Bundesgerichtsurteil faschistischer Sprengstoffanschlag
Inhalt:
1. Communiqué Antifa Festival
2. Medienbericht
1. Communiqué Antifa Festival (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2016/04/97092.shtml)
Heute hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona den im Prozess betreffend den Anschlag auf das «Antifascist Festival» Beschuldigten Kim Sury wegen Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht sowie versuchter Brandstiftung schuldig gesprochen. Er wurde zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Am 4. August 2007 wurde während dem «Antifascist Festival» in der Grossen Halle der Reitschule Bern ein Rucksack deponiert. Darin enthalten: drei mit Benzin gefüllte 1.5 Liter PET-Flaschen, ein Kunststoffrohr mit einem pyrotechnischen Sprengsatz und daran angeschlossen ein Reisewecker, eine 9-Volt-Batterie sowie eine kleine selbstgebastelte Schaltung. Die «Spreng- und Brandvorrichtung» detonierte gegen Mitternacht auf der Schützenmattstrasse – der Rucksack war von einem Besucher entdeckt worden und konnte frühzeitig aus der vollbesetzten Konzerthalle gebracht werden. Nur mit viel Glück kam es zu keinen Schwerverletzten oder gar Toten.
Nach knapp neun Jahren hat das Bundesstrafgericht in Bellinzona nun ein erstes Urteil gesprochen. Ohne Genugtuung oder Freude nehmen wir das Urteil zur Kenntnis. Vielmehr sind wir nach wie vor über den Verlauf der Geschehnisse erstaunt: das gesamte Verfahren zeichnete sich durch Desinteresse der Untersuchungsbehörden und langer Verzögerungen aus. Dass 2010 – drei Jahre nach der Tat – weder bei der Hausdurchsuchung noch im Zuge der durchgeführten Telefonüberwachung noch handfeste Beweise gefunden werden konnten erscheint naheliegend. Nicht nachvollziehbar ist und bleibt, warum entgegen erster Hinweise aus der Tatnacht, die eine Verwicklung von Kim Sury resp. seinem «Blood&Honour»-Umfeld in die Tat nahelegten, keine Ermittlungen folgten. Wir sind – wie schon 2007 – schockiert darüber, mit welcher Gleichgültigkeit über einen der potentiell schwersten, durch Neonazis verübten Anschlag auf linke Strukturen in den letzten Jahrzehnten hinweggegangen wurde. Hierzu Sprecherin des Festivals Lisa Meier: „Unsere Erfahrungen, die wir nach dem Anschlag auf unser Festival machen mussten, sind für uns ein klares Zeichen, dass politische Verantwortliche und Justiz offensichtlich auf dem rechten Auge nicht sehen wollen. Nur auf unseren Druck hin sind jeweils weitere Verfahrensschritte eingeleitet worden. Dies begann in der Nacht des Anschlags, als die Polizei nicht ermitteln wollte. Führte über die Berner Justiz und Bundesstaatsanwaltschaft, die trotz Indizien das Verfahren nicht vorantrieben und dann gar einstellen wollten. Die ganze Aufarbeitung ist für uns skandalös und hinterlässt ein grosses Misstrauen in die Rechtstaatlichkeit“.
Und doch liegen gemäss mündlicher Urteilsbegründung des Bundesstrafgerichts genügend Indizien vor, um zweifelsfrei von einer Alleintäterschaft auszugehen. Insbesondere aufgrund der gefundenen Fingerabdrücke im Innern der Bombe sowie auf der Unterseite eines Klebebandes ist aus Sicht des Gerichts erwiesen, dass Kim Sury den Sprengsatz konstruiert hat. Da es im ganzen Verfahren keine Hinweise auf eine Drittbeteiligung
gegeben hat, ist es ebenso erstellt, dass Kim Sury diesen in der Grossen Halle in mitten des Konzertpublikums deponiert hat. Für uns als Veranstalter_innen des «Antifascist Festival» ist indes klar, das Problem heisst weiterhin Rassismus und Xenophobie. Einzelne Verurteilungen ändern da am Grundproblem nichts. Sie mögen zwar den Schein eines konsequenten Vorgehens erwecken, viel nötiger wäre aber im Alltag entschlossen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen und so den Neonazis den Boden für ihre Taten zu entziehen.
2. Medienbericht (Originalquelle: https://www.derbund.ch/news/standard/urteil-im-prozess-um-reitschulbomber-4-jahre-freiheitsstrafe/story/23044948)
Seeländer Ex-Neonazi muss wegen Reitschule-Brandsatz ins Gefängnis
Das Bundesstrafgericht in Bellinzona verurteilt den 26-Jährigen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren.
Der junge Mann liess sich nichts anmerken. Keine Anspannung, als er den Gerichtssaal betrat, und keine Betroffenheit, als er als ihn als verurteilter Verbrecher wieder verliess. Wie er nach der Urteilseröffnung noch einen Moment lang neben seinem Verteidiger im Gang stand und ins Leere blickte, sah es aus, als habe er mit alldem nichts zu tun. Er sei nicht mehr derjenige, der er damals gewesen sei, hätte er wohl gesagt. Dieses Bild zumindest hat er bei der Verhandlung im Februar von sich zu zeichnen versucht.
Ins Gefängnis muss er trotzdem. Das Bundesstrafgericht in Bellinzona ist den Anträgen des Bundesanwalts vollumfänglich gefolgt und hat den 26-jährigen Seeländer wegen Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht und versuchter Brandstiftung zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht erachtet es als erwiesen, dass er am 4. August 2007 während des «Antifascist Festival» einen Brandsatz in der Grossen Halle der Berner Reitschule deponiert hat. Ein Besucher hatte damals den nach Benzin riechenden Rucksack entdeckt, und ein Security-Mitarbeiter hatte ihn nach draussen getragen, wo er kurze Zeit später in Flammen aufging. Zeugen sprechen von einem Feuerball von mehreren Metern Durchmesser.
Ob das Gericht den Mann verurteilen wird, war nicht abzusehen. Zwar beweisen Fingerabdrücke, dass er mit Bestandteilen des Brandsatzes hantiert hatte, doch gibt es keinen direkten Beweis, dass er ihn gebaut und in der Reitschule deponiert hat. Das Gericht war aber der Meinung, dass die Indizien zusammen ein klares Bild ergeben, wie die Gerichtspräsidentin ausführte. Nicht nur am Brandsatz hat der Beschuldigte Spuren hinterlassen, sondern auch im Internetforum der Neonazi-Organisation Blood and Honour, wo er unter dem Pseudonym «Eidgenosse88» mehrmals vom Bombenlegen sprach und am Morgen nach dem Anschlag seine Freude bekundete, noch bevor die Öffentlichkeit davon wusste. Weiter hat die Polizei bei ihm zu Hause alles Material gefunden, das es braucht, um einen solchen Brandsatz zu bauen. Das Gericht hält es für ausgeschlossen, dass jemand anderes den Rucksack in der Reitschule deponiert hat. «Es gibt keinen Hinweis für eine Drittbeteiligung», sagte die Gerichtspräsidentin. «Alles deutet auf einen Alleingang hin.»
Für den Bundesanwalt Martin Stupf ist der Schuldspruch ein Sieg, aber auch die Bestätigung einer bitteren Niederlage. Vor zwei Jahren wollte er das Verfahren einstellen, weil man dem Beschuldigten die Tat nicht nachweisen könne. Die Festival-Veranstalter fochten diesen Entscheid an und bekamen vom Bundesstrafgericht recht. Die Richter riefen der Bundesanwaltschaft in Erinnerung, dass sie ein Verfahren nur bei klarer Straflosigkeit einstellen dürfe, was hier «eindeutig» nicht der Fall sei. Sie sei «nicht dazu berufen, über Recht und Unrecht zu richten». Dass das Gericht den Mann nun schuldig gesprochen hat, zeigt, wie falsch die Bundesanwaltschaft mit ihrer Einschätzung gelegen hat.
Kritik an den Berner Behörden
Stupf zeigte sich trotzdem zufrieden. Als er das Verfahren habe einstellen wollen, sei die Situation eine andere gewesen. Die Ermittlungen hätten seither zu weiteren Erkenntnissen geführt, so habe etwa ein Handabdruck dem Beschuldigten zugewiesen werden können, der zuvor ein Hinweis auf einen Dritttäter hätte sein können. Aber auch eine Spitze gegen die Berner Strafverfolgungsbehörden, die anfangs mit dem Fall befasst waren, wollte Stupf sich nicht verkneifen: Deren Ermittlungen seien «nicht gerade profund» gewesen, sagte er. Dieser Meinung sind auch die Festival-Veranstalter, die sich nach der Urteilseröffnung mit einer Medienmitteilung an die Öffentlichkeit wandten. Darin heisst es, man nehme das Urteil «ohne Genugtuung oder Freude» zur Kenntnis. Die Veranstalter kritisieren das Verfahren, das sich «durch Desinteresse der Untersuchungsbehörden» ausgezeichnet habe. Das habe bereits in der Nacht des Anschlags begonnen, als die Polizei «nicht ermitteln wollte». Eine Sprecherin, die sich zitieren lässt, erkennt darin «ein klares Zeichen, dass politische Verantwortliche und Justiz offensichtlich auf dem rechten Auge nicht sehen wollen».
Beat Luginbühl, der Verteidiger des Beschuldigten, hatte einen Freispruch beantragt. Er sagte nach dem Schuldspruch: «Man kann es so sehen, wie das Gericht es sieht.» Überrascht habe ihn aber die Höhe der Strafe. Die Tat liege nun fast neun Jahre zurück, und sein Klient habe sich von der rechtsextremen Szene distanziert. Luginbühl hätte eine kürzere, bedingt ausgesprochene Strafe für angemessen gehalten. Luginbühl hat nun die Möglichkeit, das Urteil ans Bundesgericht in Lausanne weiterzuziehen. Ob er das tun wird, konnte er noch nicht sagen. (Der Bund)