2021,  Repression

Urteil Markenschutz Kantonspolizei

Inhalt:
1. Medienbericht


1. Medienbericht (Originalquelle: https://journal-b.ch/artikel/marke-police/)
Das Logo der Berner Kantonspolizei ist markenrechtlich geschützt. Sieht die Behörde sich im Markenschutz verletzt, greift sie durch. Ein Lehrstück über juristische Wirrungen des Bekleidungsmilieus.

in blauer Pullover liegt auf dem fleckigen Tisch des Ateliers in einem Berner Keller. Dunkel- bis marineblau, runder Ausschnitt, keine Kapuze. Unspektakulär – dürfte man meinen, wäre da nicht das Logo auf der linken Brustseite. Das gestickte Emblem zeigt das Kantonswappen mit dem Bären neben dem Schriftzug «POLICE». Ein bekanntes Bild, das unter anderem Polizeiuniformen und Einsatzfahrzeuge der Kantonspolizei ziert. Auf dem hier präsentierten Kleidungsstück stehen der Bär und das Wort aber Kopf. Was man dem Kleidungsstück nicht ansieht: Über das Kunstobjekt hat kürzlich das Bundesgericht geurteilt und die Kantonspolizei hat durch den Verkauf einige hundert Franken an Gewinn eingenommen.
Wir wagen im Folgenden den Versuch einer Rekonstruktion und wollen zuvorderst beginnen.

An einem Treffen im August 2020 erzählen Fabio und Ramon (Namen geändert) Journal B gegenüber erstmals ihren Teil der Geschichte. Die beiden engagieren sich je in einem – wie sie es selbst nennen – Berner Kunstkollektiv. Unter den Labels «Pouxa» und «Jeteur de Pierres» entstehen Kleiderkollektionen und Kunstaktionen im öffentlichen Raum. Die Inhalte sind oft politisch, subversiv bis dadaistisch und in ihrer Form unkonventionell. Bern ist klein und die entsprechende Szene, die die beiden Labels bedienen, ebenfalls. Die zwei Kollektive fanden sich vor einiger Zeit also für ein neues Projekt zusammen. «Wir hatten zu dem Zeitpunkt schon damit experimentiert, das Police-Logo auf Taschen zu sticken», erzählt Fabio, «und planten bald einmal, Sweater damit zu produzieren.» Das gemeinsame Projekt stand unter dem Begriff der Umordnung – das Sujet wurde auf den Kopf gedreht. Der geplante Pullover sollte nicht wie eine Uniform aussehen, so Ramon: «Wir wollten keine Polizeiverkleidung herstellen. Zu dem Markenrecht hatten wir uns damals keine Gedanken gemacht.» Die Gruppe hatte nicht erwartet, dass die paar Pullover von Interesse für die Polizei sein könnten, auch wenn eine Prise Provokation gewollt war.

In Handschellen
Anfang 2020 werden die ersten Werbefotos für die kleine Kollektion gemacht und der Aufruf landet im Netz: Die Kleider können am Samstag der – aufgrund der Pandemie abgesagten – Berner Fasnacht gekauft werden. Am Samstag, 29. Februar 2020 steigt die Gruppe junger Männer, darunter Fabio und Ramon, in den 20er Bus, in welchem sie die blauen Pullover zu verkaufen gedenken. Innerhalb einer Busfahrt von der Lorraine zur Unitobler sind alle Artikel veräussert. «Übrig blieben sechs reservierte Pullover und zwei Stück, die wir selbst trugen», erinnert sich Ramon. Das Bargeld steckt in Fabios Tasche, als sich die Gruppe zu Fuss in Richtung Bahnhof aufmacht. Oberhalb der Schanzenstrasse, auf der Höhe Falkenplatz, nimmt die Sache jedoch eine unerwartete Wendung. Ramon und Fabio gestikulieren und beschreiben lebhaft, wie sie von mehreren Polizist*innen zu Fuss und mit dem Auto eingekesselt werden. Eine Personenkontrolle folgt, im Verlaufe derer die Pullover und das Bargeld konfisziert werden. Ramon: «Am Schluss fuhr man uns in Handschellen auf den Posten am Waisenhausplatz.» Bei der Festnahme fällt gemäss den beiden das erste Mal der Begriff «Markenschutzverletzung».

Noch am selben Tag, nach der Entlassung, habe sich die Gruppe wieder getroffen, erklärt Fabio: «Wir waren sehr irritiert über den Polizeieinsatz, zogen aber eine positive Bilanz über unsere Aktion. Die Pullover stiessen auf grosses Interesse und wir erhielten sogar von einigen Polizist*innen Komplimente.» Ramon ergänzt: «Wir hatten nicht gedacht, dass die Aktion eine solch heftige Reaktion hervorrufen würde.»

Das späte Einschreiten
Der Vorwurf der Markenrechtsverletzung wiederholt sich später in schriftlicher Form auf dem Strafbefehl, den die vier Angeschuldigten einige Monate später erhalten und der Journal B vorliegt. Dieser lautet auf «Widerhandlung gegen das Markenschutzgesetz durch Anmassung der Marke eines anderen (a.) und in Verkehr bringen der angemassten Marke (b.)». In der Beschreibung des Sachverhaltes wird erläutert, dass das POLICE-Logo im Markenregister eingetragen sei und die Angeschuldigten im Wissen darum gehandelt hätten. Konsequenz: Eine Busse von 300 Franken zusätzlich der Gebühren von 500 Franken.
Der ursprüngliche Strafbefehl.

Der Strafbefehl deutet an, dass die Polizei im Vorfeld von dem Verkauf der Pullover wusste. Im Sachverhalt wird erwähnt, auf welchem Instagram-Kanal die Aktion mit Zeit und Ort angekündigt wurde. Weshalb der Verkauf nicht frühzeitig unterbunden wurde, bleibt zuerst unklar. Auf Nachfrage von Journal B bestätigt die Kantonspolizei Bern, von dem geplanten Verkauf der Pullover gewusst zu haben. Weiter heisst es in der Stellungnahme: «Um weitere rechtliche Schritte einzuleiten, bedarf es jedoch einer entsprechenden Feststellung vor Ort.»

Vom Strafbefehl zum Schadenersatz
Die vier Angeschuldigten erheben keine Einsprache, der Strafbefehl wird zum rechtskräftigen Urteil. Zähneknirschend habe man die Busse akzeptiert, erklären Ramon und Fabio, denn, so Letzterer: «Das Problem war, dass wir alle fünf die identische Einsprache hätten formulieren müssen. Für eine rechtliche Übersicht und die Koordination unter uns reichte die 10-Tage-Frist nicht aus. Also entschieden wir uns dafür, die Bussen zu schlucken und unsere Energie wieder in Kunstprojekte fliessen zu lassen.»

Nur: Mit bezahlter Busse ist die Angelegenheit nicht erledigt. Gut eineinhalb Monate später – am 1. Juli 2020 trifft ein neues Schreiben der Kantonspolizei ein. Betreff: «Schadenersatzforderung wegen Widerhandlung gegen das Markenschutzgesetz». Die Kantonspolizei als Markeninhaberin fordert die Herausgabe des Gewinns, der durch den Verkauf der Pullover erzielt wurde. Als Gewinnsumme nennt das Schreiben den Betrag von 2100 Franken. Festzuhalten gilt an dieser Stelle, dass die Polizei bei der Kontrolle am Fasnachtssamstag bereits Vermögenswerte in der Höhe von 1040.20 Franken beschlagnahmte.
Umsatz und Gewinn

Gross ist im Folgenden die Empörung bei den Empfängern des Briefs. «Diese Forderung machte keinen Sinn», enerviert sich Ramon bei unserem Gespräch und hält fragend die Handflächen nach oben, «die Polizei hatte Umsatz mit Gewinn verwechselt.» Denn: 42 verkaufte Pullover zum Preis von 50 Franken ergibt den Umsatz von 2100 Franken. Die Betroffenen antworten schriftlich, dass von diesem Betrag die Produktionskosten abzuziehen seien und dass die Polizei schon im Besitz der 1040 Franken Bargeld von dem Verkauf der Pullover sei.

Es folgt ein brieflicher Austausch von Erklärungen und Forderungen, der damit endet, dass die Polizei die geltend gemachten Herstellungskosten der Pullover akzeptiert und von der ursprünglichen Forderung abzieht. Das beschlagnahmte Bargeld sei aber durch die Staatsanwaltschaft eingezogen worden und nicht bei der Kantonspolizei Bern gelandet, es könne deshalb nicht zur Deckung der Schadenersatzforderung dienen.

«Mit den Kosten des Strafbefehls und der Schadenersatzforderung landeten wir in einem satten Minus», erinnert sich Fabio, «wir mussten uns was einfallen lassen.» Die Gruppe beginnt zu dem Zeitpunkt, Kleider zu sammeln, auch gebrauchte, und wertet sie mit Prints und Stickereien auf, diesmal ohne Police-Logo.

Es ist August 2020, als Ramon meint, die Kleider an einer Vernissage im Oktober oder November verkaufen zu können. Auf die zu diesem Zeitpunkt gestellte Frage, wieso die Polizei nicht früher einschritt an jenem Samstag der abgesagten Fasnacht, meint Ramon lapidar: «Wären sie vorher eingeschritten, hätte es keine Schadenersatzforderung gegeben.»

Die Zwischenbilanz
Die Geschichte könnte hier fertig sein. Eine kleine Zwischenbilanz zeigt: Fabio und Ramon, sowie ihre drei Mitstreiter kostet die Angelegenheit pro Person mehr als tausend Franken: Busse und Gebühr des Strafbefehls, plus Schadenersatzforderung. Die Kantonspolizei nimmt gleichzeitig einige hundert Franken durch den Verkauf der Pullover mit ihrem Logo ein. Die Käufer der Pullover werden über private Kontakte informiert, dass sie das Kleidungsstück besser nicht in der Öffentlichkeit tragen sollten. Selten hat eine Kleiderkollektion aus Bern oder eine andere Fasnachtsbekleidung für derart viel Ärger gesorgt. Wenn die Narrenparade im Spätwinter dazu dient, gegen die Obrigkeit zu sticheln, dürften die fünf Beteiligten ein Fasnachtsabzeichen dafür erhalten.

Nun ist die Angelegenheit aber nicht beendet, weil zwei Dinge eintreten: Der erneute Lockdown verhindert die geplante Vernissage im Herbst. Und Ramon und Fabio gelangen – reichlich spät – an einen Anwalt, der sich die Angelegenheit trotz aller abgelaufenen Fristen nochmal anschaut.

Ein ungeschützter Bereich
Denn Markenschutzgesetze und der Schutz geistigen Eigentums sind beileibe keine leicht zu durchschauenden Rechtsgebiete. Unkundige – wie Ramon und Fabio – können rasch den notwendigen Durchblick verlieren. Was dem beauftragten Rechtsanwalt rasch auffällt: Die Marke der Kantonspolizei Bern ist keineswegs für alle Waren und Dienstleistungen geschützt. Wer seine Marke schützen will, muss angeben in welchen Bereichen er oder sie das tut. Grundlage dafür bietet die international verbreitete Nizza-Klassifikation von Waren und Dienstleistungen. Sie gibt 45 Klassen vor, in denen eine Marke geschützt werden kann. Das Problem hierbei: Die Kantonspolizei beansprucht das Markenrecht in vier Bereichen aber nicht im relevanten Bereich Bekleidung (siehe hier). Das Besticken von Pullovern mit dem Police-Logo könne – so der Anwalt – deshalb keine Markenschutzverletzung darstellen.
Der Eintrag für die Marke der Kantonspolize Bern. Die Nummern in der dritten Spalte bezeichnen die geschützten Bereiche.

Ein weiterer Punkt, der nun zur Sprache kommt: Der Straftatbestand der Widerhandlung gegen das Markenschutzgesetz ist ein Antragsdelikt. Er wird im Gegensatz zu Offizialdelikten wie Mord und Totschlag nicht von Amtes wegen verfolgt, sondern nur auf Antrag des oder der Geschädigten. Der Rechtsdienst der Polizei stellte daher im Februar 2020 einen Strafantrag – die Kantonspolizei trat als Privatklägerin auf. Die Untersuchung führte aber dieselbe Kantonspolizei durch. Laut Strafprozessordnung wäre dies nicht möglich – die Kantonspolizei hätte in den Ausstand treten müssen.
Gerichte behandeln das Revisionsgesuch

Gestützt auf diese beiden Punkte wird ein Revisionsgesuch an das Obergericht des Kantons Bern verfasst. Ein Revisionsgesuch dient dazu einen bereits rechtskräftigen Entscheid neu zu beurteilen, wenn nachträglich neue Tatsachen ans Licht kommen. Mitte Dezember 2020 weist das Obergericht das Gesuch ab. Es handle sich bei den angeführten Argumenten nicht um neue Tatsachen oder Beweismittel, die eine Revision des bereits rechtskräftigen Strafbefehls nötig machen, urteilt das Obergericht. Zudem sei die Ausstandsregel verspätet geltend gemacht worden. Mit andern Worten: Ramon und Fabio hätten sich früher wehren müssen. Sie hätten als Nichtjuristen merken müssen, dass der Chef des Rechtsdienstes der Polizei und die Staatsanwältin grobe juristische Fehler gemacht hätten.

Anfangs dieses Jahres wird das Revisionsgesuch ans Bundesgericht weitergezogen. Nun dürfen sich die Richter*innen in Lausanne mit dem auf dem Kopf stehenden Logo befassen. Wobei: Mit dem Logo und dem Schutz der Marke beschäftigen sich weder Obergericht noch Bundesgericht. Dass die Verwendung des auf dem Kopf stehenden Logos im Bereich Bekleidung laut Markenschutzgesetz nicht strafbar ist, das wird kaum bestritten. Womit sich die Justizbehörden hier befassen, sind strafprozessuale Fragen: Kann bei derart groben Versäumnissen auch nach Ablauf der Einsprachefrist ein Verfahren neu aufgerollt werden? Wann und wie hat sich ein rechtsunkundiger Beschuldigter zu wehren? Genügt der Grundsatz nulla poena sine lege (Keine Strafe ohne Gesetz), damit ein Strafantrag nichtig wird?
Am 8. April erfolgt das Urteil des Bundesgerichts. Es lässt sich kurz zusammenfassen: Der Beschwerdeführer hätte sich früher wehren müssen. Das Revisionsverfahren diene nicht dazu, prozessuale Versäumnisse nachzuholen, schreiben die Richter*innen. Die Beschwerde wird abgelehnt.

Wie weiter mit dem Markenschutz?
Auf die Frage, ob die Berner Kantonspolizei nun gedenke, den Markenschutz im Bereich Bekleidung zu beantragen, gibt sich die Medienstelle bedeckt. Sie lässt verlauten, dass die aktuelle Schutzfrist noch bis ins Jahr 2025 laufe und schreibt weiter: «Allenfalls wird die Kantonspolizei Bern im Rahmen der Verlängerung des Schutzes auch eine entsprechende Ausweitung prüfen.» Ob die Ausweitung auf den Bereich Bekleidung überhaupt möglich ist, darf angezweifelt werden. Denn eine Marke bleibt nur geschützt, solange sie im entsprechenden Bereich auch beansprucht wird. Da die Kantonspolizei – zumindest nach bisherigem Stand – nicht mit Pullovern handelt, dürfte diese Voraussetzung nicht erfüllt sein.

Und was geschieht mit den 42 Pullovern, die bereits verkauft wurden? Auf die Frage, ob Personen die das Kleidungsstück nun in der Öffentlichkeit tragen, mit Strafverfolgung rechnen müssen, ergeht die Antwort, dass dies jeweils im Einzelfall beurteilt werde: «Dabei können sowohl strafrechtliche (zum Beispiel eine Amtsanmassung), als auch verwaltungsrechtliche (wie zum Beispiel die Verwendung von Abzeichen, die mit denen der Kantonspolizei Bern verwechselt werden können / siehe Art. 18 PolG) Aspekte zur Anwendung kommen.»

Eine zentrale Lehre
«Wir hätten früher Einsprache erheben müssen», wird Ramon einige Wochen nach dem Urteil des Bundesgerichts dazu sagen. Es ist wohl die zentrale Einsicht aus der Angelegenheit, die vor Absurdität nur so strotzt. Ramon, Fabio und ihre drei Freunde sitzen nun auf mehreren tausend Franken Bussgeld und Verfahrenskosten, die sie zu bezahlen haben. In der Zwischenzeit waren sie aber nicht untätig: «Um die Schulden bezahlen zu können, organisieren wir einen Solievent. Dafür haben wir die ganze Geschichte nochmals kreativ aufgerollt, viele Bilder gemalt und über 100 individuelle Kleidungsstücke hergestellt», sagt Fabio beim letzten Gespräch im Mai dieses Jahres und holt einen Stapel Pullover hervor. Vieles sind Unikate, auf einigen ist in geschwärzter Form der ursprüngliche Strafbefehl aufgedruckt. Das Police-Logo ist nirgends mehr zu finden. «Wir freuen uns, die Sache so humorvoll abzuschliessen, wie sie eigentlich angefangen hat», meint Ramon dazu. Der Bär und die sechs Grossbuchstaben haben längst für genug Aufruhr gesorgt.