Obergericht Urteil Schüsse auf Anti-G8 Aktivisten Thun
Inhalt:
1. Medienbericht
1. Medienbericht (Originalquelle: https://www.antifa.ch/der-neonazi-der-2005-in-thun-einen-g8-kritiker-angeschossen-hat-muss-fur-sechs-jahre-hinter-gitter/)
Der Neonazi, der 2005 in Thun einen G8-Kritiker angeschossen hat, muss für sechs Jahre hinter Gitter
Bund
Obergericht reduziert Strafe
Das Obergericht korrigiert das Urteil des Thuner Kreisgerichts wegen versuchter vorsätzlicher Tötung um elf Monate nach unten. Die erste Instanz habe zu wenig gewichtet, dass der Schütze zuvor seinerseits von Linken angegriffen worden sei.
Stefan von Below
Die Schüsse fielen kurz nach Mitternacht. An jenem Abend Anfang Juli 2005 hatten Globalisierungskritiker in einer alten Fabrik im Thuner Selve-Areal ein «Basislager» gegen den G8-Gipfel in Schottland veranstaltet. Als eine rund 15-köpfige Gruppe von ihnen per Zug den Heimweg antreten wollte, stiess sie auf dem Bahnhofplatz auf den 26-jährigen Neonazi R. und zwei seiner Kollegen. Mit Knallpetarden, Stein- und Flaschenwürfen wollten die Linken die Rechten vertreiben, was ihnen zunächst auch gelang. Doch als sich R. bereits auf der Rampe zur Unterführung befand, kehrte er plötzlich um, zog eine geladene Pistole aus der Tasche und schoss dreimal in die Richtung der rund 20Meter entfernten Gegner. Ein 17-jähriger Mann erlitt einen Oberschenkeldurchschuss ? die beiden anderen Projektile richteten zum Glück bloss Sachschaden an.
Den Tod in Kauf genommen
Im Oktober 2006 verurteilte das Kreisgericht Thun den Schützen wegen mehrfachen Tötungsversuchs zu sechs Jahren Zuchthaus. R. habe zwar nicht mit direktem Vorsatz gehandelt, den Tod seiner Widersacher aber in Kauf genommen, argumentierte das Gericht. Ausserdem widerrief es den bedingten Vollzug für eine Strafe von elf Monaten Gefängnis aus dem Jahr 2003. Damals war R. unter anderem wegen Raufhandels, Körperverletzung und Rassendiskriminierung verurteilt worden. Insgesamt belief sich die Strafe also auf 83 Monate.
Damit fand sich der Verurteilte jedoch nicht ab, sondern zog den Fall ans Obergericht weiter. R. ? «ein äusserst guter Schütze» ? habe seine Schüsse absichtlich so abgegeben, «dass sie keineswegs eine tödliche Verletzung zufügen konnten», schreibt sein Verteidiger im schriftlichen Parteivortrag. Damit habe er sich höchstens einer einfachen Körperverletzung schuldig gemacht. Angesichts des «Angriffs von einer Horde Linksextremisten» sei er jedoch seinerseits in Lebensgefahr gewesen und habe somit in legitimer Notwehr gehandelt, als er geschossen habe. Damit sei er vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung freizusprechen und unverzüglich aus dem Gefängnis zu entlassen ? natürlich unter Ausrichtung einer Entschädigung.
«Unüberlegt und ungezielt»
Mit dieser Argumentation konnte das Obergericht indes wenig anfangen. Es könne weder von gezielten Schüssen noch von einer Notwehrsituation die Rede sein, sagte der vorsitzende Oberrichter Peter Zihlmann bei der gestrigen Urteilseröffnung. Im Moment der Schussabgabe habe für R. keine unmittelbare Bedrohung mehr bestanden. Gemäss seinen Aussagen kurz nach der Tat sei davon auszugehen, dass er «unüberlegt und ungezielt» in Richtung der G8-Kritiker geschossen habe. «Dabei nahm er in Kauf, dass es Tote geben könnte.»
Dennoch korrigierte das Obergericht das Urteil des Thuner Kreisgerichts um elf Monate nach unten und sprach eine Freiheitsstrafe von insgesamt sechs Jahren aus ? den Widerruf der bedingten Strafe aus dem Jahr 2003 eingerechnet. Die Vorinstanz habe die subjektive Situation des Angeschuldigten im Tatzeitpunkt «etwas zu wenig gewichtet», sagte Zihlmann. Immerhin sei seinen Schüssen ein Angriff der zum Teil vermummten Linken vorausgegangen. «Die Situation war relativ ungemütlich.»
Trotzdem bleibt unklar, was R. mit seinen Schüssen eigentlich bezweckte. Das Obergericht vermutet, er habe «den Spiess umdrehen» und seinerseits die Linken vertreiben wollen. Der Staatsanwalt geht in seinem schriftlichen Parteivortrag eher davon aus, R. habe seiner erklärtermassen nationalsozialistischen Gesinnung gemäss «den Linken eins auswischen» und «ein Zeichen setzen» wollen. Die angebliche Abkehr vom rechtsextremen Gedankengut zieht er in Zweifel ? zumal sich R. jüngst auch auf dem Thorberg gegenüber Mithäftlingen rassistisch geäussert habe.