2002,  Diverse Aktionen,  Gender

Briefkastenaktion Männersteuer

Inhalt:
1. Communiqué
2. Medienbericht


1. Communiqué(Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2002/11/2038.shtml)
Gestern lagen in den Briefkasten Berns ein an männliche Stadtbewohner gerichteter Brief der Berner Stadtbehörden. Unter dem Titel SONDERSTEUER „MÄNNERGEWALT“ wurde angekündigt, 2002 „erstmals eine Sondersteuer „Männergewalt“ zu erheben, die nur der männlichen Bevölkerung der Stadt Bern in Rechnung gestellt wird.“
Das in bester Spass- und Kommunikationsguerilla-Tradition aufgemachte „offizielle“ Schreiben endete nach einer ausführlichen Begründung mit der Ankündigung, die Sondersteuer „Männergewalt“ werde ab 2002 „jährlich zusätzlich zur regulären Gemeindesteuer mit einem Beitrag in der Höhe der einfachen Steuer (Einkommenssteuer) erhoben. Sie werden in den nächsten Tagen von der Steuerverwaltung eine entsprechende Rechnung erhalten. Der Betrag ist innert 30 Tagen zu begleichen.“
Logo, hat das für Verwirrung gesorgt…

Orginal-Text Brief
Sondersteuer „Männergewalt“
Sehr geehrter Herr X
Der Gemeinderat der Stadt Bern hat an seiner Sitzung vom 10. Oktober 2002 den Entscheid gefällt, in diesem Jahr erstmals eine Sondersteuer „Männergewalt“ zu erheben, die nur der männlichen Bevölkerung der Stadt Bern in Rechnung gestellt wird.

Zusammen mit der städtischen Finanzdirektion hat die städtische Direktion für Soziale Sicherheit nach gründlicher Evaluation festgestellt, dass die für die Stadt Bern anfallenden Kosten zur Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern gestiegen sind. Angesichts der angespannten städtischen Finanzlage können keine zusätzlichen Aufwendungen über den regulären Finanzhaushalt geleistet werden. Nach dem Verursacherprinzip sollen die benötigten Mittel von den männlichen Steuerzahlern entrichtet werden.

Der Gemeinderat ist sich bewusst, dass nicht alle Männer Gewalttäter sind. Trotzdem erachtet er es als gesellschaftspolitisch wichtigen Schritt, die männliche Bevölkerung bezüglich der Problematik Männergewalt an Frauen und Kindern zu sensibilisiern. Der Entscheid zu dieser Massnahme basiert auf den Resultaten der Studie zu den Auswirkungen der Sparpolitik der Stadt Bern auf die Frauen, die der Gemeinderat im Herbst 2001 in Auftrag gegeben hat. Diese Ausgabenanalyse macht deutlich, dass die in den letzten Jahren vorgenommenen Budgetkürzungen zu Ungunsten der Frauen ausgefallen sind. Zahlreiche weitere Studien im gesamtschweizerischen und internationalen Vergleich stützen die für die Stadt Bern erhobenen Zahlen. Die Einkünfte der Sondersteuer werden zur gezielten Unterstützung von Projekten verwendet, welche Gewalt an Frauen und Kindern etwas entgegensetzen, wie dem Berner Frauenhaus, dem Moditräff und verschiedenen Präventionsprojekten.

Die Sondersteuer „Männergewalt“ wird ab 2002 jährlich zusätzlich zur regulären Gemeindesteuer mit einem Beitrag in der Höhe der einfachen Steuer (Einkommenssteuer) erhoben. Sie werden in den nächsten Tagen von der Steuerverwaltung eine entsprechende Rechnung erhalten. Der Betrag ist innert 30 Tagen zu begleichen.

Mit freundlichen Grüssen
Der Gemeinderat der Stadt Bern
Stadtpräsident Klaus Baumgartmer

2. Medienbericht (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2002/11/2038.shtml)
-Bund 23.11.02, Wirbel um gefälschten Brief
STADT BERN
Gestern liefen bei der Stadtverwaltung die Telefondrähte heiss: Zahlreiche Einwohner meldeten sich erbost oder verunsichert, weil sie ein Schreiben erhalten hatten, in dem eine
«Sondersteuer ,Männergewalt» samt Einzahlungsschein angekündigt wird.
Diese ausschliesslich von Männern zu bezahlende Steuer habe der Gemeinderat beschlossen, steht in dem persönlich adressierten, höchst offiziell anmutenden Brief. Er ist von «Stadtpräsident Klaus Baumgartner» unterzeichnet. Doch die Mitteilung ist eine Fälschung. «Grober Unfug», schimpfte der Stadtpräsident gestern. Er will Strafanzeige einreichen und er hat eine verwaltungsinterne Administrativuntersuchung eröffnet. (swe)

Angebliche Gewaltsteuer verwirrt Stadtberner
Gefälschtes Schreiben auf Stadtpapier kündigte gestern Männern Sondersteuer an – Stadt reagiert mit Anzeige und interner Untersuchung

• SUSANNE WENGER
Zahlreiche Berner staunten gestern Morgen nicht schlecht, als sie ihre Post durchsahen: «Der Gemeinderat der Stadt Bern» habe beschlossen, «in diesem Jahr erstmals eine Sondersteuer ,Männergewalt zu erheben, die nur der männlichen Bevölkerung der Stadt Bern in Rechnung gestellt wird», eröffnete ihnen, mit Datum vom 20. November 2002, die «Präsidialdirektion» in einem persönlich adressierten Schreiben. Die Kosten zur Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern seien gestiegen, lautete die Begründung. Weil «keine zusätzlichen Aufwendungen über den regulären Finanzhaushalt geleistet werden» könnten, sollten nun also «nach dem Verursacherprinzip» die benötigten
Mittel «von den männlichen Steuerzahlern entrichtet werden». Die Sondersteuer sei gleich hoch wie die Einkommenssteuer und «zusätzlich zur regulären Gemeindesteuer» abzuliefern. «Sie werden in den nächsten Tagen von der Steuerverwaltung eine Rechnung erhalten», erfahren Berns Männer. Den Betrag habe man innert 30 Tagen zu begleichen. Die Einkünfte der Sondersteuer würden zur Unterstützung von Projekten verwendet, die Gewalt an Frauen etwas entgegensetzten, steht weiter geschrieben.

Das mit mindestens auf den ersten Blick Kuverts und Briefpapier der Stadt verschickte Schreiben wirkt in Tonfall und Aufmachung offiziell. Unterzeichnet ist es gar von «Stadtpräsident Klaus Baumgartner». Doch dieser hat es weder verfasst noch hat die Exekutive je einen derartigen Sondersteuerbeschluss gefasst der Brief ist eine Fälschung, wie auf den zweiten Blick klar wird. Baumgartners reale Unterschrift sieht anders aus, die im Briefkopf erwähnte «Koordinationsstelle Steuern» gibts nicht, das Schreiben enthält das Buchstaben-Stadtlogo, das längst wieder durch den Bären ersetzt worden ist. Ausserdem läge ein solcher Sondersteuerentscheid ja nicht einfach in Gemeinderatskompetenz.

Trotzdem sorgte der gefälschte, quer durch die Stadt verbreitete Brief gestern für Aufregung. Den ganzen Tag hindurch gingen bei der Präsidialdirektion laut Stadtinformationschef Hans Häusler «Dutzende von Anrufen und Mails» ein.
Die einen Anrufer erkannten die «Information» als Humbug und wollten sich bloss vergewissern, die anderen nahmen sie ernst und ärgerten sich über die vermeintliche zusätzliche Steuer. Zum Teil sei das Schreiben auch an die Namen bereits Verstorbener gegangen, deren Witwen dann aufgelöst die Stadt kontaktiert hätten, so Häusler.

Wer wars?
Im Erlacherhof sah man sich daher gestern veranlasst, die Sache sofort öffentlich klarzustellen. Der Gemeinderat «bedauert sehr, dass das gefälschte Schreiben bei den angeschriebenen Personen Verärgerung und Unsicherheit ausgelöst hat» , heisst es im Communiqué. Doch beim Bedauern bleibt es nicht. Stadtpräsident Baumgartner hat sich für eine Strafanzeige entschieden, wie er dem «Bund» sagte. Unter welchem Titel, müsse noch abgeklärt werden es könnte sich eher um groben Unfug als um Dokumentenfälschung oder Amtsanmassung handeln. Und nicht nur das: Der Stadtpräsident hat auch eine Administrativuntersuchung eingeleitet um zu sehen, ob verwaltungsintern jemand die Finger drin hat. «Das ist unangenehm, aber unumgänglich», betonte Baumgartner. Die Stadt bittet alle Adressaten, das Schreiben samt Kuvert in den Erlacherhof zu schicken sie will sehen, wie breit es gestreut worden ist.

Gestern blieb demnach unklar, wer hinter der Aktion steckt. Denkbar ist ein Zusammenhang mit dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, der seit 1981 jährlich am 25. November begangen wird nächsten Montag also.
Die Forderung nach einer Gewaltsteuer für Männer ist im übrigen nicht neu: Vor fünf Jahren wurde sie im Kanton Basel-Stadt gestellt nicht mittels Jux, sondern von der
Frauenliste per Motion im Parlament. Doch der Basler Grosse Rat lehnte den Vorstoss im Juni 1997 mit 80 zu 22 Stimmen ab.
Kritisiert wurde, dass die Steuer keinen tauglichen Beitrag gegen die Gewalt leiste, alle Männer in den gleichen Topf werfe und die Rechtsgleichheit verletze.
Auch die Stadt Bern setzt auf andere Instrumente etwa auf das Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt.

-Berner Zeitung 23.11.02, Ein schlechter Steuerscherz
Gestern bekamen viele Berner seltsame Post. Inhalt: Männer müssten ab sofort eine Sondersteuer zahlen. Absender: Die Präsidialdirektion, Klaus Baumgartner. Der Brief ist gefälscht, Untersuchungen laufen.
Astrid Tomczak-Plewka

Es sieht alles ganz offiziell aus. Ein Umschlag mit Sichtfenster. Links daneben der Absender:
Stadt Bern, Präsidialdirektion, Junkerngasse 47. Das Logo. Mit B-Post verschickt, Poststempel vom 21. November, abgestempelt bei der Schanzenpost. Der Inhalt: Ein Brief, datiert vom 20. November, persönliche Anrede, offizieller Briefkopf, Unterschrift des Stadtpräsidenten.

Kopfsteuer für Männer
Der Absender hat einen kleinen Druckfehler. Klaus Baumgartner mutiert hier zu Klaus Baumgartmer. Aber so etwas überliest man. Oder Mann. Denn an die männliche Bevölkerung richtet sich das Schreiben. «Der Gemeinderat hat beschlossen, erstmals eine Sondersteuer zu erheben, die nur der männlichen Bevölkerung der Stadt Bern in Rechnung gestellt wird», heisst es im Brief. Die Sondersteuer werde ab 2002 jährlich zusätzlich zur regulären Gemeindesteuer erhoben und zur «Unterstützung von Projekten verwendet, welche Gewalt an Frauen und Kindern etwas entgegensetzen.»

«Manche weinten»
Beim Brief handelt es sich um eine dreiste Fälschung. Gestern Mittag reagierte der Gemeinderat mit einer Stellungnahme. Doch der Schaden war bereits angerichtet. Denn nicht alle Angeschriebenen – darunter auch Witwen – durchschauten den bösen Spuk sofort. Das Telefon von Baumgartners Sekretärin lief den ganzen Tag heiss. Bis am Nachmittag hatten sich bereits rund 40 Betroffene gemeldet. «Manche Frauen weinten am Telefon, weil sie dachten, nun müssten sie tatsächlich noch für ihre verstorbenen Männer Steuern nachzahlen», sagt der Stadtpräsident. Für ihn ist der Vorfall «grober Unfug, eine üble Tat. Das können wir nicht einfach auf uns sitzen lassen.» Der Stadtpräsident will nun «rechtliche Schritte» einleiten. Wie genau diese aussehen werden, wurde gestern noch abgeklärt.

Verwaltung wird überprüft
Wer hinter dem Brief stecken könnte, darüber mochte Baumgartner gestern nicht spekulieren. «Ich habe keine Erklärung dafür», sagte er. Eines ist jedoch schon jetzt klar:
Auch die Verwaltung wird unter die Lupe genommen. Denn im jetzigen Zeitpunkt kann eine interne Mittäterschaft nicht ausgeschlossen werden. «Es kann jemand Externes oder jemand Internes sein», so Baumgartner. «Ich hoffe nicht, dass jemand von der Verwaltung die Finger im Spiel hat. Aber ich komme nicht darum herum, eine interne Untersuchung anzuordnen.» Und sollte tatsächlich jemand Internes in den Fall verwickelt sein, muss diese Person laut Baumgartner mit «disziplinarischen Massnahmen» rechnen. «Aber ich verurteile niemanden, bevor nicht die Resultate der Untersuchung vorliegen», betont er.
Aufschluss über die Täterschaft sollen die Originalbriefe und -umschläge geben. Der Stadtpräsident bittet deshalb alle Betroffenen, das Schreiben an die Präsidialdirektion zu schicken (Adresse siehe unten).

Nicht zum ersten Mal
Auch schon in früheren Jahren sind in Bern gefälschte Schreiben aufgetaucht. Doch bisher hat die Stadtregierung immer auf eine Strafuntersuchung verzichtet. «Es handelte sich nicht um strafrelevante Fälle», sagt der städtische Informationschef Hans Häusler.
Doch diesmal liegt die Sache von der Wirkung her eben anders. «Viele Leute waren sehr erzürnt über die Stadbehörden, andere total verunsichert. Schon allein deshalb müssen wir reagieren», so Häusler. Ein Anrufer habe sogar gesagt: «Wenn die Stadt keine Strafanzeige einreicht, dann tue ichs.»
Adresse für Betroffene: Stadtpräsidium, z. Hd. Barbara Pfister, Erlacherhof, Junkerngasse 47, 3000 Bern 8