Tanz dich Frei 2.0
Inhalt:
1. Aufruf
2. Communiqué
3. Rede
4. Mitteilung Alternative Linke
5. Infobericht Indymedia
6. Medienbericht
1. Aufruf (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2012/05/86570.shtml)
Letztes Jahr sind wir am 16. April im Rahmen des „Tanz dich Frei“- Strassenfests mit 700 Leuten durch die Berner Innenstadt gezogen. Auch in diesem Jahr werden wir mit Live-Acts, Open Mic Freestyle Rap und verschiedenen DJs die Stadt Bern ihrem tristen grauen Alltag entreissen.
Am 2. Juni findet das „Tanz dich Frei 2.0“ statt. Wir brechen um 20:00 Uhr bei der Reitschule in Bern auf. Kommt farbenfroh kostümiert, die Tanzbeine schwingend und gut gelaunt. Denn wir haben Grund uns die Stadt zurück zu erobern.
Letztes Jahr sind wir am 16. April im Rahmen des „Tanz dich Frei“- Strassenfests mit 700 Leuten durch die Berner Innenstadt gezogen. Auch in diesem Jahr werden wir mit Live-Acts, Open Mic Freestyle Rap und verschiedenen DJs die Stadt Bern ihrem tristen grauen Alltag entreissen.
Am 2. Juni findet das „Tanz dich Frei 2.0“ statt. Wir brechen um 20:00 Uhr bei der Reitschule in Bern auf. Kommt farbenfroh kostümiert, die Tanzbeine schwingend und gut gelaunt. Denn wir haben Grund uns die Stadt zurück zu erobern.
Das Kernanliegen der heutigen Stadtentwicklung ist es der Entstehung einer A-stadt entgegenzuwirken. Das heisst eine Stadt mit einem übermässigen Anteil an Armen, Alten, Arbeitslosen, Autonomen, Ausländer_innen, Asozialen und Anderen zu vermeiden.
Niemand fragt uns, ob diese Politik unseren Vorstellungen entspricht. Denn das tut sie nicht!
UNSER Problem ist, das IHRE Aufwertungspolitik sich einzig und allein an den Bedürfnissen eines kleinen, wohlhabenden Bevölkerungsteils orientiert, denn nur Menschen mit Geld bringen die erwünschten Profite. All jene, die nicht zu dieser Schicht gehören, bleiben einmal mehr auf der Strecke. Obwohl der Nutzen nur einigen Wenigen vorbehalten ist, wirkt sich diese Politik im Alltag von uns allen aus. Die Nutzung des öffentlichen Raums wird grundsätzlich eingeschränkt, unliebsame Personengruppen aus diesem weggewiesen. In privaten Geschäften und immer mehr auch auf öffentlichen Plätzen werden wir von Kameras überwacht. Das (Nacht-)leben wird zusehends eingeschränkt. Politische Aktionen werden nicht toleriert und im Keim erstickt um eine möglichst hohe Abschreckung zu erreichen. Und dies sind nur einige Beispiele.
Auch wir wollen eine A-Stadt verhindern. Diese besteht für uns aber aus Aufwertungspolitik, Ausgrenzung und Ausbeutung. Wir wollen uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen, sondern selber bestimmen, wo und wann wir tanzen!
Tragen wir unseren Protest am Samstag, dem 2. Juni lautstark und tanzend auf die Strasse:
2. Communiqué (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2012/06/86597.shtml)
Gestern haben sich ca.18000 Menschen in der Stadt Bern versammelt und sind dem Aufruf des Tanz dich Frei gefolgt. Um 00.00 Uhr waren Bundesplatz wie auch Bärenplatz komplett mit Tanzenden gefüllt, gleichzeitig hielten sich bei der Heiliggeistkirche weitere Soundmobile mit hunderten Partygänger_innen auf.
12 Wagen starteten auf dem Vorplatz der Reitschule und der Schützenmatte. Die riesige Menschenmenge setzte sich gegen 21:00 Uhr in Bewegung Richtung Bahnhofplatz. Die Strassen wurden komplett von Tanzenden in Beschlag genommen.
Auf dem ganzen Weg bis zum Bundesplatz fanden diversen Livekonzerte statt, zwischendurch verstummte die Musik zugunsten einer politischen Rede. Auf dem Baldachin wurden Transparente mit Bezug auf politische Gefangene und die Tanz dich Frei Bewegung aufgehängt.
Auf dem Bundesplatz wurde ein längerer Halt gemacht und die Leute feierten ausgelassen, zu verschiedenen Musikstilen – Von Goa über Techno, Punk, Electro, Dubstep, Rock bis Hip-Hop waren alle Stilrichtungen vertreten. Zu später Stunde zogen sich die Wagen auf die Schützenmatte zurück, wo Patent Ochsner noch ein spontanes Konzert gaben.
Mit der Veranstaltung wurde auf die Stadtentwicklung aufmerksam gemacht:
Das Kernanliegen der aktuellen Stadtentwicklung ist es der Entstehung einer A-Stadt entgegenzuwirken. Das heisst eine Stadt mit einem übermässigen Anteil an Armen, Alten, Arbeitslosen, Autonomen, Ausländer_innen, Asozialen und Anderen zu vermeiden.
Niemand fragt uns, ob diese Politik unseren Vorstellungen entspricht. Denn das tut sie nicht!
UNSER Problem ist, das IHRE Aufwertungspolitik sich einzig und allein an den Bedürfnissen eines kleinen, wohlhabenden Bevölkerungsteils orientiert, denn nur Menschen mit Geld bringen die erwünschten Profite. All jene, die nicht zu dieser Schicht gehören, bleiben einmal mehr auf der Strecke. Obwohl der Nutzen nur einigen Wenigen vorbehalten ist, wirkt sich diese Politik im Alltag von uns allen aus. Die Nutzung des öffentlichen Raums wird grundsätzlich eingeschränkt, unliebsame Personengruppen aus diesem weggewiesen. In privaten Geschäften und immer mehr auch auf öffentlichen Plätzen werden wir von Kameras überwacht. Das (Nacht-)leben wird zusehends eingeschränkt. Politische Aktionen werden nicht toleriert und im Keim erstickt um eine möglichst hohe Abschreckung zu erreichen. Und dies sind nur einige Beispiele.
Auch wir wollen eine A-Stadt verhindern. Diese besteht für uns aber aus Aufwertungspolitik, Ausgrenzung und Ausbeutung. Wir wollen uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen, sondern selber bestimmen, wo und wann wir tanzen!
Wir sind enttäuscht von den Vereinnahmungsversuchen der politischen Parteien, die sich jetzt mit fremden Federn schmücken wollen und die Tanz dich Frei Veranstaltung für ihren Wahlkampf missbrauchen!
Die Organisator_innen der Veranstaltungen sind in einem basisdemokratischen, ausserparlamentarischen Bündnis zusammengeschlossen und gehören zu den sogenannten Linksaktivisten. Es ist absurd wie die CVP zu behaupten, linksalternative Kreise würden das Strassenfest mit antikapitalistischen Anliegen vereinnahmen – wir organisieren es desshalb!
Wir begrüssen die Eigeninitiative von anderen, die jetzt erneut zu einem Tdf 2.1 aufrufen, möchten jedoch betonen, dass wir mit der Organisation dieses Anlasses nichts zu tun haben, sondern unglücklicherweise den selben Namen dazu verwendet wird.
Herzlichen Dank allen Teilnehmer_innen!
3. Rede (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2012/06/86597.shtml)
An alle Tanzende, Protestierende, Wütende, Revolutionäre, Zivilpolizisten, Müllers, Lerchs und Nauses und an alle zufällig Anwesenden!
Das Tanz dich Frei ist mehr, viel mehr als nur eine Party und ein simpler Protest gegen Müllers und Lerchs!
Wie letztes Jahr sind wir auch dieses Mal – als Tanz dich Frei 2.0 – auf der Strasse, um unseren Protest lautstark zu verbreiten!
Wir sind wütend – und das zurecht!
Wir finden keinen Wohnraum. Denn Wohnungen, Sanierungen und Neubauten gibt es nur für Reiche – wir werden verdrängt! Die Stadtpolitik ist einzig und allein daran interessiert, ein zahlungskräftiges Publikum anzuziehen – denn diese Leute füllen die Stadtkassen.
Eine Stadt funktioniert wie ein Unternehmen: profitorientiert!
Wir sind wütend!
Die Lärmbeschwerden einzelner Personen scheinen wichtiger als das Bedürfnis nach Freiraum. Heute sind wir x-tausend Leute, welche dieses Bedürfnis teilen. Zum Vergleich: die Reitschule hat innerhalb eines ganzen Jahres 81 Lärmklagen von etwa 15 Leuten erhalten, weswegen der Vorplatz nun um 00:30 geschlossen werden soll. Was geschieht aber mit all den Leuten? Was geschieht mit der allseits beliebten Piratenbar, die Wochenende für Wochenende für hunderte von Leuten für gute Stimmung und Musik sorgt?
Wir sind wütend!
Es existieren kaum Orte, die nicht überwacht werden, wo wir sein können, uns ausleben dürfen ohne Geld ausgeben zu müssen. Der öffentliche Raum wir zunehmend für Büros, Geschäfte – also allgemein um Geld zu machen gebraucht. Wer nicht in den Rahmen passt wird weggejagt. Von Polizei, Sicherheitskräften und Überwachungssystemen, dem Gewaltmonopol des Staates, welcher uns alle in ein System reinzwingt. Ein System, welches alle Menschen unterdrückt!
Wir sind wütend!
Friedliche Demonstrationen, Strassenpartys, politische Veranstaltungen werden verboten, kriminalisiert, eingekesselt – die Teilnehmenden geschlagen, eingesperrt und mit überrissenen Massnahmen gestraft.
Wir lassen und unsere Meinung und Politik weder durch Gewalt noch sonstwie verbieten!
Wir sind wütend!
Es kann doch nicht sein, dass unser Leben in den 5 Wochen Ferien und zwischen den Arbeitszeiten stattfindet. Nach der Arbeit sind wir zu müde, um das zu machen, was wir wirklich möchten.
Jeder Augenblick, den du im Jetzt verschwendest, ist verloren – für immer!
Wir wollen arbeiten – jedoch nicht für Gewinn und Profit. Nicht für Chefs und sinnlose Überproduktion. Wir wollen eine Wirtschaft, die produziert, was die Menschen benötigen, nicht was profitfähig ist!
Wir sind wütend!
Weil wir Gesetzen gehorchen sollen, die für uns keinen Sinn ergeben. Die, welche uns „demokratisch vertreten“, vertreten nicht unsere Bedürfnisse – sondern die von Lobbyisten, die des Kapitals oder ihre eigenen.
Die Polizei, welche sich hier plötzlich als Ansprechsperson ausgibt, steht nicht auf unserer Seite, sondern auf der des Kapitals und des Staates! Nur wir selbst können für unsere Bedürfnisse einstehen. Wir wählen und geben unsere Stimme ab, aber dann ist sie weg und wir haben keinen Einfluss mehr darauf, was geschieht.
Ohne Geld ist es in diesem System unmöglich, politisch relevanten Einfluss zu haben. So ein System lehnen wir ab!
Wir brauchen keine Repräsentanten und Repräsentantinnen! Diese Demokratie dient dem Wohl einiger weniger und gibt den anderen das Gefühl, sie könnten über ihr Leben bestimmen. Wir wollen ein System, in dem niemand über andere herrschen kann. Den Kapitalismus, welcher uns alles in eine Konkurrenz zwingt, wollen wir mit Solidarität aus den Fugen heben!
Wir fordern ein System, welches unsere Bedürfnisse wirklich befriedigt!
Wir wollen nicht tagtäglich 8 Stunden, 5 Tage die Woche für den Profit einiger weniger arbeiten.
Wir wollen produzieren, was wir brauchen!
Wir sind wütend – und tragen diese Wut auf die Strasse!
Es darf jedoch nicht bei diesen Strassenpartys bleiben. Wir wollen wirkliche Veränderungen, nicht vor der Realität flüchten und unseren Kopf mit Alkohol und Feiern betäuben.
Werdet aktiv! Organisiert euch, widersetzt euch! Veranstaltet selbst solche und andere Proteste!
Schweigt nicht, wenn ihr schreien wollt!
Für die Autonomie und Selbstbestimmung – gegen Konkurrenz und Spaltung!
4. Mitteilung Alternative Linke (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2012/06/86637.shtml)
Freiraum-Debatte Bern: Die herrschenden Verhältnisse zum Tanzen bringen
Die Alternative Linke Bern dankt den linksautonomen und antikapitalistischen Gruppierungen, die das von etwa 35’000 begeisterten Menschen besuchte TanzDichFrei 2.0 organisiert haben, für ihre grandiose Arbeit.* Sie haben damit der aktuellen Freiraum-Bewegung eine wichtige unabhängige und selbstbestimmte Plattform geboten.
Nachdem nun fast alle Parteien, Lobby-Vereine und Politiker_innen von Links bis Rechts versucht haben, sich mit Opportunismus und Trittbrettfahrerei auf Kosten der von ihnen sonst oft geschmähten und diffamierten Linksautonomen zu profilieren, ist es nun Zeit (weiterhin) zu handeln und konkret zu werden. Die Alternative Linke Bern empfiehlt den Betroffenen der Freiraum-Debatte, sich dabei nicht auf Lobby-Vereine, Parteien, Parlament und Regierung zu verlassen, sondern weiterhin selber kreativ und aktiv am Ball zu bleiben.
Die Freiraum-Debatte hat – angesichts der Medienschlagzeilen und leeren Wahlkampfversprechungen – die herrschenden Verhältnisse buchstäblich zum Tanzen gebracht – es gilt nun, dies auch in die Realpolitik zu übertragen.
Die Alternative Linke Bern schlägt vor, die Diskussionen rund um Freiräume und Nachtleben zu strukturieren und sieht folgende Themenbereiche, die parallel und gleichberechtigt angegangen werden müssen (detailliert siehe unten im Anhang):
– Jugend-Freiräume
– Öffentlicher (Frei-)Raum
– Gassenvolk/Marginalisierte
– Alternative Wohn- und Kulturprojekte
– Beizen und Bars
– Clubs und Kulturlokale
– Reitschule
Trotz der auf den ersten Blick ähnlichen Problemen, gibt es auch widersprüchliche Interessen So haben z.B. die Clubs zum einen ähnlich wie die Reitschule Probleme mit Gesetzen und Behörden, sind aber in den Bereichen Jugend-Freiräume und Reitschule oft Teil des Problems. Dies indem z.B. Jugendliche wegen Altersbeschränkungen, zu hohen Preisen oder Ausgrenzungsregelungen (Kleider, Aussehen, Herkunft etc.) draussen bleiben müssen. Mangels anderer Treffpunkte und zugänglichen Clubs in ihren Quartieren, Gemeinden oder in der Innenstadt und im Öffentlichen Raum gehen diese dann z.B. vor oder in die Reitschule, was bei dieser bei zuviel Zulauf zu Kapazitätsengpässen – oder auch Lärmklagen – führen kann. Ein Lösungsansatz könnte hier auf Clubebene die Aufhebung der Altersbeschränkungen, tiefere Preise und die Aufhebung von Ausgrenzungsregelungen sein.
Im weiteren muss generell davon abgekommen werden, sämtliche Folgen der repressiven Nachtleben-, Kultur-, Jugend-, Gassen- und Freiraumpolitik von Stadt und Region auf den Vorplatz und in die Reitschule abzuschieben zu wollen – es braucht in allen Bereichen stadtweite und überregionale Lösungsansätze statt Sonderzonen.
Ohne Struktur und vernetztes Denken in Diskussionen und Umsetzung besteht angesichts des herrschenden Diskurses die Gefahr, dass trotz der unter anderem am TanzDichFrei deutlich geäusserten Forderung nach konsumzwangfreien (Jugend-)Freiräumen einzig die Anliegen der lobbystarken kommerziellen Clubs und Kulturlokale in Angriff genommen werden und alle anderen (nichtkommerziellen) Bereiche wie so oft auf der Strecke bleiben.**
Alternative Linke Bern
5. Infobericht Indymedia (Originalquelle: https://de.indymedia.org/2012/06/330866.shtml)
In Bern (Schweiz) formiert sich Widerstand gegen eine immer drastischere Politik der Stadtaufwertung, Musealisierung der historischen Altstadt und Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des Öffentlichen Raumes.
Nachdem bereits am 12. Mai an die 5‘000 Menschen an einer spontanen Protestparty gegen die Politik der Einschränkung im Öffentlichen Raum teilgenommen hatten, zogen am letzten Samstag weit mehr als 15‘000 Menschen, von einer Vielzahl mobiler Soundsystems begleitet, feiernd durch Berns Innenstadt. Unmittelbarer Auslöser für die Proteste war der Versuch des Regierungsstadthalters Christoph Lerch (SP), die Reitschule, ein seit 25 Jahren bestehendes autonomes Kulturzentrum im Zentrum von Bern, per 11. Mai mittels einer verschärften Betriebsbewilligung an die kurze Leine zu nehmen. Als Hintergrund der Zwangsmaßnahmen ist das allgemeine Bestreben das Nachtleben zu beruhigen und die Stadt als Wohnort für Wohlhabende umzugestalten, zu sehen.
Es brodelt in Bern
Im beschaulichen Bern, das mittlerweile seit beinahe 20 Jahren von einer Rot-Grün-Mitte Koalition regiert wird, hat sich in den letzten Monaten und Jahren einiges getan: Schließung von Parkanlagen in der Nacht, neue Nutzungsreglemente für Stadträume, Neubauprojekte mit Mietsteigerungen bis zu 100% im Vergleich zum vorherigen Standard, eine immer repressiver und dominanter auftretende Polizei, staatliche Vertreibungspolitik von Randgruppen und; die Stadt wächst nach langen Jahren des Bevölkerungsschwundes wieder.
Im Zuge der Politik der Aufwertung und Beruhigung der historischen Altstadt, ihres Zeichen UNESCO-Weltkulturerbe, musste im Verlauf des letzten Jahres bereits ein Ausgehlokale schließen und ein zweites ist ernsthaft bedroht. Diverse weitere ClubbetreiberInnen kündeten an ebenfalls schließen zu müssen, sollte die Situation so prekär bleiben – Clubsterben war das Schlagwort. Primär war es die Politik des Regierungsstadthalteramtes, das Lärmklagen gegenüber den Interessen der Lokale stärker zu gewichten und allgemein die verwaltungsrechtlichen Richtlinien enger auszulegen begann, die zur Verschärfung der Situation führten. Hinzu kam, dass die in den Sommermonaten von Jugendlichen rege als Treffpunkt genutzten öffentlichen Plätze immer stärker von Polizei und privaten Sicherheitskräften kontrolliert und darüber strikte Raumordnungen durchgesetzt wurden. Weitere vormals frei nutzbare Räume wurden, indem sie kommerziellen NutzerInnen überlassen wurden, teilprivatisiert. So etwa die Große und die Kleine Schanze, wo zwei Citybeaches und ein Straßenkaffee errichtet wurden. Hierbei zeigten sich die StadtpolitikerInnen findig und deklarierten die Vermarktlichung des Öffentlichen Raumes zur Anti-Gewaltmaßnahmen, über welche die Stadträume sicherer und zugänglicher gestalten werden sollten.
Die Reitschule und ihr Vorplatz
Die Anfang Mai von Regierungsstadthalter Lerch gegen die Reitschule verfügten Zwangsmaßnahmen brachten das Fass dann zum Überlaufen und lösten die aktuellen Proteste aus. Denn der Vorplatz der Reitschule, wo sich Wochenende für Wochenende hunderte Menschen treffen, war zu einem der letzten Orte geworden, wo ohne Konsumzwang und polizeiliche Repression ein Zusammenkommen möglich war. Aufgrund von diversen Lärmklagen, die aber mit gesamthaft 81 im Jahr 2011, davon 25 aus einer einzigen Nacht, in der Summe marginal ausfielen, verfügte Lerch, dass die BetreiberInnen des autonomen Kulturzentrums vom 11. Mai an, nach 00:30 keinen Alkohol mehr über die Gasse verkaufen dürften und die BesucherInnen vom Vorplatz und aus dem Innenhof der Reitschule wegzuweisen seien. Damit setzte Lerch seine bereits im Februar geäußerte Drohung, dass nun, nachdem mit anderen Ausgehlokalen neue Betriebsvereinbarungen ausgehandelt wurden, die Reitschule an die Reihe komme, in die Tat um.
Die Zwangsmaßnahmen sind aber kein Einzelfall und reihen sich in jahrelange und vielfältige Versuche ein, die Reitschule konformer und unpolitischer zu gestalten. Denn gerade rechtsbürgerlichen Kreisen war die Reitschule stets ein Dorn im Auge, da diese sich explizit als Ort versteht, wo Freiräume für selbstbestimmtes und solidarisches Leben geschaffen werden und an alternativen Gesellschaftsmodellen aktiv gearbeitet werden kann – also bei weitem nicht „nur“ alternative Kultur dargeboten wird. Aber gerade die immer wieder aufflammende Gewalt, die sich teilweise auch gegen die Polizei richtete, sowie die Drogenproblematik, an welcher die Stadt allerdings mit der Ansiedlung der Drogenanlaufstelle gegenüber der Reitschule, wesentlich mitschuldig ist, werden zum Anlass genommen, das Projekt als Ganzes zu hinterfragen. Dennoch vermochte die Reitschule in ihrer Geschichte bereits fünf Volksabstimmungen für sich zu entscheiden und ist in der Stadt gut verankert.
Der Aufschrei gegen die erneuten Restriktionen war daher groß und in diversen Fällen wurde darauf verwiesen, dass die Reitschule aufgrund ihrer Geschichte – sie war 1987 im Zuge der 80er Unruhen in Bern zum zweien Mal besetzt worden – nicht mit einem ‚normalen‘ Ausgehlokal gleichzusetzten sei und die Massnahmen nicht umzusetzen seien. Die Stadtregierung schwächte sodann Lerchs Verfügung noch ab und stellte die Rechtmäßigkeit gewisser Aspekte infrage, die neue Betriebsbewilligung trat dennoch per 11. Mai in Kraft.
Demozug
Die BetreiberInnen der Reitschule nahmen die Aufforderung ernst und verwiesen sämtliche Anwesenden am 12. Mai um 00:30 des Vorplatzes. Die sich nun in Richtung Innenstadt bewegenden Menschenmenge schwoll rasch auf an die 5‘000 an und wurde von mobilen Soundsystems begleitet. Am Samstag den 2. Juni demonstrierten erneut weit mehr als 15‘000 Menschen unter dem Motto „Tanz Dich Frei 2.0“ gegen die immer stärkere Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten im Öffentlichen Raum. Die VeranstalterInnen verblieben mit ihrer Kritik an der städtischen Politik aber nicht auf der Ebene der Kritik an den Einschränkungen des „Rechtes auf Party“, sondern verknüpften die repressiven Einschränkungen mit der allgemein zu erkennenden Aufwertungs- und Standortpolitik der Stadtbehörden. So streichen die OrganisatorInnen in ihrem Aufruf, der auch als Apell gegen eine gezielte Entpolitisierung der Veranstaltung zu lesen ist, deutlich hervor, dass „Tanz Dich Frei“ mehr als ein riesiges Straßenfest sei, es im Gegenteil als „politische Botschaft an die herrschenden, kapitalistischen Verhältnisse“ zu verstehen sei, dass nicht alles akzeptiert werde, und es eine andere, eine solidarische Gesellschaft anzustreben gelte, in der nicht „wenige vieles besitzen und Viele nichts“.
Tendenz zur Aufwertung
Und in der Tat zeichnet sich in Bern immer deutlicher eine Politik ab, die sich an den Interessen einer eher wohlhabenderen Schicht orientiert und sozial trennend wirkt. Nur allzu deutlich wird dies im Konzept „Bauliche Stadtentwicklung Wohnen“ das im Jahr 2007 vom Stadtplanungsamt, das dem Stadtpräsidenten direkt untersteht, vorgelegt wurde. Darin wird betont, dass es der Stadt primär darum gehen müsse potente SteuerzahlerInnen anzuziehen und daher den BewohnerInnen der Stadt klarzumachen sei, dass diesbezüglich ein parteiübergreifender Konsens herrsche, da die Stadtfinanzen davon abhängen würden. Gemäß der Strategie 2020 soll Bern zudem seine Standortvorteile weiter nutzen und auf 140’000 EinwohnerInnen anwachsen (Stand 2012: 130‘000). Die AufwertungsstrategInnen dürfte es daher gefreut haben, dass ‚ihre‘ Stadt im diesjährigen Städteranking des Wirtschaftsmagazin „Bilanz“ zum ersten Mal hinter Zürich und Zug den dritten Platz belegte.
Entwicklungsgebiete in Bern, Stand 2009
In vielen Stadtteilen zeichnet sich sodann eine Tendenz zur Gentrifizierung ab. Insbesondere in den innenstadtnahen von Altbauten geprägten Stadtteilen Lorraine, Längasse, Breitenrain, Holligen und Mattenhof, ist eine erhebliche Mietsteigerung auszumachen oder es wird zumindest immer schwerer günstigen Wohnraum zu finden. Die Situation wird zusätzlich durch die vorangetriebene Politik der Aufwertung des Stadtrandes prekarisiert. So liegt eine große Zahl der aktuellen Entwicklungsschwerpunkte in Berns westlicher und östlicher Peripherie, die bis anhin stark von günstigem Wohnraum und einer eher finanziell schwachen BewohnerInnenstruktur geprägt war. Die dahinter liegende Logik der Aufwertung wird vom Gemeinderat im Zusammenhang mit der „sozialen und ethnischen Durchmischung“ explizit formuliert: „Sind die Wohnbauprojekte im Westen realisiert, wird sich voraussichtlich auch die demografische Zusammensetzung in diesen Quartieren verändern.“ Soziale Aufwertung und Vertreibung sind somit unter dem Motto einer nachhaltigen und familiengerechten Stadt – was die zentralen Schlagworte Berns Stadtentwicklung sind – direkt von den StadtplanerInnen gewollt.
Soziale Vertreibung in der Innenstadt gehört in Bern indes seit Jahren zum Alltag. Genau genommen war Bern die erste Schweizer Stadt die 1998 eine Fernhaltegesetzgebung (Wegweisungsartikel) einführte, die es ermöglichte unliebsame Personen für drei Monate – anfangs gar für ein Jahr – aus einer definierten Zone fernzuhalten. In der Praxis betraf es in der Vergangenheit primär Obdachlose, Drogenabhängige und Punks. Gerade in den letzten Jahren war aber eine deutliche Ausweitung der Nutzung des Artikels festzustellen. So wurde der Paragraf 29b des Kantonalen Polizeigesetzes, zunehmend gegen politische AktivistInnen im Zusammenhang mit Demonstrationen eingesetzt. Diese Ausweitung der Anwendung des Artikles 29b wurde von gerichtlicher Seite her in diversen Fällen als widerrechtlich gerügt und die Verfügungen aufgehoben, was die Polizei aber nicht daran hindert an dem Vorgehen festzuhalten. Die Zahl der ‚normalen‘ Wegweisungen stagniert dabei aber seit Mitte der 2000er in etwa bei 450 pro Jahr, die Zahl der Anzeigen wegen Wiederhandlung blieb aber hoch
Die Stadt spaltete sich so zunehmend. Soziale Vertreibung und Aufwertung gehören seit Jahren zur aktiven Stadtpolitik, die Folgen werden aber erst jetzt richtig spürbar. Viele können sich die steigenden Mieten oder das Kaffee um die Ecke nicht mehr leisten und jene die zuziehen, wollen nicht selten ‚ihre‘ Ruhe. Konflikte sind also vorprogrammiert und so wächst der Unmut über das immer enger werdende Klima, die Einschränkungen der Teilhabemöglichkeiten am Leben im Öffentlichen Raum sowie die Schwierigkeit eine bezahlbare Bleibe zu finden.
Protest dürfte weiter gehen
Die Proteste der letzten Wochen hallen in der Bundeshauptstadt also nach. Je nach politischem Standpunkt versuchen die Parteien den Protest im Zuge des Wahlkampfes – im Herbst sind Wahlen – für sich zu vereinnahmen oder reduzieren ihn auf ein jugendliches Saufgelage mit immensem Müllaufkommen. Auch wenn wohl tatsächlich viele des Festes und nicht der klaren politischen Positionierung des Anlasses wegen den Weg nach Bern fanden, bleibt dennoch festzuhalten, dass Tausende junger Menschen sich ungefragt den städtischen Raum angeeignet haben und damit für einen kurzen Moment die herrschende Logik und bestehende Besitzverhältnisse durchbrachen. Weitere Aktionen dürften daher folgen und vom 6. bis zum 9. September 2012 wird in Bern ein „Recht auf Stadt“ Kongress veranstaltet, an dem inhaltliche Auseinandersetzungen im Schnittfeld von politischem Aktivismus, kritischer Wissenschaft und alternativer Kunst angekündet sind.
6. Medienbericht (Originalquelle: http://www.20min.ch/schweiz/bern/story/29837542)
An der grössten Jugendkundgebung seit den 1980er Jahren, zogen tausende Menschen lautstark durch Bern. Sie demonstrierten gegen eine zu starke Reglementierung des Nachtlebens.
Mindestens 10 000 junge Menschen haben am Samstagabend die Berner Innenstadt in eine Party-Meile verwandelt und zugleich für mehr Freiräume protestiert. Der lautstarke Umzug verlief bis spätnachts ohne grösseren Zwischenfälle.
Nacht-Demo durch Bern
Viele Teilnehmer der Kundgebung unter dem Motto «Tanz dich frei» schienen allerdings gewillt, die Nacht zum Tag zu machen – in der Innenstadt herrschte morgens um 1.30 Uhr immer noch reges Treiben. Gefordert war insbesondere die Sanitätspolizei – je später die Stunde, desto grösser die Zahl der stark alkoholisierten Menschen.
Die «Tanz-Demo» richtete sich in erster Linie gegen die behördliche Reglementierungswut des Berner Nachtlebens. Die anonymen Organisatoren hatten sich nicht um eine Bewilligung bemüht und stattdessen via Facebook und andere Plattformen zur Strassenparty aufgerufen.
Der Aufruf wurde bei bestem Frühsommer-Wetter rege befolgt. Beobachter gingen von mindestens 10 000 Menschen aus, die den Sound- Mobiles folgten. Damit handelt es sich um Berns grösste Jugendkundgebung seit November 1987, als die junge Generation für die alternative Hüttensiedlung Zaffaraya auf die Strasse gegangen war.
Die Polizei hatte im Vorfeld signalisiert, sie werde den Umzug tolerieren. Die vielen im Einsatz stehenden Polizisten beschränkten sich im wesentlichen darauf, Präsenz zu zeigen, bei Problemen bereit zu stehen und den Verkehr zu regeln.
«Retourkutsche» mit Discosound
Die Demo-Teilnehmer hatten sich am Abend vor dem Kulturzentrum Reitschule versammelt und waren um 21.15 Uhr zum Tanz durch die Innenstadt aufgebrochen. Transparente waren nur vereinzelt zu sehen. Eines der Sound-Mobiles trug den Namen «Retourkutsche» – eine Anspielung darauf, dass der Umzug auch eine Reaktion auf kürzlich verschärfte Betriebsauflagen für die Reitschule war.
Die Umzugsroute führte von der Schützenmatte via Bollwerk an den Bahnhof, dann weiter zum Zytglogge in der Altstadt. Von dort zogen die Demo-Teilnehmer auf den Bundesplatz. Ein offizielles Ende der Kundgebung gab es nicht – spätnachts wurde an mehreren Brennpunkten in der Stadt weiterhin getanzt, getrunken und gefeiert.
Knallpetarden und Abfallberge
Während des Umzugs waren regelmässig Knallpetarden gezündet worden. Vor dem Hotel «Schweizerhof» flogen zudem Feuerwerkskörper gegen die Fassade. Mehrere Demo-Teilnehmer brachten sich in Gefahr, als sie den Baldachin – die Überdachung beim Bahnhof – bestiegen und sich in der Nähe der Fahrleitungen aufhielten.
Etliche Gebäude wurden mit Sprayereien versehen, darunter auch das Bundeshaus. Dort erklomm spätabends ein Aktivist die Bundeshaus- Terrasse und schwenkte eine Fahne. In den Strassen zwischen Bahnhof und Zytglogge türmte sich der Abfall. Am Rande der Demo kam es gemäss Polizei zudem zu Schlägereien und Tätlichkeiten.
Anonyme Organisatoren
Die Organisatoren der Strassenparty gaben sich offiziell nicht zu erkennen. Ihrem Aufruf angeschlossen hatten sich unter anderen die Betreiber der Reitschule, mehrere Gastrobetriebe und Nachtklubs, aber auch Linksparteien und verschiedene Interessensorganisationen.
Mit der Tanz-Demo verknüpften sie eine Vielzahl von Anliegen. Im Zentrum stand zwar der Protest gegen das von vielen Jungen als trist empfundene Berner Nachtleben, doch für manche Teilnehmer ging es auch um Kapitalismuskritik, und viele nahmen wohl einfach wegen des Happenings an sich am Umzug teil.