2008,  Repression

Gummischrotprozess Obergericht

Inhalt:
1. Communiqué


1. Communiqué (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2008/04/59379.shtml)
Ein Berner Aktivist, der an einer Demo im Dezember 2003 durch eine Gummischrot-Salve am linken Auge schwer verletzt wurde, verklagte den Gummischrot-Schützen. Nachdem letztes Jahr der Polizist in 1. Instanz freigesprochen wurde, folgte gestern der Prozess vor Obergericht. Auch dort ein Freispruch.
Freipass für Gummigeschosseinsätze: augenauf Bern kritisiert De-facto-Straflosigkeit der Polizei
Die Menschenrechtsgruppe augenauf Bern äussert starke Bedenken am Entscheid des Obergerichts Bern im Prozess gegen einen Berner Polizisten. Das Obergericht hat den Polizeibeamten in zweiter Instanz vollumfänglich freigesprochen. Dieser wurde beschuldigt, den Kläger David Böhner anlässlich einer Demonstration gegen eine Feier für die Armee XXI am 16.12.2003 mit einem Gummigeschoss aus kurzer Distanz am linken Auge schwer verletzt zu haben. Die Schäden sind irreversibel und die Sehleistung des betroffenen Auges wird massiv eingeschränkt bleiben.

In der mündlichen Urteilsverkündung des Obergerichts wurde der Freispruch primär damit begründet, dass nicht einwandfrei geklärt sei, ob der reglementarisch vorgegebene Mindestabstand von 20 Metern bei der Schussabgabe tatsächlich unterschritten wurde. Zudem sei es auch für einen erfahrenen Schützen nicht so einfach die Mindestdistanz abzuschätzen. Das Gericht hat jedoch einen Antrag des Klägers abgelehnt, die existierenden Videoaufnahmen wissenschaftlich analysieren zu lassen und so die genaue Distanz zwischen Opfer und Täter zu ermitteln. Auf die Frage, ob die Schussabgabe in der betreffenden Situation überhaupt verhältnismässig war, wurde in der mündlichen Urteilsverkündung nicht weiter eingegangen. Ebenso unerwähnt blieben die erheblichen Gefahren, die der Einsatz von Gummischrot generell mit sich führt, sowie die daraus resultierende gebotene Zurückhaltung beim Einsatz dieses Kampfmittels.

Das Urteil des Obergerichts reiht sich ein in eine ganze Kette von Verfahren gegen Fehlverhalten von PolizistInnen, die entweder eingestellt wurden oder mit einem Freispruch der Angeschuldigten endeten. In den meisten Fällen wird dies damit begründet, dass nicht genügend Beweise vorliegen oder der Einsatz der beschuldigten Polizeikräfte verhältnismässig und notwendig für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit war. Diese Praxis führt zu einer De-facto-Straflosigkeit, die es praktisch verunmöglicht, auf juristischem Weg gegen Fehlverhalten von PolizistInnen vorzugehen und kommt damit einem Freipass für PolizistInnen im Einsatz gleich.

Der Fall Böhner verdeutlicht einmal mehr die immense Gefahr die von Gummigeschosseinsätzen ausgeht. Das Abfeuern von Gummigeschossen mit sogenannten Mehrzweckwerfern führt immer wieder zu schwerwiegenden Verletzungen, vor allem im Bereich Hals, Kopf und Augen. Selbst unter Einhaltung der Mindestdistanz von 20 Metern sind mehrere Fälle von schweren Verletzungen dokumentiert. Die grosse Streuung der Projektile verunmöglicht eine exakte Bestimmung der Schussrichtung, so dass bei grösseren Menschenansammlungen oft auch unbeteiligte Personen unter Beschuss geraten. Ebenfalls kann bei keinem Gummigeschosseinsatz gewährleistet werden, dass weder Hals, noch Kopf oder Augen der betroffenen Personen verletzt werden. Dennoch wird dieses Einsatzmittel gerade an Demonstrationen mit einer erschreckenden Leichtfertigkeit eingesetzt. So werden Gummigeschosse regelmässig gegen Menschenansammlungen angewendet, von denen keine konkrete Bedrohung ausgeht und häufig bevor verfügbare mildere Mittel ausgeschöpft wurden. Auch der Sicherheitsabstand von 20 Metern wird in der Praxis regelmässig unterschritten. Gummigeschosse sind somit als äusserst gefährliche und unberechenbare Waffe einzustufen und für den Einsatz an Demonstrationen völlig ungeeignet.

Augenauf Bern