2011,  Demo,  Farbanschlag,  Farbe,  Freiraum

Tanz dich Frei

Inhalt:
1. Aufruf
2. Communiqué
3. Medienbericht

1. Aufruf (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2011/03/80768.shtml)
Der öffentliche Raum gehört allen und niemandem, er steht jedem Menschen gleichermassen zur Verfügung. Doch heute können ihn nicht alle gleichermassen nutzen. Am 16. April nehmen wir uns den Raum zurück und fühlen uns frei auf den Strassen zu feiern. Wir starten um 21:00 Uhr bei der Reithalle. Geboten wird ein abwechslungsreicher Abend mit Bands, DJ’s und Freestyle Rap.
Whose streets?

* Warum müssen wir um Erlaubnis bitten, um ein Fest auf der Strasse zu feiern?
* Wer nimmt sich das Recht uns eine Genehmigung dafür zu erteilen und warum?
* Warum können Menschen vom Bahnhofareal weggewiesen werden?
* Warum dürfen im Bahnhof Werbegeschenke verteilt werden aber keine politischen Flyer?
* Warum darf man auf dem Bahnhofareal nicht betteln aber Spenden für Privatfirmen und NGOs sammeln?

Wem gehört der öffentliche Raum eigentlich? Der öffentliche Raum gehört allen und niemandem, er steht jedem Menschen gleichermassen zur Verfügung. Doch alleine im Jahr 2009 wurden in der Stadt Bern 438 Personen aus dem öffentlichen Raum weggewiesen. Er steht längst nicht allen gleichermassen zu und wir dürfen ihn nicht unbegrenzt benutzten. Gern gesehen sind eigentlich nur Menschen, die konsumieren wollen und können. Unerwünschte (alle die nicht dem Klischee vom „normalen Bürger“ entsprechen) werden gezielt vertrieben. Der Konsumsektor im öffentlichen Raum wird zunehmend ausgebaut. Allein im Hauptbahnhof sorgen bis zu sieben staatliche und private Sicherheitsorganisationen für die Durchsetzung des Bahnhofreglements. Polizei, Bahnpolizei, Securitrans, Protectas, Pinto, Laden-Security und SBB-BahnhofpatInnen patrouillieren, bewachen, kontrollieren, büssen, verhaften und/oder belehren je nach Kompetenzen unter den Linsen diverser Videoüberwachungskameras die Bahnhofbenutzenden. Konsumfreies Sein ist unerwünscht. Sitzgelegenheiten wurden abmontiert und die „Steine“ im hinteren Bahnhofteil, sind nicht länger Sitzplatz, sondern verschwanden hinter Glasvitrinen. Dutzende städtische, öffentliche Toiletten, auch die beiden grossen Bahnhofstoiletten wurden geschlossen und durch kostenpflichtige Toilettenanlagen ersetzt.
Die Diskriminierung bestimmter Gruppen können wir täglich beobachten. Warum muss mensch beispielsweise den Schweizer Pass besitzen, einen bestimmten Kleidungsstil bevorzugen oder viel Geld besitzen, um sich an bestimmten Orten aufzuhalten, zu feiern, sich auszutauschen…? Die Ausgrenzung spürt mensch überall, zum Beispiel im Bahnhof, ÖV, Parks oder in der Innenstadt. Vom Rosengarten über die Münsterplattform bis hin zur Grossen Schanze verkünden Benutzungsordnungen zahlreiche Regeln, welche eingehalten werden müssen – durchgesetzt von Uniformierten aller Art. Diese führen Personenkontrollen durch, die auf rassistischen Motiven basieren. Es werden gezielt einzelne Personen schikaniert. „Unliebsame Personen“ werden immer wieder von repräsentativen Orten vertrieben, um ein „attraktives“, „sauberes“, touristenfreundliches Stadtbild zu schaffen. Diese Menschen sind gezwungen sich an einem anderen Ort zu sammeln, nur um von dort einmal mehr vertrieben zu werden. Durch Vertreibung verschwinden diese Menschen aber nicht, sie bewegen sich nur an einen anderen Ort. Die Stadt sieht ihr Problem gelöst. Wir sehen gezielte staatliche Unterdrückung.

Raum, der allen zur Verfügung steht, kann und will uns die kapitalistische Gesellschaft nicht garantieren. Nur wer viel Geld besitzt, hat problemlos Zugang zu Raum. Mit Geld können ganze Häuser mit riesigen Werbebannern verdeckt werden. Mensch kann keinen Schritt vor die Tür setzen ohne von Werbung überflutet zu werden. Wer Geld hat, bestimmt das Stadtbild, bestimmt was, wie und wo gebaut wird, ganze Strassenzüge werden privatisiert. Ein einziger Mensch kann Wälder, Zugänge zu Seen, weite Landflächen kaufen und so dem ganzen Rest der Öffentlichkeit vorenthalten. Wenn wir den Raum nutzen wollen, im Rahmen einer bleibenden Besetzung, einer Sauvage, einem Strassenfest, oder in Form von Streetart müssen wir mit Gewalt, Geldbussen, Gefängnis und anderen repressiven Massnahmen rechnen. Gegen die Reduzierung und Verkommerzialisierung des öffentlichen Raumes.
Our streets!


2. Communiqué (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2011/04/81136.shtml)
Medienmitteilung „Tanz dich frei“
Am 16. April nahmen sich 700 Tänzerinnen und Tänzer die Strassen von Bern zurück. Der friedliche Umzug durch die Gassen von Bern wurde auf dem Vorplatz der Reitschule mit einem ausgelassenen Fest beendet. Der Anlass setzte ein starkes Zeichen gegen die zunehmende Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes und dessen Folgen.
Die Kultband Mani Porno eröffnete um 21:00 Uhr den Abend auf der Schützenmatte und versetzte die Anwesenden in Festlaune. In guter Stimmung ging es anschliessend durch die Strassen von Bern. Zu den Beats von DJ’s präsentierte die Berner Rap Szene Freestyles vom feinsten. Friedlich bewegte sich die Menschenmasse durch die Gassen und Quartiere, wo sich spontan NachtschwärmerInnen dem Umzug anschlossen. Die Mobile Bar versorgte die TeilnehmerInnen mit Bier. Um 23:30 wurde der Umzug vor der Reitschule beendet. Zu Techno und Minimal feierten noch gut 350 Menschen auf dem Vorplatz bis in die frühen Morgenstunden.
Der Anlass hat die Strassen Berns für kurze Zeit zu Freiraum gemacht. Er zeigte eine praktische Alternative zu dem dominanten Diskurs über den öffentlichen Raum. Politiker fordern immer strengere Gesetze, welche den öffentlichen Raum zu einer Kulisse für Touristen und Einkaufende degradieren. Er ist nur noch die Lücke zwischen zwei Geschäften. Unliebsame Personen, werden weggewiesen und aus der Stadt vertrieben. „Tanz dich frei“ hat sich den Raum zurückgeholt und aus der Lücke ein Ort der Begegnung und des solidarischen Miteinander gemacht.
Wir werden auch in Zukunft dafür kämpfen, dass öffentlicher Raum von allen unbegrenzt und ohne Auflagen genutzt werden kann. „Tanz dich Frei“ war ein erfolgreicher, kollektiver Protest gegen die herrschenden Zustände. Die gewonnene Energie muss in unseren Alltag übertragen werden. Kritik an Herrschaftsstrukturen und seinem Wirtschaftssystem sollte unsere Praxis sein.
Die Definitionsmacht der Regierenden über den öffentlichen Raum wird nicht nur in Bern in Frage gestellt. International und auch in anderen Städten der Schweiz finden Aktionen gegen seine einseitige Nutzung statt. So wurde ebenfalls am 16. April in Heidelberg (DE) gegen die herrschenden Zustände getanzt. Am 30. April wird in Luzern ein antikapitalistischer Tanz stattfinden.


3. Medienbericht (Originalquelle: http://www.derbund.ch/bern/Unbewilligte-TanzDemo-am-Samstagabend/story/24766536)
Unbewilligte Tanz-Demo am Samstagabend
Rund 400 Personen tanzten zu lauter Musik friedlich durch die Berner Innenstadt. Die Polizei liess die meist jungen Leute gewähren.
«Tanz dich frei» – so lautete das Motto des unbewilligten Umzugs, der am Samstagabend gegen 22 Uhr bei der Reitschule seinen Anfang nahm. Laut Polizeisprecher Michael Fichter marschierten die rund 400 Personen zuerst in Richtung Waisenhausplatz/Kornhausplatz, danach via Schauplatzgasse zum Bahnhof und schliesslich über die Schanzenstrasse in die Länggasse.
Beim Generalsekretariat der SVP seien drei Storen beschädigt und ein Farbbeutel an die Fassade geworfen worden, sagt Fichter. Ansonsten sei der unbewilligte Umzug aus polizeilicher Sicht ruhig verlaufen. Kurz vor Mitternacht habe sich der Zug bei der Reitschule wieder aufgelöst. Wie viele Polizisten im Einsatz standen, gibt Fichter nicht bekannt. Es habe sich um einen «Konkordatseinsatz» gehandelt, bei welchem auch Polizisten aus anderen Kantonen beigezogen werden. Die Polizei habe sich im Hintergrund gehalten.

Nause: «Militante und Party-Volk»
Der Berner Polizeidirektor Reto Nause (CVP) war selber vor Ort. «Es wäre unverhältnismässig gewesen, den Umzug zu verhindern», sagt er. Neben einem «militanten Block» habe er «mehrheitlich Party-Volk» beobachtet. Die Stadt habe vorgängig vergeblich versucht, mit den «Tanz dich frei»-Organisatoren Kontakt aufzunehmen. Es habe kein Bewilligungsgesuch gegeben.
Unter anderem auf einem einschlägigen Internetportal war für den Umzug mobilisiert worden. «Der öffentliche Raum gehört allen und niemandem, er steht jedem Menschen gleichermassen zur Verfügung. Doch heute können ihn nicht alle gleichermassen nutzen. Am 16. April nehmen wir uns den Raum zurück und fühlen uns frei, auf den Strassen zu feiern», schrieben die Organisatoren.