Selbstanzündung Häftling Thorberg
Inhalt:
1. Medienbericht
1. Medienbericht (Originalquelle: https://www.20min.ch/story/gefaengnis-insasse-zuendet-sich-an-und-protestiert-gegen-haftbedingungen-459963402274)
Gefängnis-Insasse zündet sich an und protestiert gegen Haftbedingungen
In einem Brief an die Direktion des Berner Gefängnis Thorberg fordert die Hälfte der Inhaftierten bessere Haftbedingungen. Die Rede ist von psychischem Druck, der auf die Männer ausgeübt wird. Einer der Insassen hat sich selber angezündet.
Am Sonntag zündete sich ein Mann in der Justizvollzugsanstalt JVA Thorberg an. Gemäss Olivier Aebischer, Sprecher des Amts für Justizvollzug Kanton Bern, hat sich der Insasse mit Papier umwickelt und angezündet. «Das Feuer konnte sofort erstickt werden. Der Gefangene hat sich leichte Brandwunden zugezogen und wurde umgehend ins Spital verlegt.» Dort werde sein Gesundheitszustand abgeklärt und über das weitere Vorgehen entschieden.
Gemäss Thorberg-Insasse T.* war es ein Akt der Verzweiflung, der den Mann zur Tat trieb. Erst vor wenigen Tagen haben die Insassen einen Brief an die Direktion des Thorbergs verfasst und darin verbesserte Haftbedingungen gefordert. 80 Personen haben das Dokument (welches 20 Minuten vorliegt) unterschrieben. «Der psychische Druck ist für viele von uns nicht mehr auszuhalten. Er stieg in den letzten Monaten enorm», sagt T., der seit mehreren Jahren einsitzt.
Nackt ausziehen und bücken
Unter anderem fordern die Häftlinge eine bessere psychische Betreuung – auch in in Hinblick auf ihre Arbeit. Laut T. dürfen Insassen seit Januar nicht mehr wegen mentaler Probleme der Gefängnis-Arbeit fernbleiben. Tun sie es doch, wird ihnen Lohn abgezogen. «Wir dürfen uns nur krank melden, dann werden wir in die Zelle gesperrt, was den psychischen Druck noch erhöht.» T. gibt zudem an, dass Leibesvisitationen zu oft durchgeführt würden und menschenunwürdig seien: «Bei jeder Zellenkontrolle oder wenn wir Besuch erhalten haben, müssen wir uns nackt ausziehen. Nicht selten müssen wir uns auch bücken.» Besonders nach Empfang von Besuch, hätten die Häftlinge dafür kein Verständnis: «Wegen Corona ist keine physische Interaktion möglich, wir sehen unsere Liebsten nur durch eine Scheibe.»
Auf dem Thorberg, in der auch Schwerverbrecher untergebracht sind, hat man sich bereits mit den Forderungen der Gefangenen befasst. In einer geschlossenen Justizvollzugsanstalt wie der JVA Thorberg, komme der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung ein grosser Stellenwert zu: «Leibesvisitationen nach Besuchen gehören zum Sicherheitskonzept», so Sprecher Olivier Aebischer. Sie würden jedoch unter Wahrung der Intimsphäre gemäss europäischen Standards durchgeführt. Das Schreiben, welches laut dem Amt für Justizvollzug von der Hälfte der Insassen unterschrieben wurde, enthalte teilweise unrealistische Forderungen. Darunter wird auch die von T. angedeutete Entlastung der Arbeitspflicht aufgeführt. Andere Forderungen sollen dafür geprüft werden: Etwa ob mehr Dolmetscher für die Insassen zur Verfügung stehen können.
Unabhängige Inspektion ist lange her
Gemäss dem Gefangenen T. gehen die Bemühungen der Direktion zu wenig weit. Dass etwa nicht einmal die Leibesvisitation menschenwürdiger vollzogen werden könne, verstehe er nicht. Laut dem Schweizerischen Kompetenzzentrum für Justizvollzug SKJV, dürfen Leibesvisitationen mit Sichtung der Aftergegend nur durchgeführt werden, wenn «ernsthafte und konkrete Verdachtsmomente bestehen, dass der Inhaftierte verbotene Gegenstände oder Substanzen in diesem Körperteil verbirgt». So sieht es auch das Schweizer Strafgesetzbuch vor.
Mit solchen Praktiken befasst sich etwa die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter NKVF. Die behördenunabhängige Kommission überprüft die Wahrung der Grundrechte in Schweizer Freiheitsentzugsinstitutionen. «Wir empfehlen, dass Leibesvisitationen jeweils in zwei Phasen durchgeführt werden, damit sich die Personen nicht völlig entblössen müssen», so Geschäftsführerin Livia Hadorn. Die Situation im Thorberg wurde zuletzt 2018 von der NKVF beurteilt. Damals hielt die Kommission in einem Bericht fest, dass die Leibesvisitation in zwei Phasen in der Hausordnung vermerkt werden solle. Jedoch wurde auch erwähnt, dass die Praxis «weitgehend» so umgesetzt werde. Wie sich die Situation derzeit im Thorberg verhalte, könne nicht abgeschätzt werden, sagt Hadorn. Dies, weil das Gefängnis seit dem letzten Besuch 2017 nicht mehr inspiziert wurde.
Neuer Direktor, neuer Kurs
Das Berner Gefängnis Thorberg sorgte in der Vergangenheit für eine Reihe von Negativ-Schlagzeilen. Die Rede war von gefesselten Insassen und ungenügenden Leistungen der Chefetage. Seit Anfang 2020 wird die JVA von Hans-Rudolf Schwarz geleitet. Laut Daniel Wyrsch, Geschäftsführer des bernischen Staatspersonalverbands sorge der neue Direktor beim Personal für einen Aufschwung: «Mitarbeiter berichten mir von einer Aufbruchstimmung. Dass dies von den Insassen ganz anders wahrgenommen wird, erstaunt mich.» Der Berner SP-Grossrat, der in der Vergangenheit scharfe Kritik an der alten Direktion übte, nennt den «modernen Strafvollzug» von Direktor Schwarz als möglichen Grund: «Um für eine bessere Resozialisierung zu sorgen, will er, dass die Gefangenen mitdenken und mehr anpacken.»
Dieser Kurs kommt bei den Insassen jedoch nicht gut an. Gefangener T: «Wir verspüren so viel Wut in uns, dass wir uns weiter weg von der Resozialisierung fühlen, als je zuvor.»