2002,  Antirassismus

Petition gegen somalische Flüchtlingsfamilie

Inhalt:
1. Medienbericht


1. Medienbericht (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2002/12/2515.shtml)
Bund 27.12.02
Schwierige Nachbarschaften
92 Bewohner eines Hochhauses in Berns Westen haben einen Brief unterschrieben, um eine somalische Flüchtlingsfamilie loszuwerden
Wenn sie gewusst hätte, was in der Schweiz auf sie zukomme, wäre sie lieber in Somalia gestorben, sagt die fünffache Mutter Aliya Maxamed* heute. Ihre Nachbarn haben die Verwaltung aufgefordert, die Familie rauszuwerfen, damit wieder eine «anständige Ordnung» herrsche.

Angefangen hat alles mit einer Antenne. Helga und Peter Kutter* fragten im Februar 2002 schriftlich beim Verwalter ihres 20-stöckigen Hochhauses in Bümpliz nach, ob es für das Anbringen von Parabolspiegelantennen nicht eine Sonderbewilligung brauche. Bis dies geklärt sei, müsse die Antenne bei ihren Nachbarn unverzüglich wieder entfernt werden. «Wir wussten nicht, dass Antennen verboten sind wir wollten nur BBC Somalia hören», sagt Mulki Maxamed und verweist auf die Schüssel seiner kurdischen Nachbarn, die immer noch installiert ist.
Seit einem Jahr wohnt das Ehepaar Maxamed mit seinen fünf Kindern in Bümpliz. Die Wohnung ist sauber, in einer Vitrine steht Porzellan, an der Wand hängen Teppiche mit Darstellungen von Mekka. Vor zehn Jahren seien sie aus den somalischen Kriegswirren in die Schweiz geflüchtet, erzählen sie. Sobald sich die Lage in ihrer Heimat beruhigt, müssen sie wieder zurück. Die Kinder sprechen unterdessen Schweizerdeutsch, die Eltern nur bruchstückhaft Hochdeutsch. Für Übersetzungen hilft ihnen jeweils ein Cousin aus Basel.

«Ein Fall für die Fremdenpolizei»
Mitte Oktober beschwerten sich Kutters erneut in einem Brief bei der Verwaltung über die Familie Maxamed. Bis um 23 Uhr werde umhergerannt und gepoltert. Am Nachmittag, wenn «die ganze Sippschaft» ausgehe, könne man bis zu zehn Personen zählen. Sie fragten an, ob das nicht «ein Fall für die Fremdenpolizei wäre».
Aliya Maxamed fühlt sich nicht wohl in ihrer neuen Umgebung: «Die Leute schauen uns sehr misstrauisch an, niemand lacht.» Mehrfach seien brennende Zigaretten aus dem Haus heruntergeworfen worden, wenn sie oder ihre Töchter im Tschador über den Hof gingen. «Was soll ich nur machen», fragt sie, «ich kann meinen Kindern doch nicht die Münder zukleben, damit sie keinen Lärm machen?» Während der Schulzeit schicke sie die Kleinen jeweils um neun Uhr ins Bett.
Ihr Mann erklärt weiter: «Wir bekommen häufig Besuch von unseren Verwandten aus Basel oder aus dem Wallis.» Früher in Somalia hätten sie alle zusammen gewohnt. «Wir dürfen die Schweiz nicht verlassen, und wir haben keine anderen Freunde wenn wir sie nicht mehr sehen könnten, würden wir durchdrehen», rechtfertigt er die Besuche. Unterdessen träfen sie sich mehr in Basel als in Bern.

Kein Platz für «Schmarotzer»
Doch Kutters fanden keine Ruhe und listeten der Verwaltung auf, wie lange sie jeweils gestört wurden: Am 18. Oktober von 16 Uhr bis 23 Uhr, am 21. Oktober war «Ruhe für einmal», am 26. Oktober dagegen Lärm bis um 0.45 Uhr. «Was braucht es eigentlich, damit die Hausverwaltung den Mut hat, diese Ruhestörer auf die Strasse zu stellen?» 29 Jahre hätten sie als Stockwerkeigentümer in Ruhe und Frieden gewohnt. Es gebe genügend Familien, die solche Wohnungen suchten. «Schmarotzer wie die jetzigen haben keinen Platz in unserer Hausgemeinschaft.»
Der Verwalter schätzte die Lage jedoch anders ein. «Er bezeichnete uns als Rassisten und liess die Bemerkung fallen, wir könnten uns ja anderswo umsehen, wenn es uns in Bümpliz nicht gefalle», sagen Kutters dem «Bund». Nun baten sie die Vermieter der Wohnung der Familie Maxamed, «dem Terror ein Ende zu setzen», denn auf dem Balkon der Nachbarn stinke es so fürchterlich, dass sie dort ein «Freiluft-WC» vermuteten. Dem Flüchtlingssekretariat meldeten sie, dass Herr Maxamed beobachtet worden sei, wie er Namen von Hausbewohnern von den Briefkästen abgeschrieben habe. Somalia gelte weltweit als Land des Terrors und der Al-Qaida. «Seid wachsam und meldet besondere Vorkommnisse der Polizei oder an eure Amtsstelle», sei in der Tagespresse immer wieder zu lesen. Schliesslich begann das Ehepaar im Block Unterschriften zu einem Brief zu sammeln, in dem die Verwaltung aufgefordert wird, die Familie vor die Tür zu stellen. 92 Hausbewohner unterschrieben. «Wir hätten selber nicht gedacht, dass es so viele werden», sagt das Ehepaar Kutter. Die meisten Unterzeichnenden kennen die Familie Maxamed nicht.

Angst vor den Schweizern
«Ich habe unterdessen Angst, hier zu wohnen», sagt Aliya Maxamed, «lieber wäre ich in Somalia gestorben, als in die Schweiz zu kommen.» Wer sie nicht möge, finde immer einen Grund, sie anzuschwärzen. Vielleicht hätten die Windeln ihres Kleinkindes gestunken «aber wir machen doch nicht auf den Balkon».
Auch Mulki Maxamed hat Angst. Er habe einen älteren Mann bei der Polizei angezeigt, weil er mehrfach von ihm mit bösen Blicken bedacht worden sei. Dann habe er sich vom Hauswart den entsprechenden Klingelknopf zeigen lassen und dort den Namen abgeschrieben. «Wenn mir oder meinen Kindern etwas passiert, so wissen sie wenigstens, wer alles in Frage kommt», erklärt er sein Vorgehen. Dass er deshalb mit der Al-Qaida in Verbindung gebracht wird, bringt ihn zum Lachen. Unterdessen nehmen Kutters die meisten Vorwürfe zurück: «Ich bin der Letzte, der sagen würde, diese Familie müsse weg sie sollen sich nur an die Hausordnung halten», sagt Peter Kutter dem «Bund».