2016,  Asyl/Migration,  Besetzung,  Freiraum

Neubesetzung Kontrollstrasse Biel

Inhalt:
1. Communiqué
2. Medienbericht

1. Communiqué (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2016/02/96813.shtml)
Wir haben die Kontrollstrasse 22 in Biel seit dem 14.2. wiederbesetzt!
Pressecommuniqué zur Wiederbesetzung der Kontrollstrasse 22
Die Liegenschaft an der Kontrollstrasse in Biel wurde in der Nacht auf Montag, den 15. Februar, wieder besetzt.
Das Kollektiv Kontrollstrasse hat die Räumlichkeiten am 22. Januar 2016 in gegenseitigem Einverständnis verlassen, um einem, laut evangelisch-reformierter Gesamtkirche geplanten Projekt, nicht im Wege zu stehen. Dabei hätte es sich um ein Projekt des Zentrums Bäregg gehandelt, bei welchem 30 unbegleitete minderjährige Asylsuchende in dem Haus hätten untergebracht werden sollen. Die evangelisch-reformierte Gesamtkirche hat uns versichert, dass das Projekt bereits in die Wege geleitet ist und einzig sicherheitstechnische Faktoren das Projekt hinauszögern könnte. In der ersten Februarwoche hätten die ersten Arbeiten beginnen sollen und ab 1. April sollten die Jugendlichen einziehen. Auf Anfrage beim Zentrum Bäregg stellte sich dies jedoch als falsch heraus: Das Haus an der Kontrollstrasse sei laut technischem Dienst dafür ungeeignet.
Am 20. Dezember 2015 besetzte das Kollektiv Kontrollstrasse das Haus zum ersten Mal und schuf dort während vier Wochen einen vielfältigen, selbstorganisierten Ort der Begegnung. Das Kollektiv verzichtete darauf, die Medien zu informieren. Einerseits um nicht unnötig eine für die reformierte Kirche möglicherweise unangenehme Öffentlichkeit zu schaffen, andererseits da für das Schaffen des Begegnungsortes Massenmedien nicht nötig waren. Vielmehr kommunizierte das Kollektiv mittels Flyern, die gezielt verteilt wurden, unter anderem in den Asylzentren in Biel und der Region. Innert kürzester Zeit entstand eine intensive Zusammenarbeit mit sozialen Projekten aus der Nachbarschaft, wie dem im Winter ständig ausgelasteten Sleep-In und der Autonomen Schule*. So konnten jene, die im Sleeper keinen Schlafplatz fanden, an der Kontrollstrasse 22 übernachten.
Zudem bewohnten und gestalteten etwa ein Dutzend Menschen, die sonst obdachlos gewesen wären, die Räume im Haus mit und wurden Teil des Kollektivs.

Des Weiteren gab es ein vielfältiges Proramm: Am Mittwochnachmittag, vor den Deutschkursen der Autonomen Schule, fand das Infocafé statt. Zweimal pro Woche wurde für jeweils fünfzig Personen gekocht, es gab Lesungen, Vernetzungstreffen, Selbstverteidigungsworkshops und eine Jamsession. In der Werkstatt, wo sowohl gelernt als auch gelehrt wurde, wurden Unterhaltsarbeiten am Haus vorgenommen, neue Einrichtungsgegenstände gebaut, Möbel angepasst und Fundstücke repariert. Alle zwei Wochen fanden Kleiderverteilnachmittage statt, an denen Winterkleider und -schuhe für Erwachsene und Kinder umsonst abgeholt werden konnten. Die Nachmittage waren sehr gut besucht. Der Kontakt unter den NutzerInnen war freundschaftlich und respektvoll. Immer wieder wurde betont, wie wichtig ein zentraler Treffpunkt dieser Art für jedeN EinzelneN sei.
In Massenmedien wurde unter Anderem behauptet, das Kollektiv Kontrollstrasse hätte geplant, Flüchtlinge „unterzubringen“. Dies soll hiermit richtiggestellt werden: Das Kollektiv Kontrollstrasse lehnt die Fremdverwaltung, die Verwertung und die (rassistisch instrumentalisierbare) Kategorisierung von Mensch, Tier und Natur ab. Statt Flüchtlinge „unterzubringen“, organisieren sich im Kollektiv Kontrollstrasse Individuen unterschiedlicher Herkunft selbstverwaltet.
Dass in einem Rechtsstaat Papier so schwer wiegt, ist nicht zuletzt auch ein Grund für Benachteiligung, Marginalisierung und Kriminalisierung von Menschen mitten in der Gesellschaft. Ohne Papiere wird selbst das blosse Dasein vom Recht zum Vergehen.
Das Kollektiv Kontrollstrasse setzt mit der Wiederbesetzung des Gebäudes das Eigentum ausser Kraft. Dieses Vorgehen mag Fragen aufwerfen, jedoch stellt sich da zuerst die Frage nach dem Leerstand der Kontrollstrasse 22.
Das Kollektiv ist dabei diesen Ort mitten in Biel wieder aufleben zu lassen.


2. Medienbericht (Originalquelle: http://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/keine-fluechtlinge-der-kontrollstrasse)
Biel – In die Liegenschaft der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde werden keine Asylsuchenden einziehen – der Zustand des Hauses ist zu schlecht. Leer steht es jedoch nicht: Das Kollektiv Kontrollstrasse hat die Liegenschaft gestern zum zweiten Mal besetzt.
(Carmen Stalder, Bieler Tagblatt 16.02.2016)

Im Haus der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Biel an der Kontrollstrasse 22 werden keine Flüchtlinge untergebracht. Noch Ende Januar hiess es seitens der Kirchgemeinde, dass in Kürze die ersten unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA) in die Liegenschaft einziehen sollten.

Christoph Grupp, Mitglied des Kirchgemeinderates, sagte dem BT im Januar: «Wir sind gerade damit beschäftigt, gemeinsam mit verschiedenen Organisationen die Aufnahme von minderjährigen Asylbewerbern in dieser Liegenschaft zu prüfen.» Am 25. Januar sprach Grupp von einem Zeitraum von zwei Wochen, bis die Asylbewerber in das Haus einziehen könnten (das BT berichtete).

Die Unterbringung der jugendlichen Flüchtlinge wäre durch die Zentrum Bäregg GmbH organisiert worden. Die gemeinwohlorientierte Institution ist für die Betreuung der UMA im Kanton Bern zuständig. Doch diese hat jetzt entschieden, dass sich die Liegenschaft nicht als Wohnheim für Asylsuchende eigne. «In die Liegenschaft werden keine unbegleiteten Minderjährigen einziehen», sagt Katrin Pfrunder, Kommunikationsverantwortliche beim Zentrum Bäregg.

Teurer Umbau nötig
Für die Absage seitens des Zentrums Bäregg gebe es mehrere Gründe. Ausschlaggebend seien unter anderem die zu erwartenden hohen Kosten gewesen, sagt Pfrunder. «Die Renovations- und Umbaukosten wären für die Nutzungsmöglichkeiten dieser Liegenschaft verhältnismässig sehr teuer gewesen.»

Das heruntergekommene dreistöckige Gebäude steht seit längerer Zeit leer. Der Zustand des Hauses ist so schlecht, dass nach Beurteilung der Stadtverwaltung gewisse bauliche Normen nicht mehr erfüllt werden. «Wir waren im Gespräch mit der Kirchgemeinde und haben die Option eingehend geprüft», sagt Pfrunder. Vor zwei Wochen habe man den Verantwortlichen mitgeteilt, dass das Wohnprojekt an der Bieler Kontrollstrasse nicht realisierbar sei.

Christoph Grupp möchte sich zur aktuellen Situation nicht äussern. Neben der Absage vom Zentrum Bäregg muss er sich momentan mit einer weiteren Sache herumschlagen, denn: Die Hausbesetzer vom Kollektiv Kontrollstrasse sind zurück.

Die Mitglieder des Kollektivs hatten sich kurz vor Weihnachten erstmals Zugang zu der Liegenschaft verschafft und danach rund einen Monat darin gewohnt – bis es zu einem Auszugs-Ultimatum seitens der Kirchgemeinde kam. Sie hätten die Liegenschaft in gegenseitigem Einverständnis verlassen, um einem geplanten Flüchtlingsprojekt nicht im Weg zu stehen, teilt das Kollektiv in einem Schreiben an das BT mit.

In eben diesem Schreiben verkünden die Besetzer, dass sie seit der Nacht auf Montag zurück an der Kontrollstrasse sind. Nachdem das Flüchtlingsprojekt gescheitert sei, habe man beschlossen, «diesen Ort mitten in Biel wieder aufleben zu lassen».

Ort der Begegnung schaffen
Das Kollektiv teilt mit, dass es entgegen der verbreiteten Information nie vorgehabt habe, im Haus Asylsuchende zu beherbergen. «Statt Flüchtlinge unterzubringen, organisieren sich im Kollektiv Kontrollstrasse Individuen unterschiedlicher Herkunft ohne Fremdverwaltung.»

Man wolle einen vielfältigen Ort der Begegnung schaffen, einen Treffpunkt für alle Menschen. Während der ersten Besetzung im Dezember und Januar habe im Haus ein breites Programm stattgefunden: Infocafé, Lesungen, gemeinsames Essen, Vernetzungstreffen, Selbstverteidigungsworkshops, Kleiderverteilnachmittage und Jamsessions.

Es habe ausserdem eine Zusammenarbeit mit der Notschlafstelle Sleep-In gegeben, sodass jene, die dort keinen Schlafplatz fanden, an der Kontrollstrasse 22 übernachten konnten. «Der Kontakt unter den Nutzerinnen und Nutzern war freundschaftlich und respektvoll. Immer wieder wurde betont, wie wichtig ein zentraler Treffpunkt dieser Art sei», so das Kollektiv.

In diesem Stil soll es nun nach Vorstellung der Besetzer weitergehen. Ob dies von der reformierten Kirchgemeinde toleriert wird, bleibt offen – Christoph Grupp will die erneute Besetzung nicht kommentieren. Nur so viel: «Das Schreiben des Kollektivs habe ich auch erhalten.»