2020,  Antirassismus,  Freiraum,  Gentrifizierung

Wohnung nur mit Schweizer Pass

Inhalt:
1. Medienbericht


1. Medienbericht (Originalquelle: https://www.20min.ch/story/vermieter-bevorzugt-schweizer-buerger-fuer-seine-wohnungen-237157461285?)
Vermieter bevorzugt «Schweizer Bürger» für seine Wohnungen
Eine Berner Liegenschaftsverwaltung sucht in ihren Wohnungsanzeigen explizit nach Bewerbern mit Schweizer Pass. Das sei rechtlich problematisch, sagt ein Experte für Antidiskriminierungsrecht.

Wer auf Immoscout24 derzeit nach einer einigermassen preiswerten 3- oder 3,5-Zimmer-Wohnungen im Raum Bern oder Thun sucht, stösst womöglich auf ein Inserat der AR Liegenschaftsverwaltung. Ausländische Personen haben beim Anbieter mit Sitz in Hünibach bei Thun jedoch das Nachsehen – in sämtlichen Anzeigen, die dieser aktuell auf der Immobilienplattform geschaltet hat, heisst es in fetter Schrift: «Aus Gründen der Mieterzusammensetzung werden Schweizer BürgerInnen bevorzugt!» Ein diskriminierendes Vorgehen, wie ein Leser findet, der 20 Minuten auf die Inserate aufmerksam machte.

Auf ein Begehren der Liegenschaftsbewohner geht die Bevorzugung von Schweizer Staatsbürgern offenbar nicht zurück, wie eine nicht repräsentative Umfrage nahelegt. Weder habe man etwas gegen den Einzug einer ausländischen Familie, noch kenne man die Gründe für die Handhabung der Verwaltung, heisst es unisono bei den telefonisch kontaktierten Bewohnern.

«Kein Gefallen, wenn Nichtschweizer-Quote zu hoch»
Die AR Liegenschaftsverwaltung, ein Familienbetrieb mit drei Angestellten, begründet die Praxis damit, dass man die «bestmögliche Zusammensetzung im Haus» anstrebe. Man sei schliesslich nicht nur für die einzelne Wohnung, sondern für die gesamte Liegenschaft verantwortlich, sagt T.*, der bei der Firma für die Vermietungen verantwortlich ist.

Das Berner Kleinstunternehmen vermietet eher einfachen Wohnraum im unteren Preissegment. In jeder der betreuten Liegenschaften habe man daher einen Anteil von Nichtschweizern, der bereits höher sei als der Prozentsatz in der Gesamtbevölkerung am jeweiligen Ort, erklärt T., der selbst nicht Schweizer Staatsbürger ist. «Unsere Erfahrung zeigt, dass wir weder uns noch den Mietern einen Gefallen tun, wenn diese Quote zu hoch ist.»

Ausländer lassen sich nicht abschrecken
Vor allem Menschen, die kein Deutsch sprechen, die mit sehr vielen Personen in einer Wohnung leben oder aus Staaten kommen, die mit den Herkunftsländern anderer Mieter im Konflikt stünden, hätten die Verwaltung in der Vergangenheit vor grosse Herausforderungen gestellt. T. erzählt von Essensresten, die über den Balkon geschmissen wurden, oder von Mietern aus verfeindeten Ländern, die einander im Treppenhaus und in der Waschküche Dinge kaputt gemacht oder gestohlen hätten. «Hier ist es an uns, darauf zu achten, dass sich solche Vorkommnisse nicht häufen und dass das Zusammenleben im Haus für alle Mieter tragbar ist, zum Beispiel auch für alleinstehende, ältere Leute.»

Den Vorwurf der Diskriminierung lässt T. nicht gelten. Die Verwaltung sei offen für gut integrierte Personen. «Die Formulierung ‹Schweizer Bürger› ist diesbezüglich etwas irreführend», räumt er ein. Die Zeichenanzahl in einem Inserat sei eben beschränkt. Allerdings würden sich ausländische Interessenten erfahrungsgemäss nicht vom Hinweis abschrecken lassen und sich trotzdem melden, sagt T. Zudem zeige der vergleichsweise hohe Prozentsatz in den Liegenschaften, dass man durchaus auch an Ausländer vermiete. «Wir haben noch nie einen Bewerber, der sonst alle Kriterien erfüllt, wegen seiner Nationalität oder ethnischen Zugehörigkeit abgelehnt», beteuert T. Aus Sicht der Firma ist der Hinweis rechtlich unbedenklich.

Jurist: Inserat strafrechtlich relevant
Dem widerspricht Jurist Tarek Naguib, der an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) mit dem Schwerpunkt Antidiskriminierungsrecht forscht und lehrt. «Wenn ein Vermieter Schweizer bevorzugt, heisst das im Umkehrschluss, dass er Ausländer ausschliesst», stellt er klar. Wer im konkreten Fall eine Person ohne sachlichen Grund ablehne, weil sie keinen Schweizer Pass besitze oder nicht stereotyp schweizerisch aussehe, verletze den zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz.

Gerade ein sachlicher Grund sei hier nicht ersichtlich – im Gegenteil, sagt Naguib: «Wenn der Vermieter die Vielfalt der Zusammensetzung als Grund vorbringt, dann spricht dies dafür, möglichst viele Menschen unterschiedlichster Herkunft zu berücksichtigen und nicht von Anfang an einseitig auf Schweizer zu setzen.» Fehle der sachliche Grund, stelle bereits die öffentliche Ankündigung etwa in Form eines Inserates strafrechtlich eine diskriminierende Herabsetzung dar.

Naguib zieht gar einen Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm in Erwägung. Diese verbietet eine Diskriminierung zwar einzig aufgrund von «Ethnie, Rasse und Religion», und Menschen ohne Schweizer Pass fallen nicht spezifisch unter eine dieser Kategorien, wie er einräumt. Allerdings werde «Ausländer» im vorliegenden Fall als «rassistischer Sammelbegriff» verwendet.

Dennoch hätte der Fall vor Gericht wenig Chancen, glaubt der Rechtswissenschaftler: «Die Gerichte in der Schweiz kennen sich mit dem Phänomen des Rassismus nicht aus und – was noch viel problematischer ist – sie zeigen auch keine Bereitschaft, sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen.»

Im Wiederholungsfall droht Sperrung
Zu einem Gerichtsfall dürfte es ohnehin nicht kommen: Am Dienstagnachmittag, nachdem 20 Minuten Scout24, zu dessen Online-Marktplätzen auch Immoscout24 zählt, um eine Stellungnahme gebeten hatte, war der Hinweis aus den Inseraten verschwunden. Bereits am Montag habe ein User das Inserat als verdächtig gemeldet, schreibt das Unternehmen. Nach der Prüfung habe man mit der Inserentin Kontakt aufgenommen und das Inserat angepasst. «Der unangebrachte Inhalt wurde entfernt und ist nicht mehr sichtbar auf unserer Plattform», so Scout24-Sprecherin Nicole Riedo. Auf den Online-Marktplätzen von Scout24 werde keinerlei Diskriminierung geduldet.

Es handle sich um einen Einzelfall, wie Riedo versichert. «Würde ein solcher Verstoss gegen unsere Regeln wiederholt und ein Inserent somit mehrmalig widerrechtliche Inhalte auf unserer Plattform veröffentlichen, können wir den Anbieter sperren.»
*Name der Redaktion bekannt

Diskriminierung auf dem Schweizer Wohnungsmarkt
Dass Ausländer im Allgemeinen oder bestimmte ethnische Gruppen bei der Wohnungssuche explizit benachteiligt oder ausgeschlossen werden, ist eher die Ausnahme. Viel häufiger findet die Diskriminierung in subtilerer Weise statt. Das zeigte letztes Jahr etwa eine breit angelegte Studie der Universitäten Genf, Neuenburg und Lausanne, bei der über 10’000 fiktive Bewerbungen auf Wohnungsinserate verschickt wurden. In ihrer Auswertung kamen die Wissenschaftler zum Schluss, dass Personen mit kosovarischen und türkischen Namen deutlich weniger Chancen haben, zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen zu werden, als Personen mit Schweizer Namen oder Namen aus den Nachbarländern. Selbst der Besitz des Schweizer Passes verbesserte ihre Chancen nicht.