2018,  Freiraum,  Repression

Razzia Reitschule

Inhalt:
1. Medienmitteilung Reitschule
2. Medienbericht


1. Medienmitteilung Reitschule (Originalquelle: https://www.facebook.com/Reitschule/photos/a.10150988868945660/10156490514585660/)


2. Medienbericht (Originalquelle: https://www.derbund.ch/bern/stadt/polizeieinsatz-in-der-reitschule/story/25620967 & https://www.derbund.ch/bern/stadt/kontakttelefon-klingelt-ins-leere/story/27256641)
-DerBund: Reitschüler erteilen Reto Nause nach Razzia Hausverbot
Am Freitagabend ist die Polizei in die Berner Reitschule vorgerückt. Auch Reto Nause war vor Ort. Die Reitschüler wiesen den Sicherheitsdirektor nach dem Einsatz vom Vorplatz.
Ungemütliche Ausgehnacht auf der Berner Schützenmatte: Kurz nach 21 Uhr stürmte die Polizei mit einem Grossaufgebot den Innenhof des Berner Kulturzentrums Reitschule. Mehrere Dutzend Einsatzkräfte waren beteiligt, wie eine Person vor Ort berichtete. Bei dem Einsatz seien 13 Personen angehalten worden, wie Polizeisprecher Dominik Jäggi auf Anfrage bestätigt.

Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) persönlich wollte sich auf dem Heimweg von einem Konzert im Bierhübeli einen Eindruck von der Situation machen. Der Polizeieinsatz war bereits vorbei. Er wurde jedoch von den Reitschülerinnen und Reitschülern weggewiesen. Der Gemeinderat hat nun Hausverbot in der Reitschule und somit auf einem Grundstück, das eigentlich der Stadt Bern gehört. Darüber empörte er sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Ob das Hausverbot zulässig ist, bleibt vorerst offen.
Für die Reitschule bedeutete Nauses Auftauchen nach dem Polizeieinsatz eine Provokation, wie sie auf Twitter mitteilt: «Es ist üblich, dass Leute vom Vorplatz weggewiesen werden, die den Betrieb der Reitschule stören.»

Protest der Reitschülerinnen und Reitschüler
Die Reitschüler und Reitschülerinnen hatten sich den Abend nicht so vorgestellt. Sie protestierten auf Social Media und auch in einer Medienmitteilung heftig gegen den Polizeieinsatz. Der Betrieb des Restaurants Sous le Pont sei während Stunden blockiert gewesen, weil die Polizisten ins innere der Reitschule vorgedrungen waren. Die Stimmung ist seit dem September angespannt. Damals eskalierte die Situation, nachdem eine Patrouille auf der Schützenmatte Präsenz markierte. Reitschule und Polizei beschuldigten sich anschliessend gegenseitig, für die Ausschreitungen verantwortlich zu sein.

Die Polizei begründet das Eindringen in das Restaurant am Freitagabend damit, dass die angehaltenen Drogendealer ins Innere der Reitschule flüchteten. Die Polizisten seien den Flüchtenden in die Toiletten des Restaurants nachgeeilt. Dabei wurden die Polizisten von Restaurantbesuchern bei ihrer Arbeit behindert und von einem Unbekannten vom Balkon der Reitschule mit einer Steinschleuder angegriffen. Die Mediengruppe der Reitschule glaubt hingegen, dass die Polizei die Flüchtenden als Vorwand genutzt hätten, um ins Innere der Reitschule einzudringen.

Kokain, Ecstasy und Marihuana
Einig sind sich die Polizei und die Reitschule hingegen bei dem Punkt, dass die Aktion geplant gewesen sei. Die Polizei spricht von einer «gezielten Aktion gegen den Drogenhandel» am Freitagabend. Es wurden Kokain, Ecstasy-Pillen sowie kleinere Mengen Haschisch und Marihuana gefunden und eingesammelt.
Trotz der Razzien lässt sich dem Drogenhandel auf der Schützenmatte nur schwer beikommen. So auch am Freitag, denn Reto Nause, der kurz nach dem Einsatz auf der Schützenmatte eintraf, wurde bereits wieder fünf Mal gefragt, ob er nicht Kokain kaufen wolle, wie er auf Twitter schreibt.

-DerBund: Kontakttelefon klingelt ins Leere
Es trennt mehr, als es eint: Das vertraglich geregelte Kontakttelefon sollte die Kommunikation der Reitschüler mit der Polizei verbessern. Das tut es aber nicht.
Auch auf kommunikativer Ebene ist die Distanz zwischen Polizei und Reitschülern gross.
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Genannt wird es «Kontakttelefon», geregelt ist es im Artikel 19 des Leistungsvertrags zwischen der Stadt Bern und der Reitschule. Eingeführt wurde es bereits vor Jahren. Sein Ziel: mehr Kooperation zwischen der Polizei und dem Sicherheitsdienst der Reitschule, eine stabile Dialog­linie und geordnete Einsätze. Gemäss Vertrag muss während der Betriebszeiten in der Reitschule ständig jemand für alle Blaulichtorganisationen erreichbar sein, damit Knatsch rund um Polizeieinsätze möglichst verhindert werden kann.

Nur: Das Kontakttelefon funktioniert nicht, wie sich zuletzt am vergangenen Freitag zeigte, als die Polizei die Reitschule stürmte und 13 Personen anhielt. Grund für den Einsatz waren laut Kantonspolizei Drogendealer, die ins Innere der Reitschule geflüchtet waren. Dem widersprach die Reitschule.
Dass sich Reitschule und Polizei bezüglich Grund und Umsetzung von Einsätzen auf der Schützenmatte uneinig sind, ist bekannt. Der Einsatz vom Freitag offenbart aber gravierende Kommunikationsprobleme.

Vorwurf der Verweigerung
Die Polizei schreibt, sie habe vor dem Einsatz die Nummer des Kontakttelefons angerufen, wegen lauter Umgebungsgeräusche sei aber nur ein kurzes Gespräch möglich gewesen. Nachdem die Reitschule diesen Kontakt zuerst bestritt, korrigierte sie ihre Stellungnahme nachträglich. Es habe eine Kontaktaufnahme durch die Polizei gegeben, jedoch erst nach dem Beginn des Einsatzes, schreibt die Reitschule. «Nach 25 Sekunden wurde der Anruf aber plötzlich abgebrochen.» Ein Angestellter der Reitschule soll nach eigenen Angaben eine Viertelstunde später zurückgerufen haben.

Von sich aus hat die Reitschule aber nicht Gebrauch gemacht vom Kontakttelefon. «Wir haben uns dazu entschieden, den Kontakt nicht über das Telefon, sondern mit der Einsatzleitung und den Polizisten vor Ort zu suchen», schreibt die Medienstelle der Reitschule auf Anfrage.
Laut einer Medienmitteilung der Reitschule vom Montagabend ist dies nicht möglich gewesen. Kontaktaufnahmen seien sehr schroff abgewiesen worden. Die Kantonspolizei sagte dazu gestern, der als solcher gekennzeichnete Einsatzleiter habe Kontakt gehabt zu mehreren Personen, «die sich als Angestellte des Sicherheitsdienstes der Reitschule ausgaben». Dabei sei er von diesen jedoch «lautstark angegangen» worden, sodass «kein zielführender Dialog» möglich gewesen sei.

Die Situation am Freitag zeigt: Wenn der heisse Draht immer an einem Ende kalt bleibt, nützt auch eine vertragliche Regelung nichts. Gemäss den Angaben des Berner Sicherheitsdirektors Reto Nause (CVP) ist der vergangene Freitag kein Einzelfall. Zwischen Januar und Oktober dieses Jahres wurde das Kontakttelefon demnach seitens der Polizei 18 Mal benutzt, wovon 12 Anrufe unbeantwortet blieben. Einmal war das Telefon gar nicht in Betrieb, und nur dreimal kam es zu einem späteren Rückruf. «Damit erfüllt die Reitschule eine vertragliche Auflage schlichtweg nicht», so Nause. «Das Kontakttelefon könnte deeskalierend wirken. Dafür müsste bei der Reitschule aber ein kleiner Funken Dialogbereitschaft erkennbar sein.»
Die Bilanz des Kontakttelefons ist schon längere Zeit ernüchternd: Bereits 2015 blieben 45 von 53 Anrufen unbeantwortet. Das Kontakttelefon scheint die gewünschte Wirkung nicht zu entfalten, darüber sind sich Polizei und Reitschüler sogar einig. Denn auch die Reitschule schreibt: «Die Wirkung des Kontakttelefons ist aus unserer Sicht Glückssache.» Es sei auch schon vorgekommen, dass Kontaktversuche ihrerseits nur «mit einem höhnischen Lachen» beantwortet worden seien.

Obsoletes Telefon?
Der Leistungsvertrag zwischen der Stadt Bern und dem Verein Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (Ikur), in dem das Kontakttelefon festgeschrieben ist, muss nächstes Jahr für den Zeitraum zwischen 2020 und 2023 neu verhandelt werden. Kann man das Kontakttelefon abschaffen, wenn es die gewünschte Wirkung nicht erzielt?

Zwar sei er leider nicht alleine entscheidungsbefugt, sagt Nause, eine Abschaffung fände er aber keine gute Idee: «Für die Reitschule gelten die gleichen Regeln wie für alle anderen Lokale auch.» Dazu gehöre auch, dass sie auf einer Telefonnummer zu Betriebszeiten erreichbar seien. «Deshalb muss dieser Kontakt per Telefon zwingend funktionieren. Da gibt es keine andere Wahl.» Auch die Kantonspolizei will am Telefon festhalten: «Das Kontakttelefon ist ein Instrument für die Sicherheit. Es wäre entsprechend wichtig, dass es funktioniert.»
Einzig die Reitschule äussert sich da kritischer. Man könne sich zu laufenden Vertragsverhandlungen nicht öffentlich äussern. «Für das Funktionieren des Telefons wäre ein respektvoller und deeskalierender Umgang der Polizei mit unseren Sicherheitsverantwortlichen Voraussetzung.» Das sei derzeit nicht der Fall, schreibt die Reitschule auf Nachfrage. (Der Bund)