2013,  Ausschreitungen,  Demo,  Freiraum,  Repression

Tanz die Frei 3.0

Inhalt:
1. Aufruf
2. Communiqué
3. Hintergrundartikel
4. Medienberichte


1. Aufruf (Originalquelle: https://www.facebook.com/events/459912614066885/)
Für viele war das Tanz dich Frei 2.0 ein Höhepunkt des letzten Jahres. Wie sich ein bunter Haufen von 20’000 Leuten unbewilligt ihren Freiraum geschaffen hat, war legendär.
Es wird nun Zeit das Tanz dich Frei drei in Angriff zu nehmen.

Auch dieses Jahr wollen wir mehr als einfach feiern. Es geht nicht um ein neues Nachtleben-Konzept.
Wir wollen verantwortungsbewusst, selbstbestimmt leben.
Es braucht niemanden, der vermeintlich unsere Interessen vertritt, uns kontrolliert und beherrscht.
Die Stadt soll nicht wie ein Unternehmen profitorientiert funktionieren, sondern Lebensraum für alle bieten.
Wir lehnen das kapitalistische System, welches auf Unterdrückung und Ausbeutung basiert, ab.

Parteien und Vereine haben versucht, das Tanz dich Frei 2.0 für ihre Anliegen zu missbrauchen. Wir betonen ein weiteres Mal, dass wir unabhängig sind von jeglichen Parteien.
Ihren Vorschriften und Regeln, halten wir die Solidarität und die Selbstorganisation entgegen.
Dass dies funktioniert, wurde bereits letztes Jahr bewiesen.
Es haben sich unzählige Menschen mit kreativen Aktionen, eigenen Soundmobilen und vielem mehr beteiligt und somit einen grossen Umzug ermöglicht.
Also Zeigen wir ein weiteres Mal, dass wir nicht so einfach still zu kriegen sind und machen den 25.5.2013 zu einem unvergesslichen Tag, wenn es heisst: Tanz dich Frei drei – im Mai!
Alle, die sich in irgendeiner Form beteiligen wollen (zum Beispiel ein Soundmobil stellen möchten), können sich auf Facebook bei uns melden.


2. Communiqué (Originalquelle: https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=300879276713481&id=100003742334079)
Communiqué zum Tanz dich Frei 3 vom 25.5.2013

Bern lebt wieder! Im Zuge des Tanz dich Frei haben sich heute mehr als 10’000 Leute die Strassen Berns für eine Nacht zurückgenommen und sind dem Aufruf des Tanz dich Frei Drei gefolgt. Nach einem Warm-up beim Bahnhofplatz, setzte sich der Zug nach 20 Uhr in Bewegung.

Nachdem die Demo friedlich und auf geplanter Route loslief, wurde die Strasse auf der Höhe der kleinen Schanze von Feuerwehrautos und Sanität gesperrt. Diese räumten jedoch die Strasse und gaben die Route frei. Die Strasse zum Bundeshaus war frei, und der Zug setzte sich erneut in Bewegung. Ein paar Leute rüttelten im Vorbeigehen am Hochsicherheitszaun und filmten mit Handys das Geschehen. Darauf hin setzte die Polizei Pfefferspray ein und der Wasserwerfer wurde eingesetzt. Anschliessend wurde auch Gummischrot und Tränengaspetarden eingesetzt. Es wurden viele Menschen eingenebelt, Unschuldige gerieten in Panik, nicht wenige wurden verletzt. Dies führte bei vielen Teilnehmer_innen zu Wut und sie setzten sich zur Wehr.

Der Ausgang der Demo passt zu der Hetzkampagne von Reto Nause im Vorfeld, die eine bewusste Eskalation beinhaltete. Eine Hetzkampagne, die Angst machen sollte. Wo vor Massenpaniken gewarnt wurde. Nun hat die Polizei eine solche ausgelöst. Mit dem Einsatz von Tränengas Massenpanik verhindern zu wollen ist jedoch doof.

Die Ereignisse von heute Abend sind bedenklich, jedoch nicht unbedingt erstaunlich: So liess der Staat seine realen Absichten klar durchblicken: Der Schutz des Bundeshaus ist wichtiger als derjenige von tausenden von Menschen. Die Polizei nahm eine hohe Anzahl von Verletzten Personen in Kauf, um ein Gebäude zu schützen.

Die Menschen liessen sich von dieser Gewalt jedoch nicht beeinflussen und feierten friedlich auf der Schützenmatte weiter.

Mit der Veranstaltung wurde unter anderem auf die Stadtentwicklung aufmerksam gemacht:
Das Kernanliegen der aktuellen Stadtentwicklung ist es, der Entstehung einer A-Stadt entgegenzuwirken. Das heisst eine Stadt mit einem übermässigen Anteil an Armen, Alten, Arbeitslosen, Autonomen, Ausländer_innen, Asozialen und Anderen zu vermeiden.
Niemand fragt uns, ob diese Politik unseren Vorstellungen entspricht. Denn das tut sie nicht!
UNSER Problem ist, dass IHRE Aufwertungspolitik sich einzig und allein an den Bedürfnissen eines kleinen, wohlhabenden Bevölkerungsteils orientiert, denn nur Menschen mit Geld bringen die erwünschten Profite. All jene, die nicht zu dieser Schicht gehören, bleiben einmal mehr auf der Strecke. Der Nutzen ist nur einigen Wenigen vorbehalten, die Nachteile wirken sich aber im Alltag aller anderen aus. Die Nutzung des öffentlichen Raums wird grundsätzlich eingeschränkt, unliebsame Personengruppen aus diesem weggewiesen. In privaten Geschäften und immer mehr auch auf öffentlichen Plätzen werden wir von Kameras überwacht. Das (Nacht-)leben wird zusehends eingeschränkt. Politische Aktionen werden nicht toleriert und im Keim erstickt um eine möglichst hohe Abschreckung zu erreichen. Und dies sind nur einige Beispiele.

Auch wir wollen eine A-Stadt verhindern. Diese besteht für uns aber aus Aufwertungspolitik, Ausgrenzung und Ausbeutung. Wir wollen uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen, sondern selber bestimmen, wo und wann wir tanzen! Die Aufwertungspolitik ist aber nur ein Symptom, eine logische Konsequenz des kapitalistischen Systems
Es ist schade, dass die Veranstaltung nicht friedlich zu Ende gefeiert werden konnte.


3. Hintergrundartikel(Originalquelle: https://linksunten.archive.indymedia.org/node/88315/index.html & https://linksunten.archive.indymedia.org/node/61559/index.html)
Aufarbeitung und Erlebnis Bericht zum Tanz dich Frei in Bern vom 25.5. 13
Dieser Text ist unsere wahrnehmung und die unserer Freunden und Freundinen welche sich mit uns unterhalten haben. Somit enthält dieser Text keine grundsätlichen wahrheit im gegensatz zu den veröffentlichten Presse berichten der Medien 🙂

Der Tag begann für einige schon ziemlich früh. Um Ca 09.00Uhr waren die ersten aufwändig zur Dekoration geplanten Sound-Mobiles bei der Reitschule, oder sonst wo eingetroffen. Auf 18.00 Uhr wurde zu einem Warm-Up auf dem Bahnhofsplatz aufgerufen, die Polizei begann etwa 2h im voraus mit Personenkontrollen. Etwa zehn Sound-Mobiles heizten die Party auf dem Bahnhofsplatz so richtig ein. Dabei erklang vor allem Elektro aber auch Rap unter getösendem Jubel der Ca 10 000 anwesenden TeilnehmerInnen. Nachdem Transparente mit der Aufschrift “ der Tanz dich Frei Tanz, Tanz“ und „Kinder von Bern“ mit Pyro spieleleien begeleitend gezündet wurden, lief der Umzug los, an der Spitze ein Transparent mit der Aufschrift „Besetzen statt Besitzen“-„Fire and Flames“.

Die Bässe wummerten die Mengen tanzten, bereits von Beginn an wurde massivst gemalt. Die Tags waren fast ausschliesslich Revolutionärer Natur. Die Auffäligen Ziele neben vielen anderen waren, Valiant Bank, Alliance Versicherung, Julius Bär (Bank), Sbb (Schweizerisch Bahn), Starbucks, Loeb (Einkaufsladen), Schwedische Botschaft,Bundeshaus (Regierungsgebäude), Ubs Bank, Hauptbahnhof, Schweizerhof(5 Sterne Hotel) und Mobiliar Versicherung…

Die Party-Demonstration, wollte am Bundeshaus, wie am Vorjahr, vorbei ziehen. Jedoch standen dort, neben einem riesigen Zaun, einem Wasserwerfer auch noch 20 Cops. Dies kann als reine Provokation gesehen werden, da die Route klar kommuniziert wurde per Facebook. Wenn die Stadt Bern das Bundeshaus hätte schützen wollen, im Wissen, dass mehr als 10 000 Tausend Leute herankommen, hätten sie ein grösseres aufgebot als die verlockenden 20 Cops aufgestellt. Klare Anti-Wef Strategie, gewalt hervorheben, um die Inhaltlichen Themen für Freiraum und gegen Kapitalismus zuverschleiern. Hier Eskaliert die Situation, Riots auf dem Bundesplatz, schrottende Spezialeinheit Skorpion beim Bahnhofsplatz, Wasserwerfer im vollen Einsatz, der Bahnhof wird von dem Mob Green geräumt, Tränengas in der ganzen Stadt. Polizisten sehen sich im Kriegzustand jeder ist ihr Feind. So wurden etliche verletzt, auch aus nächster nähe wurde geschrottet, so verlor eine Person ihr Augenlicht. Die Polizei beweist sich auch mehrmals als Randaliererin von Scheiben, beispielsweise beim Papa Joes. Als sie eine grössere Gruppe, die ins Lokal geflüchtet ist, welches geschlossen wurde, mit Gas herausgelockt haben. Als die BesucherInen Drausen waren, wurden sie mit einem Schrotthagel begrüsst aus ca 5m (gesetzlicher Mindestabstand 20m). Schlussbilanz an diesem Tag, über 70 Cops wurden verletzt , über 60 Festnahmen, über 5h Riots.
Solidarische Grüsse
4: Anarchy and Freedom for the People Ⓐ

Bern (CH) mehr als 15’000 auf Nachttanzdemo für mehr Freiräume – gegen Clubsterben und Aufwertung
In Bern formiert sich Widerstand gegen eine immer drastischere Politik der Stadtaufwertung, Musealisierung der historischen Altstadt und Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des Öffentlichen Raumes.
Nachdem bereits am 12. Mai an die 5‘000 Menschen an einer spontanen Protestparty gegen die Politik der Einschränkung im Öffentlichen Raum teilgenommen hatten, zogen am letzten Samstag weit mehr als 15‘000 Menschen, von einer Vielzahl mobiler Soundsystems begleitet, feiernd durch Berns Innenstadt. Unmittelbarer Auslöser für die Proteste war der Versuch des Regierungsstadthalters Christoph Lerch (SP), die Reitschule, ein seit 25 Jahren bestehendes autonomes Kulturzentrum im Zentrum von Bern, per 11. Mai mittels einer verschärften Betriebsbewilligung an die kurze Leine zu nehmen. Als Hintergrund der Zwangsmaßnahmen ist das allgemeine Bestreben das Nachtleben zu beruhigen und die Stadt als Wohnort für Wohlhabende umzugestalten, zu sehen.

Es brodelt in Bern
Im beschaulichen Bern, das mittlerweile seit beinahe 20 Jahren von einer Rot-Grün-Mitte Koalition regiert wird, hat sich in den letzten Monaten und Jahren einiges getan: Schließung von Parkanlagen in der Nacht, neue Nutzungsreglemente für Stadträume, Neubauprojekte mit Mietsteigerungen bis zu 100% im Vergleich zum vorherigen Standard, eine immer repressiver und dominanter auftretende Polizei, staatliche Vertreibungspolitik von Randgruppen und; die Stadt wächst nach langen Jahren des Bevölkerungsschwundes wieder.

Im Zuge der Politik der Aufwertung und Beruhigung der historischen Altstadt, ihres Zeichen UNESCO-Weltkulturerbe, musste im Verlauf des letzten Jahres bereits ein Ausgehlokale schließen und ein zweites ist ernsthaft bedroht. Diverse weitere ClubbetreiberInnen kündeten an ebenfalls schließen zu müssen, sollte die Situation so prekär bleiben – Clubsterben war das Schlagwort. Primär war es die Politik des Regierungsstadthalteramtes, das Lärmklagen gegenüber den Interessen der Lokale stärker zu gewichten und allgemein die verwaltungsrechtlichen Richtlinien enger auszulegen begann, die zur Verschärfung der Situation führten. Hinzu kam, dass die in den Sommermonaten von Jugendlichen rege als Treffpunkt genutzten öffentlichen Plätze immer stärker von Polizei und privaten Sicherheitskräften kontrolliert und darüber strikte Raumordnungen durchgesetzt wurden. Weitere vormals frei nutzbare Räume wurden, indem sie kommerziellen NutzerInnen überlassen wurden, teilprivatisiert. So etwa die Große und die Kleine Schanze, wo zwei Citybeaches und ein Straßenkaffee errichtet wurden. Hierbei zeigten sich die StadtpolitikerInnen findig und deklarierten die Vermarktlichung des Öffentlichen Raumes zur Anti-Gewaltmaßnahmen, über welche die Stadträume sicherer und zugänglicher gestalten werden sollten.

Die Reitschule und ihr Vorplatz
Die Anfang Mai von Regierungsstadthalter Lerch gegen die Reitschule verfügten Zwangsmaßnahmen brachten das Fass dann zum Überlaufen und lösten die aktuellen Proteste aus. Denn der Vorplatz der Reitschule, wo sich Wochenende für Wochenende hunderte Menschen treffen, war zu einem der letzten Orte geworden, wo ohne Konsumzwang und polizeiliche Repression ein Zusammenkommen möglich war. Aufgrund von diversen Lärmklagen, die aber mit gesamthaft 81 im Jahr 2011, davon 25 aus einer einzigen Nacht, in der Summe marginal ausfielen, verfügte Lerch, dass die BetreiberInnen des autonomen Kulturzentrums vom 11. Mai an, nach 00:30 keinen Alkohol mehr über die Gasse verkaufen dürften und die BesucherInnen vom Vorplatz und aus dem Innenhof der Reitschule wegzuweisen seien. Damit setzte Lerch seine bereits im Februar geäußerte Drohung, dass nun, nachdem mit anderen Ausgehlokalen neue Betriebsvereinbarungen ausgehandelt wurden, die Reitschule an die Reihe komme, in die Tat um.

Die Zwangsmaßnahmen sind aber kein Einzelfall und reihen sich in jahrelange und vielfältige Versuche ein, die Reitschule konformer und unpolitischer zu gestalten. Denn gerade rechtsbürgerlichen Kreisen war die Reitschule stets ein Dorn im Auge, da diese sich explizit als Ort versteht, wo Freiräume für selbstbestimmtes und solidarisches Leben geschaffen werden und an alternativen Gesellschaftsmodellen aktiv gearbeitet werden kann – also bei weitem nicht „nur“ alternative Kultur dargeboten wird. Aber gerade die immer wieder aufflammende Gewalt, die sich teilweise auch gegen die Polizei richtete, sowie die Drogenproblematik, an welcher die Stadt allerdings mit der Ansiedlung der Drogenanlaufstelle gegenüber der Reitschule, wesentlich mitschuldig ist, werden zum Anlass genommen, das Projekt als Ganzes zu hinterfragen. Dennoch vermochte die Reitschule in ihrer Geschichte bereits fünf Volksabstimmungen für sich zu entscheiden und ist in der Stadt gut verankert.

Der Aufschrei gegen die erneuten Restriktionen war daher groß und in diversen Fällen wurde darauf verwiesen, dass die Reitschule aufgrund ihrer Geschichte – sie war 1987 im Zuge der 80er Unruhen in Bern zum zweien Mal besetzt worden – nicht mit einem ‚normalen‘ Ausgehlokal gleichzusetzten sei und die Massnahmen nicht umzusetzen seien. Die Stadtregierung schwächte sodann Lerchs Verfügung noch ab und stellte die Rechtmäßigkeit gewisser Aspekte infrage, die neue Betriebsbewilligung trat dennoch per 11. Mai in Kraft.

Impressionen aus Bern, 2. Juni 2012 (oben: Demozug, unten: Party vor dem Bundeshaus)
Die BetreiberInnen der Reitschule nahmen die Aufforderung ernst und verwiesen sämtliche Anwesenden am 12. Mai um 00:30 des Vorplatzes. Die sich nun in Richtung Innenstadt bewegenden Menschenmenge schwoll rasch auf an die 5‘000 an und wurde von mobilen Soundsystems begleitet. Am Samstag den 2. Juni demonstrierten erneut weit mehr als 15‘000 Menschen unter dem Motto „Tanz Dich Frei 2.0“ gegen die immer stärkere Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten im Öffentlichen Raum. Die VeranstalterInnen verblieben mit ihrer Kritik an der städtischen Politik aber nicht auf der Ebene der Kritik an den Einschränkungen des „Rechtes auf Party“, sondern verknüpften die repressiven Einschränkungen mit der allgemein zu erkennenden Aufwertungs- und Standortpolitik der Stadtbehörden. So streichen die OrganisatorInnen in ihrem Aufruf, der auch als Apell gegen eine gezielte Entpolitisierung der Veranstaltung zu lesen ist, deutlich hervor, dass „Tanz Dich Frei“ mehr als ein riesiges Straßenfest sei, es im Gegenteil als „politische Botschaft an die herrschenden, kapitalistischen Verhältnisse“ zu verstehen sei, dass nicht alles akzeptiert werde, und es eine andere, eine solidarische Gesellschaft anzustreben gelte, in der nicht „wenige vieles besitzen und Viele nichts“.

Tendenz zur Aufwertung
Und in der Tat zeichnet sich in Bern immer deutlicher eine Politik ab, die sich an den Interessen einer eher wohlhabenderen Schicht orientiert und sozial trennend wirkt. Nur allzu deutlich wird dies im Konzept „Bauliche Stadtentwicklung Wohnen“ das im Jahr 2007 vom Stadtplanungsamt, das dem Stadtpräsidenten direkt untersteht, vorgelegt wurde. Darin wird betont, dass es der Stadt primär darum gehen müsse potente SteuerzahlerInnen anzuziehen und daher den BewohnerInnen der Stadt klarzumachen sei, dass diesbezüglich ein parteiübergreifender Konsens herrsche, da die Stadtfinanzen davon abhängen würden. Gemäß der Strategie 2020 soll Bern zudem seine Standortvorteile weiter nutzen und auf 140’000 EinwohnerInnen anwachsen (Stand 2012: 130‘000). Die AufwertungsstrategInnen dürfte es daher gefreut haben, dass ‚ihre‘ Stadt im diesjährigen Städteranking des Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ zum ersten Mal hinter Zürich und Zug den dritten Platz belegte.

Entwicklungsgebiete in Bern, Stand 2009, Zum Vergrößern auf Karte klicken
In vielen Stadtteilen zeichnet sich sodann eine Tendenz zur Gentrifizierung ab. Insbesondere in den innenstadtnahen von Altbauten geprägten Stadtteilen Lorraine, Längasse, Breitenrain, Holligen und Mattenhof, ist eine erhebliche Mietsteigerung auszumachen oder es wird zumindest immer schwerer günstigen Wohnraum zu finden. Die Situation wird zusätzlich durch die vorangetriebene Politik der Aufwertung des Stadtrandes prekarisiert. So liegt eine große Zahl der aktuellen Entwicklungsschwerpunkte in Berns westlicher und östlicher Peripherie, die bis anhin stark von günstigem Wohnraum und einer eher finanziell schwachen BewohnerInnenstruktur geprägt war. Die dahinter liegende Logik der Aufwertung wird vom Gemeinderat im Zusammenhang mit der „sozialen und ethnischen Durchmischung“ explizit formuliert: „Sind die Wohnbauprojekte im Westen realisiert, wird sich voraussichtlich auch die demografische Zusammensetzung in diesen Quartieren verändern.“ Soziale Aufwertung und Vertreibung sind somit unter dem Motto einer nachhaltigen und familiengerechten Stadt – was die zentralen Schlagworte Berns Stadtentwicklung sind – direkt von den StadtplanerInnen gewollt.

Soziale Vertreibung in der Innenstadt gehört in Bern indes seit Jahren zum Alltag. Genau genommen war Bern die erste Schweizer Stadt die 1998 eine Fernhaltegesetzgebung (Wegweisungsartikel) einführte, die es ermöglichte unliebsame Personen für drei Monate – anfangs gar für ein Jahr – aus einer definierten Zone fernzuhalten. In der Praxis betraf es in der Vergangenheit primär Obdachlose, Drogenabhängige und Punks. Gerade in den letzten Jahren war aber eine deutliche Ausweitung der Nutzung des Artikels festzustellen. So wurde der Paragraf 29b des Kantonalen Polizeigesetzes, zunehmend gegen politische AktivistInnen im Zusammenhang mit Demonstrationen eingesetzt. Diese Ausweitung der Anwendung des Artikles 29b wurde von gerichtlicher Seite her in diversen Fällen als widerrechtlich gerügt und die Verfügungen aufgehoben, was die Polizei aber nicht daran hindert an dem Vorgehen festzuhalten. Die Zahl der ‚normalen‘ Wegweisungen stagniert dabei aber seit Mitte der 2000er in etwa bei 450 pro Jahr, die Zahl der Anzeigen wegen Wiederhandlung blieb aber hoch

Die Stadt spaltete sich so zunehmend. Soziale Vertreibung und Aufwertung gehören seit Jahren zur aktiven Stadtpolitik, die Folgen werden aber erst jetzt richtig spürbar. Viele können sich die steigenden Mieten oder das Kaffee um die Ecke nicht mehr leisten und jene die zuziehen, wollen nicht selten ‚ihre‘ Ruhe. Konflikte sind also vorprogrammiert und so wächst der Unmut über das immer enger werdende Klima, die Einschränkungen der Teilhabemöglichkeiten am Leben im Öffentlichen Raum sowie die Schwierigkeit eine bezahlbare Bleibe zu finden.

Protest dürfte weiter gehen
Die Proteste der letzten Wochen hallen in der Bundeshauptstadt also nach. Je nach politischem Standpunkt versuchen die Parteien den Protest im Zuge des Wahlkampfes – im Herbst sind Wahlen – für sich zu vereinnahmen oder reduzieren ihn auf ein jugendliches Saufgelage mit immensem Müllaufkommen. Auch wenn wohl tatsächlich viele des Festes und nicht der klaren politischen Positionierung des Anlasses wegen den Weg nach Bern fanden, bleibt dennoch festzuhalten, dass Tausende junger Menschen sich ungefragt den städtischen Raum angeeignet haben und damit für einen kurzen Moment die herrschende Logik und bestehende Besitzverhältnisse durchbrachen. Weitere Aktionen dürften daher folgen und vom 6. bis zum 9. September 2012 wird in Bern ein „Recht auf Stadt“ Kongress veranstaltet, an dem inhaltliche Auseinandersetzungen im Schnittfeld von politischem Aktivismus, kritischer Wissenschaft und alternativer Kunst angekündet sind.


4. Medienberichte (Originalquelle: https://www.derbund.ch/bern/stadt/tanz-dich-frei-verdraengt-trachtenfest/story/19170830, https://linksunten.archive.indymedia.org/node/87273/index.html & https://linksunten.archive.indymedia.org/node/89303/index.html)
-Der Bund: «Tanz dich frei» verdrängt Trachtenfest
Die Bernische Trachtenvereinigung verzichtet wegen der dritten Auflage von «Tanz dich frei» auf einen Auftritt auf dem Bundesplatz am 25. Mai.

Eine Feier zum Jahr der Traditionen hätte es geben sollen. Mit Trachtengruppen, Volkstanz und ebensolcher Musik. Nun durchkreuzt am 25. Mai ein Anlass diese Pläne der Bernischen Trachtenvereinigung, den man schwerlich als Tradition ansehen kann, auch wenn er zum dritten Mal stattfindet. Dem Aufruf für die Tanzdemonstration «Tanz dich frei 3.0» haben sich bisher 9000 Personen auf Facebook angeschlossen. Weitere zwei bis dreitausend geben an, eine Teilnahme am Umzug mit den etwas anderen Tänzen in Betracht zu ziehen.

«Wollen nicht provozieren»
Das Volksfest der Trachtenvereinigung wäre dem Partyvolk im Weg gestanden. «Wir haben unseren Anlass aus Sicherheitsgründen auf unbestimmte Zeit verschoben», sagt Vreni Kämpfer, Obfrau der Vereinigung. Wenn zehn- bis zwanzigtausend junge Leute durch die Stadt ziehen, «wollen wir nicht provozieren und unsere Leute nicht gefährden», sagt Kämpfer. Der Vorstand der Trachtenvereinigung habe diesen Entscheid Anfang dieser Woche aus eigenem Antrieb gefällt. Die Stadt habe diesbezüglich keinen Druck ausgeübt. «Die Stadt bedauert unseren Verzicht», sagt Kämpfer.

Das Fest auf dem Bundesplatz hätte einen idealen Auftakt zum Tanzabend gebildet, der am selben Abend im Casino stattfinde. Zurzeit sei es offen, wann das Volkstanz-Fest auf dem Bundesplatz stattfinden könne. «Wir wären gerne am Tag der Tracht am 6. Juni aufgetreten», sagt Kämpfer. Wegen der Session im Bundeshaus seien Anlässe auf dem Bundesplatz an diesem Tag jedoch verboten.

Behörden ohne Ansprechpartner
Er habe Verständnis für den Verzicht der Trachtenvereinigung auf ihren Anlass, sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP). Seitens der Stadt habe es keine Druckversuche auf die Organisatoren gegeben. Die beiden Anlässe hätten sich zeitlich kaum tangiert. Allerdings sei nicht ausgeschlossen, dass die Tanzdemo bereits am Nachmittag starte. «Wir wissen heute nicht, wann und wo sich die Tanzdemo-Teilnehmer besammeln und auf welcher Route sie durch die Stadt marschieren werden», sagt Nause. Trotz mehrfacher Kontaktversuche via E-Mail und Facebook mit diversen potenziellen Organisatoren gebe es für die Behörden bis anhin keinen Ansprechpartner, der die Verantwortung übernehme. Sowohl die Bar- und Club-Kommission Bern (Buck) als auch der Verein Pro Nachtleben oder die Reitschule hätten jegliche Verantwortung von sich gewiesen. «Aufgrund des Aufrufs müssen wir von einer klar links stehenden Urheberschaft ausgehen», sagt Nause.

«Verletzungsgefahr ist gross»
Als «echtes Problem» bezeichnet Nause die Grossbaustellen, die Ende Mai die Situation am Bollwerk und in der Marktgasse prägen. «Es ist der schlechteste aller Zeitpunkte für einen Umzug mit Tausenden von Teilnehmenden.» Das Bollwerk werde zur Hälfte eine Baustelle sein. Ein Teil der Schützenmatte diene als Abstellfläche für die Baustelleninstallation. Die Marktgasse sei zu diesem Zeitpunkt wegen der Sanierungsarbeiten total gesperrt. «Die Gefahr, dass Teilnehmende in Baugruben gedrängt werden, ist gross – und entsprechend auch die Verletzungsgefahr», sagt Nause.

Verbot ist «keine Option»
Die Zahl der Teilnehmenden am Umzug sei witterungsabhängig. «Ich gehe aber davon aus, dass Jugendliche aus dem ganzen Kanton in der Stadt Party machen möchten.» Ein Verbot der Veranstaltung sei aber keine Option. «In diesem Fall wäre mit grösseren Auseinandersetzungen zu rechnen», sagt Nause.

Die Schwierigkeit für die Behörden, mit den Organisatoren der Tanzdemo in Kontakt zu treten, dürfte auf den Streit um die Deutungshoheit der dritten Tanzdemo-Auflage zurückzuführen sein. Der Facebook-Aufruf stammt aus dem Umfeld der Reitschule, das gerne an den politischen Anstrich der ersten Tanzdemo im Jahr 2011 anknüpfen möchte, die allerdings nur einige Hundert Personen anzulocken vermochte. «Es werden immer noch genug Leute auf die Strasse gehen, um der Obrigkeit zu zeigen, dass sich nicht alle Menschen widerstandslos alles gefallen lassen», steht in einem Artikel im aktuellen «Megafon», der Zeitung aus der Reitschule. Thomas Berger vom Verein Pro Nachtleben wiederum hat die Versuche einer Verbindung von «sozialer Revolution» und Nachtleben als peinlich bezeichnet.

-Tagesanzeiger: «Ein Gewaltpotenzial gesehen wie seit Jahren nicht mehr»
Den Schwarzen Block einzukesseln, sei nicht möglich gewesen, sagt die Berner Polizei. Die Vermummten hätten sich stets in Nähe der friedlichen Teilnehmer aufgehalten.

50 Verletzte, 61 vorübergehend Festgenommene und Sachschaden von mehreren Hunderttausend Franken: Das ist die Bilanz der «Tanz dich frei»-Kundgebung, die in der Nacht in der Berner Innenstadt stattfand. Es war eine Tanzparade mit zwei Gesichtern.

Vorneweg zogen vielleicht hundert gewaltbereite junge Menschen als sogenannter «Schwarzer Block», viele vermummt und eben schwarz gekleidet. Dahinter gruppierten sich um Lautsprecherwagen Tausende von friedlichen Menschen, die zur Musik tanzten und Spass hatten.

Der Anlass begann am früheren Abend mit einigen Hundert Personen, dann schwoll die Menge immer mehr an und erreichte gemäss einer Schätzung der Polizei bis zu 10’000 Personen.

Nachdem Mitglieder des Schwarzen Blocks schon mehrfach Parolen auf Gebäude gekritzelt und Feuerwerk gezündet hatten, kam es kurz vor Mitternacht beim Bundeshaus West zur Eskalation (siehe Video): Die Vermummten lösten sich plötzlich vom Umzug und zogen in Richtung Parlamentsgebäude. Dort griffen sie einen Schutzzaun an.

Dieser schützte nicht nur das Bundeshaus, sondern auch einen der zwei extra für «Tanz dich frei» eingerichteten Interventionsposten der Berner Blaulichtorganisationen. Zudem sollte dieser Zaun einen Teil des Bundesplatzes für den Einsatz von Rettungsfahrzeugen freihalten.

Feuerwerk auf Polizei
Vermummte warfen Absperrgitter über den Zaun in Richtung Polizei, schossen Feuerwerk in deren Richtung ab, setzten Laserpointer ein und warfen auch zum Teil grosse Steine, wie die Berner Kantonspolizei an einer Medienkonferenz ausführte respektive per Video zeigte.

Die Polizei reagierte zuerst mit Pfefferspray, dann mit einem Wasserwerfer und setzte schliesslich auch Tränengas und Gummischrot ein. In der Folge kam es an weiteren Orten der Berner Innenstadt zu Auseinandersetzungen – bis in die frühen Morgenstunden.

Nicht nur Vermummte griffen schliesslich die Polizei an oder schlugen um sich, sondern auch unvermummte Passanten. Ein Augenschein am Morgen zeigte: Mehrere Billettautomaten und Abfalleimer sind kaputt, entlang der Umzugsroute wimmelt es von Sprayereien und laut Polizei gingen 70 Schreiben und Vitrinen zu Bruch.

Ihr zufolge griffen die Randalierer auch die Feuerwehr bei zwei kleineren Einsätzen an und sogar Sanitäter.

Sondersitzung der Stadtregierung
«Wir haben ein Gewaltpotenzial gesehen wie seit Jahren nicht mehr», sagte der Kommandant der Berner Kantonspolizei, Stefan Blättler, nach den Ereignissen der Nacht vor den Medien. «Diese Leute wollten Menschen verletzen und Sachen zerstören.» Rund 20 der 50 Verletzten sind Polizisten oder Transportpolizisten.

Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause sprach von «militanten Kriminellen» und forderte, für die Randalierer müssten die Vorfälle harte Konsequenzen haben.

Die Berner Stadtregierung arbeitet die Ereignisse nun an einer Sondersitzung am Montag auf. Dabei will sie auch über das weitere Vorgehen beraten. Ob die Stadt weiterhin solche Veranstaltungen toleriere, könne er deshalb noch nicht sagen, erklärte Nause.

Er gehe davon aus, dass die Ermittlungsbehörden von Amtes wegen auch gegen Facebook vorgingen, sagte Nause weiter. Die soziale Internetplattform habe schliesslich das Instrument für die Moblisierung zu dieser unbewilligten Kundgebung geliefert.

Organisatoren bedauern Gewalt
Die Ereignisse lösten in Bern zahlreiche Reaktionen aus. Noch vor der Sondersitzung gab die Stadtregierung bekannt, sie verurteile die Gewalt «in aller Schärfe». Sie habe die Kundgebung in Absprache und Übereinstimmung mit der Polizei geduldet, um die Sicherheit der Teilnehmer zu gewährleisten.
Die Organisatoren des Anlasses bedauern laut einer auf ihrer Facebook-Seite aufgeschalteten Mitteilung die Ereignisse. Sie sehen aber die Schuld dafür vor allem bei der Polizei, die mit ihrem Eingreifen für Wut gesorgt habe und den Schutz des Bundeshauses über den Schutz der Menschen stelle.
Ziel der Organisatoren wäre es eigentlich gewesen, mit der Kundgebung Freiräume einzufordern und aufzuzeigen, dass Nachtleben auch ohne Kommerz möglich ist.
Vertreter bürgerlicher Parteien fordern nun ein härteres Durchgreifen. In zahlreichen Kommentaren auf Facebook und anderen Internetseiten äusserten zahlreiche Leute Wut, Unverständnis oder aber auch Unterstützung für die Organisatoren.

In Geiselhaft der Militanten
Den «Schwarzen Block» einzukesseln, sei nicht möglich gewesen, sagt die Polizei. Die Vermummten hätten sich in Anführungszeichen «geschickt verhalten», sagte der Chef der Regionalpolizei Bern, Manuel Willi. Sie hätten nämlich immer die Nähe der friedlichen Kundgebungsteilnehmer gesucht. Zu Beginn der Demo hätten sich zudem Kinder in deren Nähe aufgehalten.
«Wenn Militante Tausende quasi in Geiselhaft nehmen, wird jeder Polizeieinsatz schwierig»: So sieht dies Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause.
Der Kommandant der Kantonspolizei, Stefan Blättler, ging auch auf die Frage ein, ob man die Kundgebung von Anfang an hätte verhindern sollen. Dann aber wäre es womöglich schon auf dem Bahnhofplatz – zu Beginn der Kundgebung – zu einer Eskalation gekommen, sagte er. Zudem habe in der Öffentlichkeit ganz klar die Meinung geherrscht, die Demo sei zu dulden.

Randalierer sollen gefasst werden
Laut Blättler standen in der Nacht «mehrere Hundertschaften» von Polizisten im Einsatz. Die Berner Kantonspolizei bot im Lauf der Nacht Einsatzkräfte von anderen Kantonen auf.
Die verletzten Polizisten erlitten Prellungen, Zahnschäden, Gehörschäden und Fussverletzungen. Blättler sagte, die Polizei werde alles daran setzen, die für die Randale Verantwortlichen zu identifizieren. Laut Willi kamen diese auch «von ausserhalb».

«Die Bilder sprechen für sich»
Willi verteidigte auch das Vorgehen nach dem Angriff der Randalierer auf den Zaun vor dem Bundeshaus. Die Polizei habe zuerst nur Pfefferspray eingesetzt. Als sich die Lage nicht beruhigt habe, sei der Wasserwerfer zum Einsatz gekommen. Dieser sei versteckt gewesen, um nicht zu provozieren.
Als dann die Randalierer den Zaun durchbrochen hätten, seien auch Tränengas und Gummischrot zum Einsatz gekommen. Der sogenannte «Mitteleinsatz» sei also nur nach und nach erhöht worden. Mit einer Polizeikette hätten schliesslich die Ordnungskräfte verhindern können, dass die Randalierer bis zum Bundeshaus gelangten. Dieses war bei «Tanz dich frei» 2012 verschmiert worden.
Den Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt habe die Polizei schliesslich auch anderswo, weil die Polizei die Kundgebung habe auflösen wollen, sagte Willi. Blättler: «Die Bilder sprechen für sich.»

-Der Bund: Reitschule hat «Tanz dich frei» subventioniert
Offiziell ging die Reitschule stets auf Distanz zu den anonymen Organisatoren von «Tanz dich frei». «Bund»-Recherchen zeigen nun: Das Kulturzentrum hat die Hintermänner der Tanzdemo finanziell unterstützt.

Reto Nause ist kein Weg zu weit. Der Berner Sicherheitsdirektor legt sich aktuell mit dem irischen Europa-Hauptsitz von Facebook an, um zu erfahren, wer sich hinter dem Aufruf zu «Tanz dich frei» (TDF) verbirgt. Jener Demo, die Ende Mai von schweren Krawallen überschattet wurde. Vielleicht sollten die Strafverfolgungsbehörden ihr Augenmerk wieder auf die nähere Region Bern legen.

«Bund»-Recherchen zeigen, dass das autonome Kulturzentrum Reitschule, das von der Stadt Bern subventioniert wird, den Hintermännern von TDF finanziell unter die Arme gegriffen hat. Es liegt damit auf der Hand, dass die Reitschule zumindest von einigen Personen im Umfeld der TDF-Organisatoren die Namen und Kontoverbindungen kennt. Und dass die Reitschule über einen direkten Draht zu den Hintermännern der eskalierten Tanzdemo verfügt. Ob die Urheber des Demo-Aufrufs bei den Krawallen mitmischten, ist ungeklärt.

Geld stammt aus dem «Pool»
Mehrere Personen aus der Reitschule bestätigen gegenüber dem «Bund», dass bei der Koordinationsgruppe des Kulturzentrums im Frühling ein Antrag zur finanziellen Unterstützung der TDF-Organisatoren eingegangen ist. Das Geld sollte dem sogenannten Pool entnommen werden. Einem Fonds, der unter anderem zur Finanzierung von Veranstaltungsdefiziten, Infrastrukturkosten und politischen Aktionen dient und aus einer Alkoholgebühr gespeist wird. Über mehrere Wochen hat sich die Koordinationsgruppe, die sich aus Delegierten der einzelnen Reitschule-Räume zusammensetzt, mit dem Antrag auseinandergesetzt. Reitschüler schildern die Diskussionen als sehr intensiv. Insbesondere vonseiten der Kulturschaffenden habe es Widerstand gegen die TDF-Subvention gegeben. Nach langer Auseinandersetzung gaben sie klein bei: Das Gesuch wurde mit Konsens bewilligt.

Wie hoch der Beitrag ausfiel, ist offen. Die Mediengruppe der Reitschule wollte sich gestern auf Anfrage nicht zur Sache äussern. «Es handelt sich um einen symbolischen Betrag», sagt ein Aktivist, der über eine Arbeitsgruppe vom Gesuch erfahren hat. Eine andere Person sagt, der Beitrag bewege sich im ähnlichen Rahmen wie 2012.

Bereits letztes Jahr beteiligte sich die Reitschule an den Kosten der Tanzdemo. Damals aber unter anderen Vorzeichen: Die von Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) verfügten Zwangsmassnahmen hatten den politischen Druck auf die Reitschule akzentuiert – und so eine Solidarisierung mit den Tanzdemo-Leuten bewirkt. Viele andere Clubs und Lokale schlossen sich dem Protest an. 2013 jedoch stand die Demo von Anfang an unter einem schlechten Stern. Nicht zuletzt, weil die Organisatoren den Dialog mit den Behörden beharrlich verweigerten. Am Tag des Umzugs markierte die Reitschule demonstrativ Distanz zu TDF: Veranstaltungen wurden abgesagt, die Lichter gelöscht, die Türen zugesperrt.

Strafaktionen gegen Kulturtäter?
Die finanzielle Unterstützung zeigt nun zweierlei: Erstens hat die Reitschule eine grössere Nähe zu den Organisatoren als bisher bekannt; auch hierzu wollte sich die Reitschule gestern nicht äussern. Zweitens werfen die Auseinandersetzungen um den TDF-Antrag ein Schlaglicht in die Reitschule-Strukturen: Dort findet offensichtlich ein Richtungskampf statt. Auf der einen Seite stehen dabei die «Politos», die sich mit linker Politik, Protest und Demos wie TDF befassen. Auf der anderen Seite stehen die «Kulturtäter», die ihre Aufgabe im Ermöglichen von – durchaus politischen – Kulturdarbietungen sehen. Grundsätzlich ist dieser Konflikt zwar so alt wie die Reitschule selbst. Manche Beobachter sagen jedoch, dass er jüngst wieder aufgeflammt sei.

Zum Beweis verweisen sie auf einen Vorfall, der sich erst kürzlich ereignete: Eines Nachts wurde die Eingangstüre des Tojo-Theaters im Innenhof der Reitschule versprayt, zudem wurde ein Einlassschild beschädigt. «Das könnte eine Bestrafungsaktion gewesen sein», sagt ein Insider. Schliesslich habe das Tojo zu den Kritikern des TDF-Gesuchs gezählt. Ein anderer Insider glaubt nicht an diesen Zusammenhang.

Der ominöse Schriftzug
Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass ein Kulturraum durch andere Reitschüler angegriffen wird. Ein Kenner des Zentrums erinnert im Gespräch an einen Vorfall vom Herbst 2011. Damals empfing die Reitschule die Teilnehmer des SVP-Familienfests mit dem auf dem Dach prangenden Graffito «Welcome to Hell». Einige Wochen nach dem Fest war der Schriftzug teilweise überpinselt, neu hiess er nur noch «Welcome». Das brachte die Gerüchteküche in der Reitschule zum Brodeln: Der Verdacht fiel dabei auch auf das Tojo. Wenige Tage später war der Eingang zum Theater versprayt und beschädigt. Wie sich später herausstellte, waren es die Stadtbehörden, welche die Übermalung des Schriftzugs angeordnet hatten.

Alle fünf Personen, die dem «Bund» Auskunft gegeben haben, bestehen darauf, anonym zu bleiben. Manche befürchten ernsthafte Konsequenzen im Falle einer Enttarnung. Personen, die sich in den Reitschule-Strukturen bewegen, sind grundsätzlich nicht befugt, Interna an die Öffentlichkeit zu tragen.