2010,  Diverse Aktionen

Anarchistische Buchmesse Biel

Inhalt:
1. Aufruf
2. Bericht
3. Bilder

1. Aufruf (Originalquelle: https://ch.indymedia.org/de/2010/02/73873.shtml)
Während anarchistische Buchmessen in der ganzen Welt stark am Kommen sind, blieb es in den Deutschsprachigen Ländern bislang auffällig ruhig. Im Februar 2009 fand zum ersten mal ein solcher Anlass in Winterthur in der Schweiz statt. Der Erfolg der Buchmesse machte eine Fortsetzung fast zwingend, doch konnte in Winterthur ein Ziel schlecht realisiert werden: Der Anlass sollte nicht nur für Deutsch sprechende BesucherInnen und AnbieterInnen interessant sein, sondern auch für solche aus Französisch- und Italienischsprachigen Regionen.
Als grösste zweisprachige Stadt der Schweiz ist Biel/Bienne daher bestens dafür geeignet. Und damit noch nicht genug: Beinahe in den Stammlanden der legendären Fédération Jurassienne gelegen, lebt auch heute noch in Biel die libertäre Tradition fort: Trotz der lediglich 50’000 EinwohnerInnen gibt es hier besetzte Häuser, ein autonomes Jugendzentrum mit mehr als vierzigjähriger Geschichte, den „Chat Noir“ als einer der ganz wenigen anarchistischen Infoläden in der Schweiz, eine selbstverwaltete Gassenküche mit täglichen warmen Mahlzeiten, eine autonome Druckerei… Darüber hinaus ist die Stadt dank ihrer günstigen geographischen Lage schon seit langem beliebter Treffpunkt für Anarch@s aus dem ganzen Land. Kurz und bündig: Ein idealer Ort für eine libertäre Buchmesse!

Was geboten wird
Die Buchmesse findet am Samstag, 15., und Sonntag, 16. Mai 2010 im Farelsaal statt. In Winterthur waren gut 30 AnbieterInnen anarchistischer Medien anwesend, dieses Mal hoffen wir noch auf einige mehr. Eine laufend erweiterte Liste der Teilnehmenden findest du auf unserer Homepage. Zudem besteht an verschiedenen Orten in Biel/Bienne Platz für weitere Veranstaltungen: Austellungen, Diskussionsrunden, Filmvorführungen, Kleinkunst, Lesungen, Podiumsgespräche, Referate, Workshops,… Ein Teil davon wird von uns organisiert, wir sind aber auch auf die Eigeninitiative von BesucherInnen angewiesen. Wenn du eine Idee hast, melde dich doch bitte. Das vollständige Programm wird Anfang April veröffentlicht werden. Schliesslich wird es am Samstagabend im „Gaskessel“ ein Konzert geben.

Was ist eine libertäre Buchmesse?
Anfang der 1980er-Jahre entstand bei ein paar Londoner AnarchistInnen unter dem Eindruck einer sozialistisch genannten, doch stinklangweiligen, teuren und von vielen grossen Verlagshäusern frequentierten Buchmesse der Wunsch, einen eigenen solchen Anlass durchzuführen. Das Attribut „anarchistisch“ oder „libertär“ in der rasch auf die Beine gestellten „Anarchist Bookfair“ bezog sich einerseits auf die angebotenen Verlagsprogramme und anderseits auf eine bestimmte Auffassung, wie der Anlass auszusehen habe. Es ging nicht nur darum, möglichst viele Bücher zu verkaufen und viele Menschen für den Anarchismus zu interessieren, sondern auch darum, eine Plattform für AktivistInnen und eine Vielfalt an weiteren kulturellen Veranstaltungen zu bieten. Spezifisch anarchistische Auffassungen, die viel Wert auf die individuelle Freiheit legen, sollten zudem an der Buchmesse gelebt werden: Rassismus, Sexismus, Homophobie usw. hatten am Anlass nichts verloren, dagegen wurde viel Wert auf die „do-it-yourself“-Haltung von BesucherInnen und AnbieterInnen, Solidarität und Strukturen zur basisdemokratischen Entscheidungsfindung gelegt.
Der „Anarchist Bookfair“ war das erste Mal kein Glück beschieden: Gerade einmal ein halbes Dutzend AnbieterInnen nahmen an dem Anlass teil, und nachdem sich kaum eine BesucherIn blicken liess, entschieden sich die Anwesenden kurzum, aus der Buchmesse ein Pool-Turnier zu machen. Doch der Enthusiasmus blieb, und der Anlass wurde Jahr für Jahr prominenter, konnte mehr libertäre Verlage und Interessierte anziehen und grössere Veranstaltungen durchführen. Die Buchmesse wurde im Laufe der Jahre so beliebt, dass sie dieses Jahr bereits zum 28. Mal durchgeführt wird. Ganz unbescheiden meinen die Veranstalterinnen und Veranstalter denn auch, dass sie der grösste und wichtigste regelmässig stattfindende anarchistische Anlass der Welt sei. Die Zahlen sind tatsächlich auch ziemlich eindrücklich: 100 Bücherstände, 40 Veranstaltungen und rund 3000 BesucherInnen – und das jeweils an nur einem Messetag. Doch längstens ist die „Anarchist Bookfair“ nicht mehr die einzige ihrer Art, so dass ihre Organisatorinnen und Organisatoren dazu übergegangen sind, die Betonung auf „von London“ zu legen. Alleine in Grossbritannien sind im Laufe der letzten Jahre zahlreiche anarchistische Buchmessen begründet worden. In Kanada und in den USA hat mensch als literarisch interessierteR AnarchistIn schon fast die Qual der Wahl – zwischen Frühling und Herbst gibt es kaum ein Wochenende, an dem nicht irgendwo eine libertäre Buchmesse stattfindet. Auch in Lateinamerika, wo anarchistische Buchläden und Bibliotheken eine lange Tradition haben, gab es in den vergangenen Jahren einige Versuche, so zum Beispiel in Monterrey (Mexiko) und São Paulo (Brasilien).
Schliesslich tut sich auch auf dem Europäischen Festland in den letzten Jahren einiges in dieser Sache: Seit 2003 findet alle paar Jahre die „Balkan Anarchist Bookfair“ statt (2003 in Ljubljana (Slowenien), 2005 in Zagreb (Kroatien), 2008 in Sofia (Bulgarien); ebenfalls in Osteuropa gibt es seit 2006 die jährlich stattfindende „Anarhistički sajam knjiga“ in Zagreb und eine anarchistische Buchmesse in Poznan (Polen). In Westeuropa fallen vor allem die Spanischen Genossinnen und Genossen auf, die in verschiedenen Städten (Barcelona, Bilbao, Madrid, Valencia) regelmässig stattfindende „ferias del libro anarquista“ durchführen. Aber auch in Paris, Gent, Florenz, Lisabon und Dublin, gab es in den letzten Jahren entsprechende Anlässe. Die Konzepte haben sich über die Jahre kaum geändert, wenn sich auch die Programme massiv ausgeweitet haben: Viele der Anlässe sind heute Buchmessen, Kulturtage, Kleinkunstbühnen, Vortragsreihen, Filmzyklen und Begegnungsräume in einem.



2. Bericht (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2010/05/75901.shtml)
Am Wochenende vom 15.-16. Mai fand in Biel/Bienne – zum zweiten Mal in der Schweiz – eine anarchistische Buchmesse statt.
Einige der Besucher_innen machten es sich schon am Donnerstag abend im Bistro im besetzten Haus LaBiu gemütlich.

Am Freitag abend machte ebenfalls im LaBiu ein Poetryslam namens „Literattentat“ den Auftakt für die diesjährige Buchmesse. Da mensch sich nicht anmelden musste, um daran teilzunehmen, waren alle gespannt, ob den auch wirklich jemensch auftreten würde.. Melancholisch, kämpferisch, nachdenklich und freudig präsentierten über 20 Aktivist_innen und Künstler_innen gute zwei Stunden lang ihre französischen, deutschen und schweizerdeutschen Texte. Die Stimmung war – nicht zuletzt aufgrund der amüsanten Moderation eines Genfer Genossen – sehr ausgelassen. Nach dem Poetryslam spielten La Dernière Mesure (HipHop, Paris) und La k-trième dimension (HipHop, Genève) und sorgten für die angemessene Partystimmung.

Am Samstag um 10:00h gings dann los. Über 30 Aussteller_innen präsentierten auf ihren Büchertischen im Farelsaal anarchistische Theorie und Literatur. Im Gegensatz zur letzten Buchmesse waren dieses Jahr vorallem die französischsprachigen Verlage sehr gut vertreten – was nicht zuletzt daran lag, dass Biel/Bienne die grösste zweisprachige Stadt der Schweiz ist.

Am Samstag und Sonntag fanden diverse Vorträge, Lesungen und Workshops statt. Einige davon wurden auch aufgezeichnet.
Leider tauchten diverse Leute aus Deutschland, welche eine Veranstaltung angekündigt haben, nicht auf. So sass am Samstag ein gespanntes Publikum drei Mal vergebens in der Villa Fantasie und wartete auf die Referenten.. Als beim Vortrag zu Hausbesetzungen der Referent ebenfalls nicht erschien, behalf sich das Publikum kurzerhand selbst: Besetzer_innen aus verschiedenen Schweizer Städten tauschten sich über ihre Erfahrungen aus und standen dem vorallem jungen Publikum Red und Antwort zu diversen Fragen rund um die Praxis des Hausbesetzens.

Am Samstag Nachmittag versammelten sich auf dem Place Central, wo dieses Wochenende auch der alljährlicher Bieler Bauernmarkt stattfand, Aktivist_innen und Punks und veranstalteten zu Musik und Bier ein Punkerpicknick. Um 15:00h kamen noch weitere Menschen dazu und gemeinsam spazierten sie lautstark zum Knast, wo Genossin Silvia seit mehreren Tagen eingesperrt ist. Tutti liberi!

Am Abend – nach einer leckeren veganen VoKü und einer kurzen Schickane durch die Bieler Stapo, welche unsere Genoss_innen aus Freiburg vom Platz verweisen wollte – gings dann im Gaskessel/Coupole weiter mit einem Konzert mit Berlinska Dròha (Folk-Punk, Berlin), Fred Alpi (Rock Libertaire, Paris) und Traktorkestar (Balkan-Folk, Bern).

Das Camp, welches den Gästen auf einer Wiese neben dem Gaskessel/Coupole ermöglichte ihr Zelt aufzuschlagen, wurde wegen schlechtem Wetter nicht wirklich genutzt – es konnten aber alle Besucher_innen in diversen Häusern in Biel untergebracht werden. Squat on, Bienne!

Nach einer durchzechten Nacht gabs am Sonntag dann nochmals diverse Lesungen und drei Vorträge zu Anarchosyndikalismus. Um 14:00 gab der der anarchistische Chor Le Choeur Mixte Libre Intercommunal „L’émeute enchantée“ ein Ständchen zum besten und um 15:00 gabs nochmals einen Knastspaziergang für die drei Verhafteten Genoss_innen aus Italien. Gegen 19:00 wurde der Farelsaal aufgeräumt, und die übrig gebliebenen Gäste begaben sich auf ein letztes Bier ins LaBiu, wo um 22:00 zum Abschluss noch der Film „Dalle Alpi Apuane“ gezeigt wurde. Danach plumpste ich müde aber glücklich ins Bett.

Mit rund 400 Besucher_innen war die diesjährige Buchmesse ein voller Erfolg. Danke euch allen für das schöne, interessante und kämpferische Wochenende!

3. Bilder (Originalquelle: http://ch.indymedia.org/de/2010/05/75901.shtml)