2012,  Asyl/Migration,  Diverse Aktionen,  Freiraum,  Repression

Stadtrundgang zerstörten Freiräume Biel

Inhalt:
1. Communiqué
2. Flyer


1. Communiqué (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2012/09/87385.shtml)
Es reicht! Abriss ohne Baupläne, Räumung ohne Projekte, Leerstand ohne Nutzung,Vertreibung ohne Ersatz, Konsumzwang im öffentlichem Raum, Aufwertung für Reiche, erkennungsdienstliche Massnahmen bei kleinst Delikten… Nicht mit uns!!!
Am 1. September 2012 besuchten etwa 80 Personen die zerstörten Freiräume in der Bieler Innenstadt. Der Rundgang wurde von Soundmobilen, Foodstand, Live-Band und einer Bar begleitet. Bei den zerstörten Freiräume erzählten Betroffene die Geschichte der Orte und hinterliessen Transparente, auch wurde der massive Polizeieinsatz bei der versuchten Intersquat-Besetzung kritisch thematisiert.
Trotz Polizeipräsenz konnte der Umzug wie geplant auf dem Neumarktplatz, mit DJ`s, Sandwich, Bier, Cocktails und guter Laune beendet werden.



2. Flyer (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2012/09/87385.shtml)
Chessu
Die riesige Baustelle um den Chessu ist der Anfang des Bauprojekts Esplanade. Hier soll unterirdisch ein Tiefgarage entstehen, überirdisch ein steriler Platz aus Beton mit vereinzelten, geometrisch geformten Wasserbecken. Das alte Einkaufszentrum soll einem zentralen Verwaltungsgebäude mit teurem Wohnraum und schicken Läden weichen. Früher standen entlang eines Kieswegs grosse Bäume, lauschige Plätzchen, Feuerstellen. Es trafen sich allerlei Menschen hier, die meisten von ihnen ohne viel Geld, ohne geregelten Aufenthalt, ohne Arbeit, manche ohne Obdach. Noch bevor die Baumaschinen und Bauarbeiter anrückten, um die Bäume zu fällen, den Weg zu asphaltieren und den Parkplatz mit angrenzenden Grünflächen in ein Geröllfeld zu verwandeln, nahm die Polizei immer öfters Personenkontrollen vor. Auch vor der Notschlafstelle an der Mattenstrasse nahmen die Kontrollen zu, perfiderweise oft morgens nach dem Frühstück, wenn die Flüchtlinge die Notschlafstelle verlassen müssen. Vor allem für Sans-Papiers wurden diese Orte deshalb zu gefährlich.
Viele Länder aus dem Maghreb und dem Nahen Osten nehmen keine Zwangsausschaffungen an. Für die BürgerInnen dieser Länder bedeutet eine Polizeikontrolle ein bis sechs Monate Knast, als Strafe für ihren illegalen Aufenthalt. Wer Pech hat, gerät wenige Tage nach der Entlassung wieder in eine Kontrolle und ist gezwungen sofort die nächste Haft anzutreten. Mit
ständigen Drohungen, Einschüchterungen, Kontrollen und wiederholtem Einsperren, wird versucht eine sogenannt „freiwillige Ausreise“ zu erzwingen.

Wer ein Asylgesuch stellt, wird in einem Zentrum untergebracht, welches immer mehr einem Hochsicherheitsknast
gleicht. Vergitterte Fenster, rigorose
Regeln, Ein- und Ausgangskrontrollen durch Sicherheitsdienste sollen den Flüchtlingen das Leben schwer machen und für Ruhe und Ordnung sorgen.
Wer abgewiesen wird, hat das Recht auf einen minimalen Beitrag, den die Person bis zum Termin ihrer Ausreise täglich in Form von Gutscheinen ausbezahlt be­kommt. Auch wenn dieser Beitrag schon früher nicht für ein würdiges Leben ausreichte, wurde er kürzlich noch tiefer runter­gesetzt. Die Standorte der sogenannten Sachabgabezentren sind bewusst entfernt von den Städten gewählt. Der kostspielige öffentliche Verkehr und die weite Ent­fernung führen entweder zur Isolierung oder zur Kriminalisierung der Betroffenen. So soll es ihnen erschwert werden, in der
Schweiz trotz Nichteintretensentscheid Fuss zu fassen oder sich gar in die Gesellschaft zu integrieren.
Drahtwerke, Piano, Trip-Huus
Das Quartier rund um den Brühlplatz war bis vor einiger Zeit sehr lebendig.

Mitte der 90er Jahre nutzten SprayerInnen die Hallen der vereinigten Drahtwerke auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs für ihre Kunst. Im Jahr 1998 wurde die selbstverwaltete und unkommerzielle Bar Billabong betrieben. Darauf kamen die Bauwägen der Schrottbar auf dem Gelände für vier Jahre unter. Bis zum Abriss im Jahr 2012 fanden immer wieder Partys und Konzerte statt und verschiedene Räume wurden als Werkstätten genutzt.
Zwischen 1998 und 2009 standen vor der ehemaligen Pianofabrik Bauwägen, in der Fabrik arbeiteten KünstlerInnen in ihren Ateliers. Während zwanzig Jahren wurde immer wieder versucht das Gelände zu überbauen, doch Einsprachen und Konkurse verhinderten dies immer wieder. Anfang 2010 wurde das Areal dann schliesslich dem Erdboden gleich gemacht. Die Überbauung mit teuren Eigentums- und Mietwohnungen wurde im Mai 2012 fertiggestellt.
Sowohl in der Pianofabrik als auch in den Hallen der Drahtwerke fanden kurz vor dem Abriss im Jahr 2010 und 2011 Sauvagen statt, an denen jeweils mehrere hundert Leute teilnahmen um illegale Partys zu feiern.
Am Brühlplatz wurde 2008 das Trip-Huus besetzt. Nach nicht mal einem Jahr wurde das Gebäude ohne Neubauprojekt abgerissen. Die Fläche ist nach über drei Jahren noch immer unbenutzt.

Bahnhof
Der selbstverwaltete Alki-Treff Jim’s Zukunft hinter dem Bahnhof wurde im Jahr 2010 nach sieben Jahren geschlossen. Ein Ersatzobjekt wurde noch immer nicht gefunden. Die Drogenpolitik der Stadt Biel sei zu liberal doch das werde sich jetzt ändern, behaupten PolitikerInnen und SozialarbeiterInnen. Alkoholabhängige könnten sich auch im Yucca aufhalten. Die Anlaufstelle am Rande der Altstadt wurde jedoch für KonsumentInnen von illegalen Drogen eingerichtet, ausserdem funktioniert sie nicht selbstverwaltet. Einleuchtend dass dies kein Ersatz sein kann.
Der Wandel in der Politik zeigte sich dann auch Ende August 2011, als in der ganzen Stadt Razzien stattfanden. Nach jahrelanger Toleranz gegenüber Hanf
führte die Polizei laut eigenen Angaben an einem Tag Durchsuchungen in über dreissig Haushalten durch. Die Pflanzen wurden beschlagnahmt und vernichtet, die Verfahren in den meisten Fällen nach einigen Monaten aufgrund mangelnder Beweise eingestellt. Die Betroffenen
pflanzten grösstenteils einige wenige Pflanzen für den Eigengebrauch an.

Seeufer
Das ehemalige Expogelände neben dem Lago Lodge soll Ziel des nächsten grössen­wahnsinnigen städtebaulichen Projekt werden. Hier, wo vor der Expo im Jahre 2002 Wald war, finden zur Zeit sporadisch kommerzielle Anlässe statt, die meiste Zeit des Jahres aber, liegt die Fläche brach. Bald soll hier eine neues Quartier entstehen: Moderne Architektur um kleine Kanäle, eine Art modernes Venedig aus Beton, soll einkommensstarke BewohnerInnen
anlocken, die das ganze linke Seeufer als ihr persönliches Naherholungsgebiet nutzen werden. Doch der öffentliche Raum am See ist im Sommer ohnehin schon knapp bemessen, Grossanlässe wie Sportübertragungen auf dem Hunde­mätteli und Feuerwerk zum Nationalfeiertag ver­ursachen zusätzlichen Massen­andrang und hinterlassen Berge von Müll.
Am rechten Seeufer befindet sich seit zwei Jahren während der Sommermonate das Beachtown. Vor einem Jahr umfasste es noch eine viel kleinere Fläche, dieses Jahr betrifft es mehr als die Hälfte des zugänglichen Seeufers des Strandbodens. Dafür wurden tonnenweise Sand aufgeschüttet und x-meterweise Zäune verlegt. Ein Stück des öffentlichen Raums wird so während den Öffnungszeiten durch eine Vielzahl profitorientierter und spiessiger Regeln massiv eingeschränkt. Nach Ladenschluss ist er schlicht nicht mehr zugänglich und während dem ganzen Sommer nachts ständig von Securitas mit Hunden überwacht.

Repression
Eine repressive Entwicklung, die uns seit etwa vier Jahren Sorge bereitet, ist die Fichierung mittels Fingerabdrücken, DNA-Entnahmen, sowie Aufnahmen von biometrischen Fotos. Dies auch bei leichten Vergehen, die ohne Fichierung problemlos zu belegen wären, wie Hausfriedensbruch, Betäubungsmittelkonsum, sogenannte Sachbeschädigung durch Graffitis und so weiter. Das Anlegen eines Katalogs mit auffällig gewordenen Personen wurde zur Normalität. Ob die Daten im Anschluss weitergegeben und verwertet werden oder nicht, ist in erster Linie nicht von Bedeutung. Denn die einschüchternde Wirkung der Fichierung erfolgt bereits während der Abnahme der biometrischen Daten. Weder das Berufen auf Datenschutz, noch auf Grundrechte hatten bis jetzt einen Einfluss auf diese Praxis. Damit ist ein weiterer grosser Schritt in Richtung Überwachungsstaat gelungen.
Ab 2013 soll das neue Polizeireglement für mehr Ruhe und Ordnung sorgen: In dem umstrittenen Entwurf wird unter anderem eine Ausgangssperre für Kinder und Jugendliche unter vierzehn Jahren erwähnt. Diese dürfen sich zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens nur noch in Begleitung
einer Aufsichtsperson im öffentlichen Raum aufhalten, sonst drohen bis zu 5000 Franken Busse. Radiohören im Freien – darunter fällt auch der eigene Garten – zwischen 12 und 13 Uhr soll verboten werden, sowie das Übernachten im Freien, auch auf privaten Grundstücken. Ausserdem sollen private Anlässe in geschlossenen Räumen vorsorglich verboten werden dürfen.

Fabrikgässli
Die Gebäude am Fabrikgässli und an der Neuengasse 7 und 9 wurden im Herbst 2009 besetzt. Die Stadt hiess die Besetzung gut und schloss einen Vertrag mit den BesetzerInnen ab. Daraufhin wurden die Gelände im Baurecht an eine nach eigenen Angaben öko-soziale Architektengenossenschaft verkauft. Die BesetzerInnen einigten sich mit der Genossenschaft die Gebäude geräumt zu verlassen, sobald die Finanzierung und die Bewilligung für die Wohnüberbauung und für den Abriss der bestehenden Gebäude steht. Obwohl bereits mitten im Winter Gas, Strom und Wasser ohne plausible Erklärung abgestellt wurden, hielten die BesetzerInnen Wort und verliessen auf geheiss der Genossenschaft die Gebäude im Frühling 2012. Seitens der Genossenschaft passiert jedoch seit einigen Monaten bis auf das Austauschen der Schlösser der Eingangs­türen gar nichts. Und so stehen die Häuser wieder leer.

Molkerei.
Die Räume der ehemaligen Molkerei wurden in den Jahren von zirka 2007 bis 2011 von zahlreichen KünstlerInnen und MusikerInnen als Ateliers und Proberäume genutzt. Es wurde ein unkommerzielles Kino und eine Bar betrieben, sowie Konzerte veranstaltet. An ihre Stelle wird ein Ärzte­zentrum treten.