & Michael Riesen
3. Medien (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2003/07/12705.shtml)
-Bund 18.7.03
Offiziere in der Reitschule
STADT BERN In zivil statteten zwei Offiziere des Pädagogisch-Psychologischen Dienstes der Schweizer Armee der Reitschule einen Besuch ab. Das Ziel: Herstellung von Kontakten für das Projekt «Aggression» ein Lehrmittel für Soldaten zum Umgang mit Demonstranten. (cvb)
Zwei Offiziere zu Besuch in der Reitschule
Für ein Lehrmittel zum Umgang mit Demonstranten suchte das VBS direkten Kontakt zur Antifa-Bewegung diese will das Projekt aber nicht unterstützen
Der Psychologisch-Pädagogische Dienst der Armee will mehr über das Innenleben von Demonstranten erfahren, damit Soldaten in Konfliktsituationen besser reagieren können.
Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostens sucht die Schweizer Armee nach neuen Aufgabenfeldern. Nicht genug, dass sie Sturmholz wegräumt und bei Sportanlässen Support bietet: Sie schützt inzwischen am Rande von Demonstrationen auch wichtige Gebäude. Bei solchen Einsätzen können Soldaten auch in Kontakt mit Demonstranten kommen. Um mit dem «damit verbundenen Stress besser fertig zu werden» und «damit es nicht zur Eskalation» kommt, plant der Pädagogisch-Psychologische Dienst der Armee (PPD) nun ein Lehrmittel für Soldaten. Dieses Projekt trägt den Namen «Aggression». Dabei soll nicht nur die Sicht von Soldaten und Polizisten ein Thema sein. Damit sie eine «deeskalierende Haltung» einnehmen und «mehr Verständnis gegenüber konfliktträchtigen Situationen» aufbringen können, müssen sie auch das Innenleben der Demonstrierenden besser kennen lernen so die Überlegungen zweier Fachoffiziere des PPD. Folgerichtig legten die beiden ihre Uniformen ab und begaben sich in die Berner Reitschule, um direkten Kontakt zur antifaschistischen Bewegung zu suchen.
«Sehr geehrtes Kollektiv»
Dort stiessen sie auf wenig Verständnis für ihr Anliegen: Wenn sie etwas wollten, sollten sie ein offizielles Schreiben verfassen. «Meine Leute wurden sozusagen auf den Dienstweg verwiesen», sagt Peter Bolliger, Chef des PPD, «solchen Amtsschimmel hätten wir in der Reitschule nicht erwartet.» Die beiden Fachoffiziere liessen nicht locker und fassten ihre Anfrage schriftlich ab. «Sehr geehrtes Kollektiv», begannen sie ihr Schreiben und holten aus: Die Armee befinde sich im Wandel, denn sie müsse sich dem Wandel der Gesellschaft anpassen und «versuchen, im Rahmen ihres Auftrags auf deren Bedürfnisse einzugehen». Milizsoldaten, welche «in subsidiären Einsätzen wie G-8 oder WEF» eingesetzt werden, sollten sich mit dem geplanten Lehrmittel «mental auf ihre Einsätze vorbereiten». Denn Soldaten, die solche Einsätze leisten müssten, täten dies «vielleicht ohne viel Motivation, weil sie sich den Menschen im Demonstrationszug ebenfalls verbunden fühlen und deren Beweggründe und politische Ansichten unter Umständen sogar teilen». In ihrem Brief bitten die beiden Offiziere die Reitschul-Aktivisten um Mithilfe auf der Suche nach Personen, die bereit sind, über ihren «Umgang mit Aggressionen und Konfliktsituationen» offen zu sprechen und sich für das geplante Lehrmittel interviewen und filmen zu lassen. Möglicherweise sei das Kollektiv nicht der richtige Ansprechpartner, schliessen die beiden Offiziere. «Dann wären wir erfreut, wenn Sie sich bereit erklären könnten, uns an die Antifa-Bewegung zu empfehlen.»
«Nicht in unserem Interesse»
Die Anti-WTO-Koordination Bern, die Antifa Bern, die Vereinigung Jugend gegen den Krieg und auch die Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule dachten jedoch nicht im Traum daran, dem Anliegen der Armee zu entsprechen. Stattdessen setzten sie dem Schreiben der beiden Offiziere eine eigene Stellungnahme voran und wandten sich damit an die Presse: «Es ist nicht in unserem Interesse, die Gewissenskonflikte von Soldaten, die gegen DemonstrantInnen eingesetzt werden, zu beschwichtigen oder zu verringern», schreiben die Reitschul-Aktivisten. Sie möchten die Soldaten im Gegenteil dazu ermutigen, solche Einsätze offen abzulehnen. Die Aktivisten äusserten zudem die Befürchtung, dass die Armee entgegen ihren Beteuerungen den direkten Einsatz von Soldaten gegen Demonstrierende plane. Der Chef des PPD dementiert: «Man will sicher keine Milizler auf Demonstranten loslassen», sagt Bolli. Er steht hinter seinen Mitarbeitern, die «ganz spontan» in die Reitschule gegangen seien. «Wenn diese Leute nicht mit uns zusammenarbeiten wollen, können wir sie nicht zwingen es gibt auch noch andere Demonstranten.»
-BZ 18.7.03
Moment mal Antifa gesucht
Wie geht die Armee in Friedenszeiten auf Kontaktsuche mit dem Feind? Sie tuts per Post. «Sehr geehrtes Kollektiv», lautet die Anrede eines Schreibens an die Interessengemeinschaft Reitschule (Ikur). «Wir bitten Sie um Ihre Mithilfe. » Viele Milizsoldaten hätten bei Demonstrationseinsätzen ein Problem. Sie teilten nämlich oft «die Beweggründe und politischen Ansichten» der Demonstrierenden. Dies führe zu Stress. Die «mentale Vorbereitung» der Armeeangehörigen beim Einsatz im Innern tue deshalb Not. Die Leute aus der Reitschule sollten doch ihre «prägnanten Meinungen» für ein Armeelehrmittel auf Video aufzeichnen lassen. «Möglicherweise sind Sie nicht der richtige Ansprechpartner», schreibt der psychologisch-pädagogische Dienst (PPD). «Dann wären wir erfreut, wenn Sie sich bereit erklären könnten, uns an die Antifa-Bewegung zu empfehlen. »
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich die ablehnende Stellungnahme der Reitschul-Leute vorzustellen. In einer Medienmitteilung rufen sie zum Boykott jeglicher Zusammenarbeit mit der Armee auf. «Ich dachte, wir probierens mal», sagt PPD-Chef Peter Bolliger. Er habe auf Eigeninitiative und nicht im Auftrag des VBS gehandelt. Zwei seiner Mitarbeiter hätten zuerst die Reitschule besucht, um Gesprächspartner zu finden. «Es war aber schwierig», resümiert der Oberst die Erfahrungen. «Es gibt in der Reitschule ja keine Hierarchie.