2006,  Antifaschismus

Urteil Schüsse auf Anti-G8 Aktivisten Thun

Inhalt:
1. Medienbericht


1. Medienbericht (Originalquelle: https://www.antifa.ch/extremistenkonflikt-artete-aus/ & https://www.antifa.ch/sechs-jahre-zuchthaus-fur-schutzen/)
BernerRundschau: Extremistenkonflikt artete aus
Bei einer Demonstration 2005 in Thun gegen den G-8-Gipfel schoss ein Rechtsextremer einen Linksaktivisten nieder. Der Staatsanwalt fordert sieben Jahre Zuchthaus wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Das Urteil fällt das Thuner Kreisgericht heute.
Ein 27-jähriger Mann, der im Sommer 2005 bei einer Kundgebung in Thun einen Globalisierungsgegner angeschossen hatte, soll für sieben Jahre ins Zuchthaus. Sein Verteidiger plädierte dagegen für einen Freispruch. Der Mann habe in Notwehr gehandelt. Der 27-Jährige stand am Dienstag wegen versuchter vorsätzlicher Tötung vor dem Kreisgericht Thun. Das Urteil soll heute eröffnet werden. Der Staatsanwalt plädierte für eine unbedingte Zuchthausstrafe von sieben Jahren.

«Gewalttätiger Waffennarr»
Der Staatsanwalt ging mit dem Angeklagten hart ins Gericht. Er bezeichnete diesen als gewalttätigen Waffennarr. Dessen uneinsichtige Gesinnung ziehe sich wie «ein brauner Faden» durch sein bisheriges Leben. Mit den Schüssen habe der Angeklagte den Tod des Privatklägers und weiterer Personen in Kauf genommen, ohne dass Grund zur Notwehr bestanden hätte. Der Rechtsvertreter der Privatklägerschaft beantragte wie die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Der Angeklagte habe jede Menge Fluchtwege gehabt. Es habe keinen triftigen Grund gegeben, «sich den Weg freizuschiessen».
Dagegen sprach die Verteidigung von einer Notwehrsituation. Der Angeschuldigte sei lediglich wegen wiederholten Widerhandlungen gegen das Waffengesetz, die er nicht bestreite, zu einer maximalen Freiheitsstrafe von zwei Monaten zu verurteilen.

Drei Schüsse abgegeben
Insgesamt drei Schüsse fielen am 9. Juli 2005 kurz vor Mitternacht beim Bahnhof Thun. Zu jener Zeit hatten sich Globalisierungsgegner im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel in Schottland in einem dreitägigen Camp versammelt. Ein heute 18-jähriger Mann erlitt einen Oberschenkeldurchschuss. Zur Schussabgabe kam es, weil eine Gruppe von Linksaktivisten drei bis vier Rechtsextreme mit einem Feuerwerkskörper, Steinen, Flaschen und dem Ruf «Nazis raus» vom Bahnhof vertreiben wollte, wie das nachmalige Opfer gestern vor Gericht sagte. Der Schreinerlehrling trat als Privatkläger auf.
Der Angeklagte sagte, er habe sich von den heranstürmenden Linken bedroht gefühlt, nachdem er im Vorfeld des Camps anonyme Droh-anrufe erhalten habe. Über den Ablauf der Schussabgabe verstrickte sich der Angeklagte, der über ein beachtliches Vorstrafenregister verfügt, in Widersprüche gegenüber der Voruntersuchung.

Angeblicher Gesinnungswandel
Als der Staatsanwalt den Angeklagten über seine gerichtlich mehrfach dokumentierte rechtsextreme Gesinnung befragte, sagte er, dass er der rechten Szene vor zwei Jahren vollkommen abgeschworen habe. Seinen Gesinnungswandel begründete er mit der Geburt seiner Tochter. Zudem habe er von seiner Gross-mutter erfahren, dass diese während des Zweiten Weltkrieges in einem Konzentrationslager in Deutschland interniert gewesen sei. Beim gestrigen Gerichtstermin gab er an, Hakenkreuztätowierungen auf seinen Armen sowie das Wort «Hass» auf seinem Hals, welches er mit einem grossen Pflaster verdeckt hatte, wolle er operativ entfernen lassen. Von bestimmten Ex-Kollegen aus der rechten Szene fühle er sich allerdings bedroht, weshalb er die Szene auch nicht vollständig und aktiv über seinen Ausstieg informiert habe.

BernerZeitung: Sechs Jahre Zuchthaus für Schützen
Im Juli 2005 schoss ein ehemaliger Rechtsradikaler beim Bahnhof Thun auf einen Linksaktivisten. Das Kreisgericht Thun verurteilte gestern den Schützen zu sechs Jahren Zuchthaus und zur Zahlung einer Genugtuung.
Gestern eröffnete das Kreisgericht Thun unter dem Vorsitz von Jürg Santschi das Urteil: Der angeklagte Schütze T. R., ein 27-jähriger Mann aus der Region Thun, wurde wegen vollendeter versuchter vorsätzlicher Tötung zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Zudem schuldet er dem Opfer 4000 Franken Genugtuung sowie Schadenersatz für dessen dreiwöchigen Arbeitsausfall.
Im Juli 2005 hatte ein Camp von Globalisierungsgegnern gegen den G-8-Gipfel in Thun stattgefunden. Als sich eine Gruppe Linksaktivisten in Richtung Bahnhof bewegte, traf sie dort drei Rechtsextreme. Einer der Rechtsradikalen gab drei Schüsse in Richtung der Globalisierungsgegner ab. Ein damals 17-jähriger Mann erlitt dabei einen Oberschenkeldurchschuss.

Tathergang umstritten
Der genaue Tathergang war unklar. Umstritten war beispielsweise, ob die vermummten Linksaktivisten zum Zeitpunkt der Schussabgabe auf den Schützen zurannten sowie mit Flaschen und Steinen warfen. So sagte zumindest der nach eigenen Angaben Ex-Rechtsradikale T. R. vor Gericht aus. Die Kollegin des Angeklagten, welche in der Nähe des Schützen stand, sagte während einer Befragung aus, dass die Linksaktivisten nur im Begriffe waren, auf sie zuzurennen. Zu diesem Zeitpunkt habe niemand mit Steinen oder Flaschen geworfen.

Gerichtspräsident Jürg Santschi erachtete das Aussageverhalten der Kollegin des T. R. als ausgesprochen glaubwürdig. Sie habe in der Befragung Details erwähnt, die sich niemand ausdenken würde. «Somit lag keine Notwehrsituation vor. Ein Angriff war zum Zeitpunkt der Schussabgabe nicht in Gang», führte Santschi aus. «Der Angeklagte nutzte die Gelegenheit aus, um gegen die Linken ein Zeichen zu setzen.» Jürg Santschi äusserte denn auch seine Bedenken, ob sich der Angeklagte zum Tatzeitpunkt tatsächlich von den Rechtsradikalen abgewendet hatte.
Das Gericht musste weiter beurteilen, ob der Angeklagte gezielte Schüsse auf die Globalisierungsgegner abgab, wie dies T. R. vorgestern in der Hauptverhandlung geltend machte.
«Die Aussage des Angeklagten in der Verhandlung diente nur der Taktik des Verteidigers», sagte Santschi. «Der Schütze gab ungezielt Schüsse in Richtung der Gruppe ab. Diese Leute standen nicht still wie eine Zielscheibe in einem Schiesskeller. Ein Schuss traf einen Baum auf einer Höhe von einem Meter und zehn Zentimetern. Hätte diese Kugel einen Menschen getroffen, hätte dies einen Bauchschuss bedeutet. Wer einen solchen Schuss abgibt, nimmt den Tod eines Menschen in Kauf», führte Gerichtspräsident Santschi weiter aus.

Dem Staatsanwalt gefolgt
Das Gericht folgte hiermit dem Antrag des Staatsanwaltes und verurteilte den Angeklagten wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Das Kreisgericht empfand eine Strafe von sechs Jahren Zuchthaus als angemessen. Die sechs Vorstrafen des Angeklagten wirkten sich dabei verschärfend auf die Strafhöhe aus.
Im April 2003 war T. R. vom Kreisgericht Interlaken-Oberhasli zu elf Monaten Gefängnis bedingt verurteilt worden. Diese Strafe muss der Angeklagte nun ebenfalls absitzen.
Die letzte Bemerkung des Verurteilten: «Herr Schürch, wir sehen uns vor dem Obergericht in Bern!»