2020,  Antirassismus,  Repression,  Sprays

Sprays Staatssekretariat für Migration

Inhalt:
1. Communiqué


1. Communiqué (Originalquelle: https://barrikade.info/article/3411)
In der Nacht auf Dienstag wurde Kritik an der rassistischen Praxis des Staatssekretariats für Migration (SEM) geübt. An der makellosen Fassade des Gebäudes, hinter welcher täglich Entscheide zu massiver Gewalt gefällt werden, wurde die Botschaft „Das Migrationsregime tötet, das SEM mordet mit“ hinterlassen. Sie soll darauf hinweisen, wie stark das SEM in die Gewalt, die sich täglich an Grenzen und in Asyllagern abspielt, verwickelt ist und diese aktiv mitproduziert.

Das SEM sorgt mit der hochprofessionalisierten Verwaltung von Menschen dafür, dass das europäische Migrations -und Grenzregime reibungslos funktionieren kann. Dass es reibungslos Menschen an den Grenzen umbringen kann, dass es reibungslos Menschen internieren kann, dass es reibungslos ganze Lebensläufe und Zukunftsperspektiven zerstören kann.

Hinter den Türen des SEM‘s sitzen grösstenteils weiss sozialisierte, privilegierte Menschen, die durch rassistische und nationalistische Strukturen in den Kopf gesetzt bekommen haben, dass sie das Recht dazu haben, über das Leben anderer Menschen zu bestimmen. Das SEM stellt sich selbst als eine Institution dar, die faire Asylverfahren führt und den Menschen, die flüchten mussten, eine Aufnahme gewährt. Aus unserer Sicht ist das SEM eine Institution, die massiv Gewalt und Zwang anwendet, die aber aufgrund von rassistischen und nationalistischen Vorstellungen in den Köpfen vieler Menschen selten als das wahrgenommen wird.

Unsere Kritik am SEM und am schweizerischen Migrationsregime ist grundsätzlicher Natur. Wir wollen nicht beurteilen ob Asylverfahren fair sind, ob es in den Camps genügend Platz gibt oder ob die 9.50 pro Tag für abgewiesene Geflüchtete ausreichen oder nicht. Wir kritisieren grundsätzlich das Konstrukt von Nationalstaaten und von Grenzen, von einem „wir“ und einem „sie“, weil aus diesen Konstrukten zwangsläufig Gewalt und Zwang resultieren. Es schafft die Situation wo „wir“, die drinnen sind, über „die“ die draussen sind bestimmen können. Um unsere Kritik verständlich zu machen, werden hier einige Beispiele aufgelistet, was das schweizerische Migrationsregime und allen voran das SEM tagtäglich so machen:

* Das SEM führt eine aktive Lagerpolitik. Geflüchtete werden isoliert von der Gesellschaft an Orten, die von ihrer Bauart und von ihrem örtlichen Standort sowie von den dort herrschenden Regeln an Knäste oder andere freiheitsberaubende Institutionen erinnern. An den meisten Orten gibt es Eingangskontrollen, An -und Abwesenheitskontrollen, rund um die Uhr Überwachung durch Kameras und Securitas sowie strenge Hausregeln. Die Lagerpolitik ist wichtiger Bestandteil des Migrationsregimes, da sie von Menschen auf der Flucht das Bild von Gefährder*innen schafft, das dann massiv freiheitberaubende Massnhamen gegnüber diesen erlaubt.
* Das SEM führt in den Asylverfahren Befragungen durch, die für viele Menschen kaum zu bewältigen sind. Das wichtigste Kriterium für die Vergabe eines positiven Asylentscheids ist die Glaubwürdigkeit. Um in den Augen des SEM‘s glaubwürdig zu sein, muss jedes kleinste Detail der Fluchterfahrung chronologisch korrekt widergegeben werden können. Dies ist selbst unter „normalen“ Umständen enorm schwierig. Gerade für Menschen, die aufgrund der Fluchterfahrung traumatisiert sind, ist dies oft schlicht unmöglich. Obwohl die Angestellten des SEM‘s keine Ahnung haben können, wie die Lebensrealität der Menschen vor der Flucht und auf der Flucht ausgesehen hat, sind sie in der Machtposition, darüber zu befinden, ob dies nun ein legitimer Fluchtgrund darstellt oder nicht oder ob dieser Person überhaupt irgendetwas geglaubt wird. Wir kritisieren grundsätzlich, dass Flucht -und Migrationsgründe in „gut“ und „schlecht“ aufgeteilt werden. Denn diese Entscheidung dient lediglich den Interessen der Herrschenden in der Schweiz, die entscheiden können, wen sie hier haben wollen und wen nicht. Menschen die wegen Armut oder Arbeitslosigkeit migrieren, wollen sie nicht. Die sind in der Verwertbarkeitslogik des Kapitalismus nichts wert. Menschen mit genügend Human -und Finanzkapital werden dagegen mit offenen Armen empfangen. Oder falls du das Pech hattest, nicht darüber zu verfügen, musst du schon halb erschossen und am besten ein minderjähriges Mädchen sein, denn die humanitäre Tradition der Schweiz soll natürlich nicht vergessen gehen.
* Das SEM versucht wann immer möglich auszuschaffen, wenn nötig unter Einsatz massivster Gewalt. Es rühmt sich damit, einer der höchsten Ausschaffungsquoten der europäischen Staaten zu haben. Dem SEM ist es egal, wohin die Menschen ausgeschafft werden und was sie dort erwartet. Selbst bei Ausschaffungen nach Afghanistan oder Eritrea zeigt es keinerlei Skrupel. Beides Länder, wo das EDA Schweizer*innen zwingend davon abrät, zu bereisen. Während die einen vor diesen Ländern gewarnt werden, werden die anderen an Rollstühle gefesselt, in einem Zwangshelm und unter stark sedierenden Medikamenten dorthin zwangsausgeschafft. Der Ausschaffung voran gehen meistens der nächtliche Überfall durch die Polizei in einem Asyllager, die anschliessende Inhaftierung (auch von Kindern) und schliesslich die Verfrachtung zum Flughafen.
* Das SEM lässt Menschen bewusst an den europäischen Aussengrenzen sterben. Gerade an der türkisch-griechischen Grenzen, aber auch im zentralen Mittelmeer, in der Wüste um Agadez oder an der spanischen Enklave Melilla ist die Situation für Menschen auf der Flucht seit Jahren katastrophal. Die schweizer Behörden und Regierung berufen sich zwar gerne auf ihre angeblich humanitäre Tradition und zeigen sich zur Aufnahme von Geflüchteten bspw. aus dem türkisch-griechischen Grenzebiet bereit. In der Praxis sieht humanitäre Tradition à la Schweiz aber so aus, dass unmögliche Bedindungen an die aufzunehmenden Geflüchteten gestellt werden, die bis anhin von ca. 10 unbegleiteten Kindern auf der griechischen Insel Lesbos erfüllt werden können. Diese dürften also theoretisch einreisen, wäre da nicht Corona, das die Einreise zurzeit halt nicht möglich macht. Sagen sie ernsthaft während immer noch Menschen aus der Schweiz abgeschoben werden und gerade eine riesige Rückhohlaktion gestartet wurde, um ca 3‘700 Tourist*innen per Sonderflug in die Schweiz zurückzuholen.

Oft wird die Gewalt, die hinter solch verwalterischen und bürokratischen Abläufen steckt nicht gesehen. Die Gewalt ist entweder nicht sichtbar, weil sie sich in Form von Zwang, Demütigung, Diskriminierung und Kontrolle äussert. Oder sie ist nicht sichtbar weil sie sich hinter den Mauern der Lager, hinter den Zäunen der Grenzen oder im Schutz der nächtlichen Dunkelheit in den Ausschaffungstransportern abspielt. Doch die ehemals so schön weisse Fassade des SEM‘s soll nicht darüber hinwegtäuschen, was dahinter tatsächlich passiert: Privilegierte weisse Menschen die ihre Machtposition ausnützen und stärken indem sie versuchen, über das Leben von Geflüchteten zu entscheiden und bewusst Gewalt gegen sie anwenden oder sie dieser aussetzen. Wir wollen diese Gewalt sichtbar machen, sie kritisieren und sie bekämpfen.

In dieser Nacht haben wir diese Aktionsform gewählt, mit dem Wissen, dass es eine von vielen möglichen ist. Wir wollen mit dieser direkt die Menschen, die beim SEM arbeiten, ansprechen und einen kleinen finanziellen Schaden hinterlassen. Auch die mächtigsten Institutionen sind angreifbar und können durch Widerstand abgeschafft werden. Zu diesem Widerstand gehört auch die direkte gegenseitige Unterstützung, die Kämpfe der Menschen in den Asyllagern, Care-Arbeit, Aufarbeitung der Rassismus-Erfahrungen, Aufbau von Strukturen zur gegenseitigen Unterstützung und Stärkung der Kämpfe, Kritik an rassistischem Verhalten und Arbeit am eigenen Verhalten, Informationsarbeit, Sabotage und so weiter…

#RiseAgainstBorders
#LeaveNoOneBehind