2005,  Freiraum

Wagenplatzbesetzung Gaswerkareal

Inhalt:
1. Offener Brief
2. Medienbericht


1. Offener Brief (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2005/11/36610.shtml)
Bern, 25. November 2005
An unsere Stadt
Seit Ende Februar sind wir mit unseren Bauwägen unterwegs um eine neue Heimat zu finden. Sei es ein Platz im Grünen oder auch in der Stadt zum Leben & Werken, ein Platz, wo wir uns selbst verwirklichen und ein Projekt mit Werkstatt, Garten und einem kleinen Gastronomiezirkus entstehen lassen können. Von Anfang an haben wir das Gespräch gesucht und zahlreiche Briefe an die Stadt und ihre umliegenden Gemeinden geschrieben, mit der Bitte, uns bei der Suche nach einem festen oder befristeten Standort zu helfen. Es sollte doch möglich sein, seit längerem unbenützte Grundstücke zwischenzunutzen. Ausser Absagen erhielten wir keine Antworten. Aus der Not um unsere bedrohte Lebensweise, besetzten wir in den letzten zehn Monaten ca. fünfzehn Plätze. Leider hatten wir nur ein einziges Mal Glück, und konnten eine befristete Nutzung aushandeln.

Ansonsten stiessen wir hauptsächlich auf Ablehnung bei den Ämtern, weil sie mit unserer Lebensweise
nichts anfangen können oder sich keinen Profit aus uns erhoffen. Wir wollen aber so leben. Auch wir haben ein Grundrecht auf kreative Selbstverwirklichung, ein freies selbstbewusstes Leben, sowie Reise- und Niederlassungsfreiheit. Wir wollen nicht Vertriebene im eigenen Land sein. Es heisst einfach, ihr tut illegal das unbenützte Grundeigentum (Land) besetzen und deshalb bräuchte man gar nicht mit uns zu reden. Aber illegal? Wer hat das beschlossen? Wir nicht und das heutige Volk sicher auch nicht. Wie können sie sich Volksvertreter nennen, wenn sie sich auf Vorkriegsgesetze berufen, als Rassendiskriminierung noch im Trend lag?. Aus Angst davor, die Verantwortung für zeitgemässere Entscheidungen zu tragen. Das führt zur Kriminalisierung von Randgruppen und sonderbar offenherzigen Lebensweisen. Traurig aber wahr. Um unser dringendes Bedürfnis nach einem Platz für den Winter, und um der Räumung auf einem seit Jahren ungenützten und überwucherten Baugelände zu entgehen, besetzten wir Mitte Oktober die Grosse Halle. Wir wollten die Öffentlichkeit auf uns aufmerksam machen und zeigen, dass wir es satt haben ständig mit Androhung von Staatsgewalt devongehetzt zu werden. Pfui.
In der Reitschule ist es erstmalig zu einem Gespräch mit der Stadt (dem Kultursekretär) gekommen und es wurden Lösungen gesucht. Nach einigem Bemühen kam es zu einer Einigung und wir konnten sogar den Vertrag für eine Parzelle in Riedbach unterzeichnen. Wir waren guter Stimmung und es sollte am besten sofort losgehen. Leider kam schon tags drauf der Kultursekretär und sagte wir müssen noch fast eine Woche warten und es gäbe Änderungen im Vertrag zu unseren Ungunsten. Wir hätten Mitte Februar bei Glatteis und Schnee wieder verreisen sollen. Auch hatten manche Bauern aus Riedbach Einsprachen angekündigt, doch sind wir auf gute Nachbarschaft mit den Bauern angewiesen (Wasser und Strom können wir nur von Nachbarn beziehen) und würden ihnen bei Bedarf auch helfen. Die Bauern haben immer etwas Gescheites zu tun. Schade drum.

Um den Kulturbetrieb in der Grossen Halle nicht weiter zu stören sind wir am Sonntag, dem 20. November erneut umgezogen. Während der Gespräche mit dem Kultursekretär wurden von uns viele Vorschläge für mögliche Standorte (u.a. das Gaswerkareal) gemacht. Doch wir erhielten keine konkreten Antworten – ausser besagtem Riedbach-Angebot.
Jetzt haben wir die Zirkuswiese am Gaswerkareal besetzt. Inzwischen ist der erste Schnee gefallen.
Da das Gelände im Winter noch nie benutzt wurde, werden wir es, bis im Frühjahr der erste Zirkus kommt, zwischennutzen. Leider sind wir nicht imstande, das Land zu kaufen, wir wären allerdings nach wie vor bereit, eine Miete zu zahlen. Denn jetzt ist Schluss mit der Vertreibung.
Und schon wieder droht uns der Gemeinderat mit der so allmächtigen Staatsgewalt.
Eine konkrete Begründung gibt’s auch keine. Wir wünschen uns endlich einen konstruktiven Dialog mit der Stadtregierung und wollen gemeinsam nach fairen Lösungen suchen. Darf der Staat seinen eigenen Bürgern Gewalt androhen? Soll das eine Kriegserklärung sein? Müssen wir erst unseren eigenen Staat gründen, um selber über uns entscheiden zu dürfen? Warum haben wir so wenig Rechte, dass die Stadtregierung uns eher auf die Strasse stellt oder uns teure Sozialwohnungen finanziert als uns einen Bauwagenplatz zu legalisieren.?

Wir sind offen für ihre Ideen
Alternatives Wohnen – Hier & Jetzt!

2. Medienbericht (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2005/11/36638.shtml)
Stadt verlängert das Ultimatum
Bis heute Abend müssten die Besetzer des Gaswerkareals abziehen, sagte Rudolf Lanzrein, Direktor der Stadtbauten (Stadbe), vergangene Woche gegenüber dieser Zeitung. Ansonsten werde das Areal polizeilich geräumt. Gestern musste sich Lanzrein korrigieren: «Wir haben das Ultimatum um eine Woche verlängert», sagte er. Die Stadt gebe den Bewohnern der Wagenburg noch bis am 6. Dezember Zeit, um einen Alternativstandort zu finden. pas

Letzte Frist für Besetzergruppe
GASWERK Bis Dienstagabend nächster Woche muss der Verein Alternative die Wohnwagen vom Berner Gaswerkareal entfernen: Diese «allerletzte Frist» haben die Stadtbauten Bern als Grundstückeigentümer gestern den Besetzern mitgeteilt. Eine Aussprache war der Weisung vorausgegangen. Damit bekräftigt der Berner Gemeinderat seinen Entschluss von letzter Woche, das Gaswerkareal sei Teil des Naherholungsgebiets und stehe für alternative Wohnformen nicht zur Verfügung.

Die Besetzter reagierten enttäuscht: Der Gemeinderat sei nicht auf die Anliegen der Gruppe eingegangen, sagte deren Sprecher Daniel Schwob. Das weitere Vorgehen sei unklar. In einem offenen Brief verlangten die Besetzer ein Stück Land zur «kreativen Selbstverwirklichung». Nach dem Zwischenaufenthalt in der Grossen Halle der Reitschule war die Gruppe auf die Zirkuswiese des Gaswerkareals umgezogen.
Sukkurs erhält die Gruppe von GPB-Stadtrat Daniele Jenni, der per Motion eine Bleibe für den Winter fordert. Die GB/JA-Fraktion rief in einer Interpellation zur Dialogbereitschaft auf. (dv)