2020,  Gender,  Sprays

Graffitiaktion Kill all Rapists

Inhalt:
1. Communiqué


1. Communiqué (Originalquelle: https://barrikade.info/article/3620)
KILL ALL RAPISTS-und wieso diese Aussage, aus unserer Sicht, auch Teil eines feministischen Kampfes sein kann.
Wir, eine Gruppe von revolutionären Queerfeministinnen, haben im Innenhof der Reitschule ein grosses „Kill All Rapists“ gemalt. Nach verbalen Angriffen, Rechtfertigungsforderungen v.a. von cis Männern und der gezielten Übermalung des Wortes „Rapists“ mit dem Wort „U“ im Bild, sind wir es nun leid.

Mit diesem Text wollen wir nun ein letztes Mal unseren Standpunkt klar machen. Wir haben nicht den Anspruch mit diesem Text Menschen zu überzeugen und „abzuholen“. Wir schreiben diesen Text, weil wir diese elenden Rechtfertigungsdiskussionen satthaben.

Wir haben es satt, dass sich betroffene Personen für ihre Umgangsweisen mit sexualisierter Gewalt rechtfertigen müssen. Wir haben es satt, dass wir für unsere Umgangsformen mit sexualisierter Gewalt angegriffen werden. So hatten die übermalenden Personen ein grosses Problem mit einem „Kill All Rapists“, aber keines damit, das Wort „Rapists“ mit „U“ (you) zu übermalen. Gerade der Hintergrund eines lebenslangen Kampfes, welcher sich in den letzten Monaten für FLINT-Personen (Frauen, Lesben, inter- nonbinary- und trans Personen) der Reitschule noch einmal deutlich intensiviert hat, macht solche Reaktionen besonders schmerzhaft. Wir sind uns der Polemik des Bildes bewusst, doch die ist nach den letzten Monaten von endlosen Diskussionen über Feminismus-Basics auch angebracht.

Denn seit wann hat diese politische „Szene“ den Anspruch, dass Parolen in Grafittis oder auf Transpis eine ganzheitliche Analyse beinhalten, sowie angenehm und diplomatisch sein müssen? Im Gegenteil, provokante Parolen sind in Bern nichts Seltenes. An vielen Wänden und auf vielen Transpis finden sich Schriftzüge wie „Kill Nazis“, „Kill Erdogan“, ACAT (All Cops are Targets), „Eat the Rich“, etc. Lange Zeit schmückte ein grosses „Kill Popos“ (Police Officers) die Innenseite des grossen Tores. Es scheint legitim zu sein, polemische Parolen zu äussern, sofern Faschist*innen, Kapitalist*innen oder die Staatsgewalt die Angegriffenen sind. Faschistischer, kapitalistischer und staatlicher Gewalt mit Gewalt oder Gewaltandrohungen entgegen zu treten ist akzeptiert. Doch dieselbe Umgangsweise mit patriarchaler Gewalt wird als zu extrem wahrgenommen. Was für Heuchler*innen seid ihr?
Feindbilder dürfen also diffamiert und angegriffen werden, solange sie sich deutlich ausserhalb des eigenen Dunstkreises befinden. Werden Probleme innerhalb der eigenen „Szene“ thematisiert, heisst es „Feuer frei!“ auf die Personen, welche Kritik anbringen und die internen Problempunkte ansprechen.

Das Bild war ein Teil von vielen Diskussionen in die wir ungefragt verwickelt wurden. So wurde unsere Parole unter anderem als kontraproduktiv oder gar nicht mit Anarchismus vereinbar bezeichnet. Mit solchen Aussagen spricht mensch uns, den Künstler*innen, jegliches politische Wissen und jegliche politischen Überzeugungen ab. Äusserst ironisch, wenn mensch bedenkt, dass FLINT-Personen insbesondere die letzten Monate so viel Zeit und Energie aufgebracht haben, Aufarbeitungsprozesse fernab von Polizei und Justiz in die Gänge zu bringen (wohlgemerkt meist ohne euch, liebe „Genossen“).

Und inwiefern ist unsere Aussage kontraproduktiv? Kontraproduktiv dazu, dass sich Täterpersonen in der Reitschule wohl fühlen können? Gut! Der Fokus darf nicht auf dem Komfort der Täterpersonen liegen. Denn solange sich Täterpersonen in politischen Räumen wohl fühlen können, wird dies für FLINT-Personen unmöglich sein. Wir können in diesen Räumen keine politische Arbeit betreiben, ohne immer und immer wieder mit dieser Scheisse konfrontiert zu werden. Weshalb werten wir das Wohlbefinden von Täterpersonen höher als das Wohlbefinden von FLINT-Personen? Und unsere politische Arbeit habt ihr bitter nötig! Eure Kritik verstärkt den Eindruck, dass es in einem anarchistischen Umfeld mehr Platz für Täterpersonen und deren Schützer*innen hat, als für die von dieser Gewalt Betroffenen. Nicht selten wird das Konzept der transformativen Gerechtigkeit so umgedeutet, dass jegliche (auch von betroffenen Personen gewünschte) Gewalt an Täterpersonen als kontraproduktiv und unreflektiert abgetan wird. Feministischer Praxis wird die politische Legitimität abgesprochen indem mensch Forderungen von (primär, sekundär, potentiell) betroffenen Personen mit staatlicher Repression vergleicht. Diese Taktik ist besonders widerlich, wenn mensch bedenkt, dass der Staat und seine zugehörigen Institutionen immens dazu beitragen, dass Täterpersonen geschützt werden und das Patriarchat aufrecht erhalten wird.

Anarchismus hat eine lange Geschichte der direkten Aktion. Umso überraschender ist es, dass von betroffenen Personen initiierte direkte Aktionen gegenüber Täterpersonen als „nicht anarchistisch“, autoritär, reaktionär und emotional abgewertet, anstatt als politische Handlungsweisen anerkannt zu werden. (Und wenn wir euch erklären müssen, weshalb es widerlich ist, die Reaktionen von FLINT-Personen auf Sexismus und sexualisierte Gewalt als „emotional“ abzutun, solltet ihr vor diesem Text noch einige andere Auseinandersetzungen führen. Und überlegt euch doch auch mal, dies mit anderen cis Männern zu tun.)
Es ist nicht anarchistisch, die staatliche Todesstrafe wieder einzuführen. Aber wieso kommt ihr überhaupt auf die Idee, dass dies unser Bestreben sein sollte? Auch hier zeigen sich wieder Sexismen. Weil wenn von „Kill Nazis“ oder „Kill Cops“ gesprochen wird ist offensichtlich, dass dies selbstorganisiert und nicht staatlich geschehen sollte. Klar kann hier argumentiert werden, dass sich letztere Äusserungen gegen eine sehr rechts orientierte Staatsgewalt richten und sich diese kaum selbst bestrafen wird. Aber genau dieses Argument kann auch verwendet werden, wenn es um patriarchale Gewalt geht, denn der Staat ist erzpatriarchal. Aber nein, wenn es um sexualisierte Gewalt geht, wird gleich vermutet, dass sich FLINT-Personen nicht selbst zur Wehr setzen können, sondern auf staatliche Gewalt zurückgreifen müssen. Aber der Staat schützt uns nicht, unsere Genossen schützen uns nicht, wir haben nur uns selbst.

I am cool with you killing your rapist. I am cool with me killing my rapist, but I’m not cool with a government killing rapists. I’m not cool empowering civil servants to decide who should die or why, much less when and how.

Unser gemaltes „Kill All Rapists“ darf ebenfalls nicht als Aufforderung an cis Männer verstanden werden, Täterpersonen ohne die explizite Forderung von betroffenen Personen anzugreifen. Denn das ist nichts anderes, als in eurem patriarchalen Verständnis das Konstrukt Ehre von „“euren“ FLINT-Personen „wiederherzustellen“. Obwohl, damit hättet ihr wohl weniger Mühe? Denn das Konzept „Ehre“, das kennt ihr. Aber mit radikalen Bedürfnissen von FLINT-Personen kommt ihr nicht klar.

Und was ist eigentlich mit Rache? Es gibt Kritik, dass eine solche Motivation unrechtmässig und vielleicht sogar das Gegenteil von Rechenschaftspflicht sei. Aber wenn wir Fenster einschlagen oder Brände stiften, ziehen wir dann nicht das Kapital zur Rechenschaft oder üben wir Rache an ihm aus? Sind als Reaktion auf den ständigen Angriff der kapitalistischen Herrschaft nicht alle politischen Aktionen zumindest teilweise rachemotiviert?
Und überhaupt: Wir als Revolutionäre Aktivist*innen haben uns alle irgendwann bewusst gegen den parlamentarischen Weg entschieden, weil wir wissen, dass wir das kapitalistische System radikal bekämpfen müssen. Wir kritisieren dieses System nicht lieb und nett, wir greifen es an. Es ist unser Ziel, als Gefahr für die herrschenden Verhältnisse wahrgenommen zu werden.
Warum verdammt nochmal seht ihr denn nicht ein, weshalb auch Feminismus gefährlich und vor allem unbequem sein muss?

Die Aussage „Kill all Rapists“ ist unbequem und das seid ihr euch als Männer der anarchistischen „Szene“ nicht gewohnt. Denn im Gegensatz zu Männern ausserhalb der anarchistisch geprägten „Szene“, wird erwartet, dass Männer innerhalb der „Szene“ zuerst unter dem Gesichtspunkt von transformativer Gerechtigkeit betrachtet werden. Während bei Männern ausserhalb dieses Umfeldes als Reaktionen auf Übergriffe gerne mal zugeschlagen wird, wird Männern der anarchistisch geprägten „Szene“ der Vorteil des Zweifels gegeben, nämlich die Möglichkeit, an ihrer Scheiße zu arbeiten, nachdem von ihnen ein Übergriff begangen wurde. (Wohlgemerkt erst nach einem Übergriff, denn bevor sexualisierte Gewalt ans Licht kommt, wird dieses Thema und allgemein das Thema Feminismus selten direkt angesprochen.) Das ist paradox, denn wenn überhaupt, sollten die Männer in anarchistisch geprägten Gemeinschaften höheren Erwartungen gewachsen sein, angesichts ihrer implizierten Loyalität zu bestimmten Idealen und ihres (leider oft fälschlicherweise) angenommenen Verständnisses von Patriarchat und seinen Wirkungsweisen.

Wir wollen uns sicherlich nicht gegen das Konzept von transformativer Gerechtigkeit stellen. In allen Fällen, in denen transformative Prozesse mit Täterpersonen den Bedürfnissen der betroffenen Person(en) entsprechen, unterstützen wir diesen Ansatz auch von ganzem Herzen. Insbesondere, weil wir sehen, wie unsere feministischen Genoss*innen trotz einem entmutigenden Umfeld, wie das unserer sexistischen linken „Szene“, hier Arbeit mit ermutigenden Ergebnissen leisten. Doch entspricht dieses Vorgehen nicht den Bedürfnissen der betroffenen Person(en) oder geschieht es nicht in Absprache mit ihnen, dann sehen wir die Prozesse von „transformativer Gerechtigkeit“ als nichts anderes als Täterschutz, die Wiedereingliederung, und nicht Gerechtigkeit als Ziel haben.
Zudem kann ein Prozess der transformativen Gerechtigkeit nicht das einzige mögliche Vorgehen sein, wenn sexualisierte Gewalt ausgeübt wurde. Die Handlungsmöglichkeiten müssen so vielseitig sein wie es die Bedürfnisse von Betroffenen sind. Auch dürfen die unterschiedlichen Umgangsweisen nicht gewertet werden. Denn uns ist aufgefallen, dass betroffene Personen in zwei Kategorien eingeteilt werden: Jene, die „gut“ damit umgehen (= transformative Prozesse mit ihren Täterpersonen befürworten) und jene, die „schlecht“ damit umgehen (= einen anderen Ansatz als transformative Gerechtigkeit wählen und Gewalt gegen ihre Täterpersonen nicht ausschliessen). Erstens ist dies wieder eine Bevormundung von FLINT-Personen bzgl. ihrem Umgang mit Täterpersonen und zweitens spielt es FLINT-Personen gegeneinander aus. Wieder werden wir unterteilt in die lieben, guten Feministinnen* und in die bösen, gewaltbereiten Feminazis. (Hallo Analogie zur Spaltungsrhetorik die wir bei den bürgerlichen Medien in ihrem Schreiben über „friedliche“ und „gewaltbereite“ Demonstrant*innen immer wieder kritisieren).
Unsere Kritik gilt also nicht dem Konzept der transformativen Gerechtigkeit an sich, sondern der Art und Weise, wie dieses instrumentalisiert wird, um Täterpersonen zu schonen und betroffene Personen zu bevormunden, indem transformative Gerechtigkeit als einzige legitime Umgangsweise mit sexualisierter Gewalt definiert wird.

Ein weiterer Punkt, der uns sehr zu denken gibt ist, dass wir einen grösseren Aufschrei wahrgenommen haben wegen diesem Bild mit den Worten „Kill All Rapists“ als wegen der sexualisierten Gewalt, der v.a. FLINT-Personen tagtäglich ausgesetzt werden. Sexualisierte Übergriffe und Vergewaltigungen sind keine Dinge, die einfach so passieren, es handelt sich dabei nicht um Einzelfälle. Diese Taten sind in ihrer Systematik politische und absichtliche Aufrechterhaltungen eines Herrschaftssystems. Ein System, das FLINT-Personen auf jeder Ebene unterwirft, welches immer gewalttätig ist und das nicht nur dadurch angegriffen werden kann, dass einzelne Tatpersonen sich auf theoretischer Ebene damit auseinandersetzen. Die systematische Gewalt des Patriarchats erfordert Selbstverteidigung, denn es gibt keinen Weg, die Vergewaltigungskultur nur durch gewaltlose Auseinandersetzungen und Prozesse zu zerstören, weil es keinen Weg gibt, die Vergewaltigungskultur zu zerstören, ohne die Gesellschaft zu zerstören.
Kein Übergriff war jemals nur ein isolierter Angriff, sondern in seinen Konsequenzen immer auch eine bewusste Verstärkung patriarchalischer Unterdrückung. Um Mona Eltahawy zu zitieren: „I want patriarchy to fear feminism… how long must we wait for men and boys to stop murdering us, to stop beating us and to stop raping us? How many rapists must we kill until men stop raping us?“ Wenn diese Aussage Männern Angst macht, dann sollen sie auch Angst haben. Denn FLINT-Personen leben täglich mit der Angst vor tatsächlicher männlicher Gewalt.
Wann sprechen wir endlich mal nicht über dieses scheiss Grafitti, sondern darüber, was dahinter steht?

Nachdem wir euch nun unseren Standpunkt mehr als nur zu Genüge dargelegt haben, möchten wir mit einer Selbstkritik schliessen.
„Kill all Rapists“ ist eine sehr polemische und unvollständige Kritik an der Vergewaltigungskultur, die unsere Gesellschaft prägt. Einzelne Exponenten werden zwar angegriffen, nicht aber das ganze System der Vergewaltigungskultur an sich und ebensowenig die grosse Zahl der Menschen, welche diese durch ihr Verhalten reproduzieren oder von ihr profitieren.
Das Bild kann als Bevormundung gegenüber betroffenen Personen verstanden werden, in dem wir vorschreiben, was mit der gewaltausübenden Person geschehen soll. Gerade, da wir uns der bereits erläuterten Polemik wegen, für das Wort „all“ (also „alle) entschieden haben. Dies liegt fernab von dem, was wir vertreten wollen. Wie oder wie eben nicht mit einer Täterpersonen umgegangen werden soll, ist allein Sache der betroffenen Person. Wir unterstützen eine möglichst grosse Vielfalt an Umgangsweisen, denn nur so kann den individuellen Bedürfnissen der betroffenen Personen irgendwie Rechnung getragen werden. Doch nicht nur der Polemik wegen entschieden wir uns für diese Verallgemeinerung, sondern auch um die allumfassende Systematik von sexualisierter Gewalt zu thematisieren, auf die wir ebenfalls weiter oben eingegangen sind.
Ebenfalls war uns nicht bewusst, dass unsere Äusserung dahingehend verstanden werden kann, dass von Vergewaltigung(en) betroffene Personen als „befleckt“ und „entehrt“ dargestellt würden. Dies, da verstanden werden könnte, dass sie nur durch Rache an der gewaltausübenden Person einen Platz in der Gesellschaft zurück erlangen könnten. Auch gegen dieses Verständnis wollen wir uns vehement stellen. Eine Vergewaltigung ist eine krasse Grenzüberschreitung seitens der Täterpersonen, ein Werkzeug des Patriarchats, eine politische und absichtliche Aufrechterhaltung eines Herrschaftssystems und hat rein gar nichts mit dem Charakter, dem „Wert“ oder dem Verhalten der betroffenen Person zu tun.

Wir haben bewusst eine polemische Äusserungsweise gewählt und befürworten, dass sich daraus einige Diskussionen ergeben haben. Leider drehen sich diese Diskussionen aber nach unserer Sicht ums Falsche. Es kann nicht darum gehen über die Existenzberechtigung von polemischen Parolen zu diskutieren, die Rechtmässigkeit von Umgangsweisen von betroffenen Personen mit sexualisierter Gewalt zu bestimmen oder den einen richtigen Umgangsweg zu diktieren. Es kann nicht darum gehen die Legitimität des Prinzips der transformativen Gerechtigkeit zu verneinen oder zu bejahen. Sondern die Diskussion muss sich darum drehen wie wir, solidarisch mit allen von Sexismen betroffenen Menschen, gegen patriarchale und sexualisierte Gewalt vorgehen können. Wir müssen verstehen, was unsere Rollen in der Aufrechterhaltung dieses gewaltsamen Unterdrückungssystems sind. Und ihr müsst betroffenen Personen endlich zuhören.

Denn wie wir meinen feministischen Kampf führe ist unsere Entscheidung.
NOT YOUR STRUGGLE? – NOT YOUR DECISION!