2008,  Antifaschismus,  Antikapitalismus,  Demo,  Freiraum,  Repression

Reclaim the Streets verhindert

Inhalt:
1. Aufruf Autonome Gruppe Bern
2. Aufruf
3. Communiqué
4. Bilder
5. Erlebnisbericht

1. Aufruf Autonome Gruppe Bern (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2008/03/58256.shtml)
Vor der Fussball-EM und nach dem 6. Oktober – und dem darauf folgenden Bern-Bashing von Bürgerlichen und Medien – putzt sich die Stadt nun heraus. Neben UEFA-Einheitsbrei sowie steigenden Preisen bedeutet das zu berndeutsch, neue, teurere, bessere, repressivere Sicherheits- und Sauberkeitspolitik ebenso wie Freiheitseinschränkungen. Viel mehr Polizei, weg mit Junkies, BettlerInnenn und allen anderen als „Randständige“ bezeichneten Menschen, neues Bahnhofreglement, weg mit der Gassenküche, zum Abschuss frei gegebene DemonstrantInnen.
Natürlich ist das alles nicht ganz neu, doch mit welchem Einklang und Fanatismus gegenwärtig gegen alles, was nicht dem bürgerlichen bis svp-braunen Gesellschaftsverständnis entspricht, losgeschossen wird, macht Angst, entfacht aber auch unsere Wut und zwingt uns erst recht zu kämpfen!
Für den 17. Mai 2008 rufen wir zu einer mobilen Strassenparty auf. Wir sind mit ein Teil dieser Stadt, auch wenn wir – oft bewusst – in der offiziellen Politik kaum vertreten sind. Bern gehört nicht den Wirschaftsbossen, BerufspolitikerInnen und „guten“ SteuerzahlerInnen, sondern allen.
Ein aktuelles Beispiel ist die Bauwagengruppe „Stadttauben“, die sich seit geraumer Zeit im Wochentakt einen neuen Standort suchen muss. Auch wenn sich die Behörden weigern, diese Menschen ernst zu nehmen und sie aus ihren Häusern und von ihren Plätzen vertreiben, sind sie dennoch ein Teil dieser Gesellschaft.
Es braucht Platz für Kultur jenseits von Mainstream und Kommerz. Doch die Behörden geben sich grosse Mühe, Ansätze und Projekte zu sabotieren. Lieber Party-Tempel und klingelnde Kassen als alternative Non-Profit-Kultur.

Bern hat eine radikale linke Bewegung, die nicht schweigt!
Reclaim the Street – 17. Mai 2008 – 18.30 Uhr – Schützenmatte – Bern
Autonome Gruppe Bern / RTS-Kollektiv


2. Aufruf (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2008/05/59991.shtml)
Ize längts!
Unter dieser Ansage fordert eine nach dem 6.Oktober 2008 von Berner Wirtschaftsbossen ins Leben gerufene Petition ein Bettelverbot in der ganzen Stadt Bern, die Vertreibung der Drogenabhängigen aus dem sonst ja ach so unansehnlichen Stadtbild; öffentliches Fixen soll verhindert werden. Anstatt Probleme zu lösen und Menschen in Notlagen zu helfen, werden unschöne Realitäten mit fadenscheinig argumentierter Repression beantwortet – ganz nach dem Motto „aus den Augen aus dem Sinn“. Die Reithalle, „der Schandfleck von Bern“, soll während Demonstrationen ganz geschlossen, unbewilligte Kundgebungen an sich im Keim erstickt werden.

Von ArbeitnehmerInnen und GewerkschafterInnen über Jahre hinweg erkämpfte Arbeitsbedingungen, die nicht mehr gerade dem Mittelalter entsprechen, werden über den Haufen geworfen, damit die Leute ihr Geld noch schneller und vor allem länger ausgeben können.
Grundrechte wie zum Beispiel Meinungs- und Versammlungsfreiheit, werden ignoriert, es sei denn, einflussReiche PolitikerInnen, wie ein gewisser Herr Blocher, beschweren sich über die Nichteinhaltung von Grundrechten. So kommt der SVP der Antirassismus Artikel in die Quere; Herr Blocher beschwerte sich am 6. Oktober in seiner Rede lautstark über die Nichteinhaltung der Meinungsfreiheit, auch wenn er diese nur dazu missbrauchen würde, um sein rassistisches Gedankengut kundzutun. Im Namen des Kapitalismus und des Konsums wird die Meinungsfreiheit beschnitten, gar verhindert, es sei den sie kommt der kapitalistischen Konsumgesellschaft zu gute. In diesem Fall für eine dreckige und primitive, menschenverachtende und rassistische Wahlkampfpropaganda.
Gehen „normale“ Bürger auf die Strasse, sieht es mit der Toleranz etwas anders aus. Die KonsumentInnen sollen sich von Schaufenster zu Laden bewegen können, ohne dass ihnen protestkundige DemonstrantInnen, Dorgenabhängige, BettlerInnen, etc. den Weg zu den neusten Artikeln und Ausverkaufswühlkisten „versperren“. Sogenannte Randgruppen werden vertrieben, obwohl ebenso ein Teil unserer Gesellschaft. Zahlkräftige KundInnen werden wortwörtlich wie KönigInnen behandelt; das Gesetz wird vom solventen Volk geschrieben, den Bonzen, alle anderen sollen die Fresse halten und sich verpissen.
Die Andersdenkenden, -lebenden, -aussehenden… , sollen möglichst unsichtbar werden. Das Stadtbild soll für den zahlungsfähigen Mob gereinigt werden, ihnen nicht den Spass am „Lädele“ nehmen.
Der Öffentliche Raum wird mehr denn je privatisiert, gilt nur noch für eine bestimmte Zielgruppe als öffentlich. Den „Raum für alle“ mitzugestalten ist kaum möglich, auch hier gelten die Diktate des zahlenden und somit herrschenden Teils unserer Gesellschaft. Andersdenkende- und aussehende gehören nicht dazu, sie werden mit Reglementen, scheinheiligen Verordnungen und willkürlichen Wegweisungen an den Rand getrieben, wo auch immer der sein mag, Hauptsache dort, wo mensch ihn nicht mehr sehen und hören kann.

Casa Blanca!?
Zitat aus der aktuellen Website zu Casa Blanca:
„Die Innenstadt in einer zweimonatigen «Initialreinigung» von Graffiti zu befreien und neu entstehende Sprayereien binnen 48 Stunden zu entfernen: das ist das Ziel der Aktion «Casa Blanca».
Ab dem 4. April 2008 werden Mauern und Gebäudefassaden von entsprechend versicherten Eigentümern im Innenstadtperimeter während 1 bis 2 Monaten fachgerecht von Schmierereien und Verunstaltungen befreit. Seit Anfang Dezember hatten Liegenschaftsbesitzerinnen und -besitzer die Gelegenheit, bei der Gebäudeversicherung Bern eine Zusatzversicherung «Gebäude TOP» abzuschliessen und von einem attraktiven Zusatzangebot des Vereins «Casa Blanca» zu profitieren. Pro Kalenderjahr und Objekt sind mit der Versicherung «Gebäude TOP» unter anderem Vandalenschäden von höchstens 1% der Versicherungssumme, jedoch maximal 5’000 Franken gedeckt. Übersteigen die Reinigungskosten diesen Maximalbetrag, übernimmt der Verein die Restkosten. Die Reinigung einer Fassade erfolgt somit für «Gebäude TOP»-Versicherte innerhalb des Aktionsradius von «Casa Blanca» kostenlos.“
Zwar nicht ganz kostenlos, aber mit einem gut verkauften Dienstleistungsangebot wird hier für die saubere Erscheinung des Stadtbildes gesorgt. Jedenfalls für die Sauberkeit der Gebäude, Strassen und Wände.

PINTO
Geht es um die Menschen die das Stadtbild prägen, ist Polizei und PINTO von Montag bis Samstag zwischen 11:00 und 23:00 Uhr auf der Gasse präsent.
PINTO, ein von der Direktion für Bildung, Soziales und Sport lanciertes Projekt, welches „intervenieren, vermitteln, helfen und hinschauen soll“.

Hier die Zitate aus ihrem Leitbild:
– Toleranz, Koexistenz und Rücksichtnahme von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im öffentlichen Raum fördern und ihn als Begegnungs- und Aufenthaltsmöglichkeit für alle Bevölkerungsgruppen offen halten.
– durch Präsenz im öffentlichen Raum Konflikte und deren Eskalation verhindern.
– direkt und unkompliziert soziale, sowie medizinische Hilfe anbieten.
Der Auftrag der PINTO ist in Grunde genommen nur, die störenden Randgruppen aus dem Stadtbild und den Augen zu vertreiben, nicht den Problemen zu begegnen oder diese ernsthaft zu lösen. Dies wird in weiteren Zielen des Leitbildes konkret zum Ausdruck gebracht:
– der Gefahr eines chronischen Aufenthalts auf der Gasse vorbeugen.
– störendes Verhalten auf ein tolerierbares Mass reduzieren.

Bahnhofreglement
Das Reglement soll nach der Neueröffnung des Bahnhofplatzes und der Christoffelunterführung in Kraft treten. Es würde den städtischen Teil des Bahnhofs – inklusive seiner näheren Umgebung – denselben repressiven Regeln und Verboten unterwerfen, welche die SBB bereits für ihren „privaten“ Teil des Bahnhofs aufgestellt haben.
Das Bahnhofreglement schafft ein Sonderrecht für einen Teil des öffentlichen Raumes.
Wir wollen nicht, dass dieses vorerst auf den Bahnhof beschränkte Sonderrecht zur Grundlage neuer Einschränkungen im übrigen öffentlichen Raum in unserer Stadt wird. Willkürliche Wegweisungen, erhöhte Polizeipräsenz und totale (Kamera-) Überwachung. Diese Entwicklung ist unter allen Umständen zu verhindern. Der öffentliche Raum gehört allen!

Wir wollen Öffentlicher Raum für alle statt privatisierte, totalüberwachte Plätze!
Wir wollen einen fairen, unwillkürlichen Umgang für alle statt Randpolitik und Wegweisungen!
Wir wollen, dass Drogen legalisiert werden, statt noch mehr Kriminalisierung!
Reclaim the Street – 17. Mai 2008 – 18.30 Uhr – Schützenmatte – Bern


3. Communiqué (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2008/05/60234.shtml)
In den letzten Monaten wurde offen zu einer Reclaim the Street aufgerufen.
Eine mobile Strassenparty, als Antwort auf die Kommerzialisierung dieser Stadt und die zunehmende Repression gegen alternative Bewegungen, anders Denkende und so genannte Randständige.
Am 17. Mai 2008 um 18.30 Uhr trafen sich mehrere hundert Personen auf der Schützenmatte, um sich als Reclaim the Street die Strassen zu nehmen. Da die Polizei diesen Anlass als Euro 08 Übung missbrauchte und sämtliche Strassen um die Schützenmatte abriegelte, konnte die Party nicht die geplante Route laufen. Aus diesem Grund haben wir die Route um ein paar Kilometer verkürzt und eine Platzparty auf der Kreuzung Bollwerk/Schützenmattstrasse veranstaltet. Es wurden Bar- und VoKüwagen, sowie Elektro-, Punk- und Hip Hopwagen aufgestellt. Trotz dem unverhältnismässigen Polizeiaufgebot liessen sich die Teilnehmenden nicht provozieren und feierten munter weiter. Kurz vor 21.00 Uhr stürmte die Polizei ohne Vorwarnung und unter massivstem Gummischroteinsatz die Kreuzung und die Schützenmatte. Die Infrastruktur konnte rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Nach kurzen Auseinandersetzungen mit der Polizei, konnte die Party auf dem Vorplatz der Reitschule bis in die frühen Morgenstunden fortgesetzt werden.
Ab dem späten Nachmittag wurden diverse Personen im Raum Bahnhof und Reitschule kontrolliert. Rund 20 Personen wurden verhaftet. Beim Angriff der Polizei wurden 2 Personen verletzt (eine davon durch Gummischrot im Augenbereich) und mussten hospitalisiert werden. Die Polizei hinderte die gerufene Ambulanz daran, eine verletzte Person abzuholen.
Dem Sicherheits- und Sauberkeitswahn der Stadt Bern wurde einmal mehr Nachdruck verliehen, in dem eine unkommerzielle Party im öffentlichen Raum brutal zerschlagen wurde.

Reclaim the Street – Squat the World!
Autonome Gruppe Bern / RTS-Kollektiv


4. Bilder (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2008/05/60221.shtml)


5. Erlebnisbericht (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2008/05/60221.shtml)
Zum Widerstand vor repressiven Riesenereignissen: Ein Rückblick auf die Ereignisse vom 17. Mai mit einem Ausblick auf den Antifaschistischen Abendspaziergang und die EM
Am Samstag Abend versammelten sich rund 200-300 Leute vor der Reithalle und der davorliegenden Schützenmatte, um unter dem Motto „Tanz uf de Strass, Tanz uf de Fabrig, das isch üsi Antwort uf öii Politikk“ eine Strassenparty zu feiern. Bereits im Vorfeld hat die Polizei mit einem unverhältnismässig riesigen Aufgebot beim Bahnhof, im Bollwerk und in der Lorraine Präsenz markiert und Leute kontrolliert.

Als sich die Party, zu dem Zeitpunkt bloss bestehend aus einem Minimal-Wagen, nach über einer Stunde Verspätung in Bewegung setzte, riegelte die Polizei sofort alle Strassen Richtung Stadt ab. Ein Redner machte mehrmals auf die Ereignisse vom 6. Oktober aufmerksam, nach welchem eine gewisse rechts-konservative Partei immer wieder auf mangelnde Demonstrationsfreiheit hinwies und sich als Opfer darstellte. Hier zeige sich nun aber das wahre Gesicht der Demonstrationsfreiheit – eine friedliche Strassenparty mit einigen hundert Leuten wird bereits zu Beginn gestoppt.
Frau passte sich also an die geänderte Situation an, der Minimal-Waggen soundete auf der Strasse neben der Schützenmatte vor sich hin, bald folgte ihm ein Punk-Wagen der sich mitten auf der Kreuzung breit machte und die meisten Leute anzog. Obwohl sich verschiedene Leute auf Auseinandersetzungen mit der Polizei vorbereitet hatten und vermummt an der Party erschienen, blieb es die ganze Zeit über friedlich: Bis auf ein paar Mittelfinger flog nicht ein Gegenstand in Richtung Polizeispaliere.

Trotzdem: Nach einer Weile untätigem Zusehen griff die Polizei schliesslich in einer Überfall-ähnlichen Aktion die Strassenparty ohne der gesetzlich vorgeschriebenen Warnung an. Von allen Seiten rannte sie, wie sie es in den EM-Übungen gelernt hatte, auf die Strassenparty zu und verschoss dabei Unmengen an Gummischrot. Die flüchtenden Aktivisten zogen sich in Richtung Reithalle zurück, wo sie bis an den Rand des Vorplatzes von der Polizei verfolgt wurden.
Mit dieser Aktion war die Reclaim the Streets, die überhaupt nie richtig stattfinden konnte, definitiv beendet. Die Leute verteilten sich in der Reithalle und auf der Schützenmatte, später am Abend wurde auf dem Vorplatz noch etwas gefeiert.

Für uns radikale Linke und Widerständige in Bern stellt sich vor allem die Frage, wie Widerstand in dieser Stadt in Zukunft organisiert werden soll, wo die aktuelle Entwicklung hinführen mag und wie wir darauf reagieren sollen. Nachdem letzte Woche – mehr oder weniger unabhängig von der EM – das überarbeitete Berner Demonstrationsreglement verabschiedet wurde, dass alle Demonstrationsumzüge verbietet, ist eine Entwicklung in Richtung Repression nicht mehr von der Hand zu weisen. Wieviel davon EM-bedingt ist, wird sich abschliessend erst im Herbst zeigen. Momentan scheint es wirklich so, dass die Polizei in der Schweiz jeden einzelnen Anlass dazu benutzt, für allfällige Auseinandersetzungen in den Fanmeilen und an den Stadien zu üben. Als kleine Anmerkung bleibt zu erwähnen – liebe Staatsschützer, die ihr ja sowieso mitlest – eine Horde „gewaltbereiter“ Fussballfans wird sich in einer überfüllten Fanmeile komplett anders verhalten, als ein paar friedliche Alternative auf einer ansonst leeren Strasse. Zu meinen, das sei eine gute Übung gewesen, ist ein Trugschluss.
Momentan sieht es wirklich so aus, als hätte der Staat für seine Repressionsorgane und seine „Sicherheitspolitik“ so viel Legitimation, dass er mit fast kompletter Narrenfreiheit und ohne Rücksicht auf Verfassung und Grundrechte durchgreifen kann. Ob es in dieser Situation sinnvoll ist, einen Antifaschistischen Abendspaziergang durchzuführen, der sowieso schon in einer „sicherheitsgefährdenden“ Tradition steht (Und damit dem Repressionsapparat umso mehr Legitimation bietet), bleibt offen und sollte diskutiert werden.

Nichtsdestotrotz: Da Resignation keine Lösung ist und auch die Begründung zum Abwarten fehlt, wird hiermit trotzdem für den 31. Mai mobilisiert. Allerdings sollte das Bewusstsein vorhanden sein, dass die Polizei den Spaziergang nach den gestrigen Ereignissen höchstwahrscheinlich schon zu Beginn aufzulösen versucht bzw. wird. Darauf sollte sich frau vorbereiten, und insbesondere die Hinweise der AntiRep-Teams beachten.
Verschieben wir die gestern gescheiterte Reclaim the Streets auf den 31. Mai!
Nehmen wir uns die Strasse für UNSEREN Spaziergang!
Setzen wir ein Zeichen gegen den Kommerz- und Kontrollrausch des Staates und der UEFA!
Antifaschistische Solidarität statt nationalistische Konkurrenz!