2016,  Antikapitalismus,  Besetzung,  Freiraum,  Gender

FLTI* Hausbesetzung Waldheimstrasse

Inhalt:
1. Communiqué
2. Stellungsnahme
3. Solidaritätsbotschaft Anarchistische Gruppe Bern
4. Medienbericht

1. Communiqué (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2016/02/96814.shtml)
Wir nehmen Raum!
Wir, das ist eine lose Gruppe aus queer_feministischen FLTI*Anarchas.
Wir, das ist Ronja.
Wir nehmen Raum, weil wir Raum brauchen.
Raum zum Sein, Raum zum Experimentieren, Raum zum queer sein, spielen, Lärm machen, leise sein, Gefühle zeigen, debattieren, diskutieren.

Wir wollen Platz!
Wir wollen Platz und weil er uns nicht gemacht wird, machen wir ihn uns selbst.
Wir nehmen nicht den Platz ein, den die Gesellschaft uns geben will.
Wir lassen uns nicht an den Rand drängen, minimalisieren, marginalisieren.
Wir wollen auch keinen neuen Platz in der Gesellschaft – vielmehr wollen wir eine neue Gesellschaft. Eine solidarische, offene, herzliche, mutige, witzige, träumerische, kämpferische, in der alle sein dürfen, weil es keine zugeordneten Plätze mehr gibt. Also geben wir uns selbst eine Struktur, organisieren uns selbst und geben uns den Platz, den wir zum Atmen, Leben, Träumen und Denken brauchen.
Solidarische Raumnahme von uns für jede*!

Wir besetzen!
Und reihen uns damit in eine lange feministische Tradition ein. Wir beziehen uns auf eine Erbschaft und knüpfen an alte oder noch existierende Frauenräume an.
Gerade im 21. Jahrhundert ist der Stadtraum ein umkämpftes Gebiet, aus dem wir uns weder rausgentrifizieren noch mit Alltagssexismus vertreiben lassen. Der eiserne Griff des Patriarchats hat sich in den letzten Jahren nicht gelockert. Immer noch werden unsere Träume, Wünsche, Ängste und Sexualitäten auf postrevolutionäre Zeiten verschoben, als Nebenwiderspruch behauptet.
Die Revolution wird feministisch – oder es wird keine geben!
Das WALDHEIM soll ein Raum sein, in dem sich alle FLTI*Menschen Platz nehmen dürfen.
Im Vordergrund stehen hierbei kollaborativ-partizipative Strukturen:
Wer mitmachen will, die* darf, und zwar in welcher Form sie* es für angemessen hält.
Ob Käfele, Debattierclub, Lotto, Stricken, Drucken, Pijamaparties oder Wendokurse – hier soll alles Raum haben dürfen. Wichtig ist aus unserer Perspektive nicht nur, was gemacht wird, sondern wie es gemacht wird und von wem.
Weil alle Kämpfe zusammenhängen und nicht voneinander losgelöst gedacht werden können.
Weil das Private politisch ist.
Im WALDHEIM soll aber nicht nur gemacht werden, sondern auch über das Machen selbst nachgedacht. Die Struktur ist bewusst offen gehalten, um einen Denkprozesse anzustossen: Wie wollen wir leben? Jetzt, wo wir einen Raum haben, was könnte er alles sein, wenn wir ihn von den herrschenden Konventionen befreien? Was ist alles möglich und was können wir alles gemeinsam möglich machen? Wie lässt sich dieser Raum nach draussen tragen, wie schaffen wir Platz? Gerade an diesen Gedanken teilzuhaben laden wir alle Frauen* ein.
Ronja macht Frauen*(t)räume wahr!
Ronja raubt Raum!
Freiräume wagen – Utopien nicht vertagen!

Programm 19. & 20. Februar 2016 fürs Einzugswochenende
Freitag: 11.00 Uhr Brunch; 18.00 Uhr Essen/Film
Samstag: 14.00 Uhr Feministische Stadtplanung
*Nur für Frauen, Lesben, Inter, Trans

2. Stellungsnahme (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2016/02/96818.shtml)
Wir, das Kollektiv Ronja, nehmen Stellung dazu, dass Männer laut den Medien in der Waldheimstrasse 49 „unerwünscht“ seien.
Das Kollektiv Ronja gestaltet einen Schutz- und Freiraum für FLTI* (Frauen, Lesben, Trans, Inter) als Gegenentwurf zu patriarchal geprägten Männerräume. Transmänner sind ausdrücklich Teil des Projekts und der Vision. Gemischte Abende sind in Planung, zum Beispiel zur kritischen Auseinandersetzung mit Männlichkeit und Macht.
Solidarische Grüsse


3. Solidaritätsbotschaft Anarchistische Gruppe Bern (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2016/02/96841.shtml)
Im Folgenden wollen wir uns auf die Besetzung an der Waldheimstrasse 49 beziehen. Hausbesetzungen in Bern sind selten und meist von kurzer Dauer. Dementsprechend hat es uns gefreut, dass ein kleiner Sieg errungen und wieder einmal ein Hausprojekt erkämpft werden konnte. Was uns jedoch zutiefst irritiert hat, waren einige Reaktionen aus der Bewegung. Wir sind uns bewusst, dass das Kollektiv für sich selber sprechen kann. Trotzdem ist es uns wichtig, unsere Solidarität mit dem Projekt auszudrücken und als Gruppe Stellung zu den Reaktionen zu beziehen.

Unsolidarisches und patriarchales Verhalten
Das FTLI* (Frauen, Lesben, Trans, Inter) Kollektiv Ronja hat sich autonom ein Haus erkämpft und „ein Gegenentwurf zu patriarchal geprägten Männerräumen, Schutz- und Freiräume für FLTI*- Menschen geschaffen.“
Als Reaktion auf die Hausbesetzung wurde meist von Männern der Unmut geäussert, dass diese von dem Projekt ausgeschlossen werden. Zudem wird das Squat unkritisch als „Frauenhaus an der Waldheimstrasse“ bezeichnet. Diese Reaktionen sind für uns in erster Linie unsolidarisch und zeigen ein verwurzeltes patriarchales Verhalten.
Es steht allen frei Häuser zu besetzen. Neidisch zu sein oder gar Ansprüche auf Squats zu stellen, erinnern mehr an kapitalistisches Konkurrenzdenken und weniger an eine solidarisch-revolutionäre Bewegung. Gerade am Anfang einer Besetzung nehmen Verhandlungen und drohende Repression viel Zeit und Ressourcen in Anspruch. Wir denken, dass es in dieser Phase einfach nur kräfteraubend sein muss, wegen einigen Beleidigten aus der Szene Stellung beziehen zu müssen. Die Bezeichnung „Frauenhaus“ für das Squat entwertet die zahlreichen, existierenden Frauenhäuser. Des Weiteren werden rhetorisch heteronormative Geschlechterrollen aufrechterhalten, in dem das FTLI*-Spektrum lediglich auf das Geschlecht „Frau“ reduziert wird.

Sexismus ist (leider) Alltag
Schutzräume sind in einer heteronormativen Gesellschaft immer noch wichtig und richtig. Zudem müssen sich bereits bestehende Schutzräume tagtäglich von Neuem behaupten. Ein gutes Beispiel bietet hierbei das Kulturzentrum „Reitschule“. Obwohl es dort einen Frauenraum gibt, der Raum für FTLI*-Menschen schafft, muss tagtäglich und vor allem abends gegen Sexismus gekämpft werden. So haben auf dem Vorplatz der Reitschule sexistische Äusserungen oder Übergriffe in der letzten Zeit zugenommen. Besucher*innen der alljährlichen Dragnight werden auf dem Hin- und Rückweg regelmässig angepöbelt. Diese und andere sexistischen Ereignisse werden von den zahlreichen politischen Gruppen nur dürftig bis gar nicht aufgegriffen und thematisiert.
Die Besetzung sehen wir als selbstbestimmten Schritt, um jenen Raum zu schaffen, der ansonsten fehlt.
Wir wünschen dem Kollektiv Ronja, allen Interessierten und Engagierten des Hauses viel Kraft und Erfolg.
Allen anderen (uns eingeschlossen) check and question your privileges
Anarchistische Gruppe Bern


4. Medienbericht (Originalquelle: https://www.derbund.ch/bern/stadt/feministinnen-besetzen-haus-im-laenggassquartier/story/24465204)
Feministinnen besetzen Haus in der Länggasse
Ein Haus an der Waldheimstrasse im Länggassquartier wird von einer Gruppe namens Ronja besetzt.
Eine Gruppe namens Ronja hat ein Haus an der Waldheimstrasse 49 im Berner Länggassquartier besetzt. Die Gruppe will einen Ort für Frauen, Lesben, Inter- und Transsexuelle schaffen. Männer sind nicht erwünscht.

Am Freitagmorgen gab die Gruppe Ronja die Hausbesetzung auf der linken Internetplattform Indymedia bekannt. «Wir geben uns den Platz, den wir zum Atmen, Leben, Träumen und Denken brauchen», heisst es in der Mitteilung. Dies, weil sich der «eiserne Griff des Patriarchats» in den letzten Jahren nicht gelockert habe.

Bei einem Besuch vor Ort zeigte sich die Besetzergruppe nicht gesprächsbereit. Die Klingel wurde ignoriert. Kurz tauchte eine vermummte Frau am Fenster auf, zog sich aber kommentarlos gleich wieder zurück.

Besitzerfirma nicht begeistert
Gemäss der Mitteilung waren für Freitag und Samstag mehrere Veranstaltungen geplant. Für Samstagnachmittag plante die Gruppe etwa eine Veranstaltung zu «Feministischer Stadtplanung». Der am Freitag geplante Brunch jedoch wurde verschoben. Auf der Internetplattform Indymedia gab die Gruppe Ronja bekannt, dass sie auf einen Kontakt mit den Hausbesitzenden wartet. Sobald dieser bestehe, werde über weitere öffentliche Anlässe informiert.

Besitzer der Liegenschaft ist die Verdi Immobilien AG in Bern. Thomas Graf, welcher die Liegenschaft betreut, bestätigt auf Anfrage, dass er über die Besetzung informiert sei. «Wir haben das Haus gestern von den ehemaligen Mietern geputzt übernommen.» Noch in der Nacht hat die Gruppe Ronja das Haus besetzt. Dass die Liegenschaft nun schon besetzt ist, stört Graf. Er will sich jetzt mit den Aktionären der Verdi Immobilien AG zusammen über das weitere Vorgehen Gedanken machen.

Auch die Kantonspolizei hat Kenntnis von der Hausbesetzung, wie Polizeisprecher Christoph Gnägi auf Anfrage sagt. «Ob die Besetzung toleriert wird oder ob es eine Anzeige gibt, entscheidet die Eigentümerschaft.» Die Polizei steht mit dieser in Kontakt. (mis/sda)