2020,  Asyl/Migration,  Demo,  Türkei & Rojava

Kundgebung Überreichung Pressemitteilung Tod Sezgin Dağ

Inhalt:
1. Aufruf
2. Communiqué
3. Medienbericht


1. Aufruf (Originalquelle: )
AN DIE PRESSE, ÖFFENTLICHKEIT UND ZUSTÄNDIGE BEHÖRDE
DER TOD VON SEZGIN DAĞ MUSS AUFGEKLÄRT WERDEN.
DIE VERANTWORTLICHEN MÜSSEN VOR DEM GESETZ ZUR RECHENSCHAFT GEZOGEN WERDEN

Sezgin Dağ, der sich im Asylzentrum an der Grenzstrasse 17, 3250 Lyss als Asylsuchende aufhielt, hatte Herzinfarkt am 13. Dezember 2020 in dem Asylzentrum und wurde mit einem Taxi allein zum Spital gesendet. Er ist um etwa 00.20 Uhr in diesem Taxi gestorben.

8 Stunden vor seinem Tod war er im Krankenhaus in Aarberg wegen der Störung seines Gesundheitszustandes, aber er wurde zurück ins Lager geschickt, mit der Begründung, es gäbe kein wichtiges Problem.

Wir denken, dass dieser Tod mit dem Wert zusammenhängt, der einem Flüchtling und einem Ausländer gegeben wird, und generell mit dem Schweizer Gesundheitssystem, in dem Arbeiter und Menschen mit niedrigem Einkommen schikaniert werden.

Wir laden Sie zu unserer Pressemitteilung zu diesem Thema ein.

DATUM : 21. Dezember 2020
UHR : 13.30 -14.15
ORT : Quellenweg 6, 3003 Wabern – Bern (Vor SEM)

FAMILIE DAĞ – İGİF – FEDA, IDGB, CDK-S –
ROTA-MIGRANTISCHE SELBSTORGANISATION – SYKP
VEREIN FÜR MENSCHENRECHT UND SOLIDARITÄT IN DER SCHWEIZ


2. Communiqué (Originalquelle: https://www.facebook.com/migrantsolidaritynetwork/posts/691251821588484)
DIE MEDIENMITTEILUNG ÜBER SEZGIN DAĞ WURDE AM 21. DEZEMBER 2020 IN BERN, VOR DEM STAATSSEKRETARIAT FÜR MIGRATION (SEM) DURCHGEFÜHRT.
Die Pressemitteilung über den kurdischen Flüchtling Sezgin Dağ (41), der sich in einem Berner Asylzentrum aufhielt und am 13. November 2020 in einem Taxi auf dem Weg ins Spital an einem Herzinfarkt starb, wurde am 21. Dezember 2020 in Bern vor dem Staatssekretariat für Migration gemacht.
16 Organisationen unterzeichneten die Pressemitteilung und mehr als 60 Personen nahmen an der Veranstaltung teil.
Nach dem Ereignis wurde ein Treffen mit einer SEM-Beamtin vereinbart und es wurde um eine effektive Untersuchung und Aufdeckung der Verantwortlichen gebeten.
Der Beamtin des SEM, die ihr Bedauern ausdrückte und sagte, dass es ein tragisches Ereignis war, versprach eine echte Untersuchung.
Die Organisationen und Freunde, Verwandte von Sezgin Dağ, die an der Pressemitteilung teilnahmen, erklärten, dass sie den Fall für die Gerechtigkeit und zur Verhinderung des Todes neuer Sezgins verfolgen werden.

Sie können die Pressemitteilung unten lesen.
AN DIE PRESSE, DIE ÖFFENTLICHKEIT UND DEN ZUSTÄNDIGEN BEHÖRDEN !!
DER TOD VON SEZGIN DAĞ MUSS AUFGEKLÄRT UND DIE VERANTWORTLICHEN MÜSSEN ZUR RECHENSCHAFT GEZOGEN WERDEN
Wir sind der Meinung, dass der Tod von Sezgin Dağ der sich bis zum 13. November 2020 sich im Asylzentrum an der Grenzstrasse 17 in 3250 Lyss aufhielt, eine Verletzung des Rechts auf Leben darstellt und wir wollen, dass die Verantwortlichen vor dem Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden.
Sezgin Dağ war für seine politische und oppositionelle Identität bekannt. In der Türkei war er ein aktives Mitglied in der ESP (Sozialistische Partei der Unterdrückten), der HDP (Demokratische Partei der Völker) und der IGIF (Föderation der Immigrierten Arbeiter in der Schweiz). Als politischer Flüchtling hatte er ein Ayslgesuch in der Schweiz gestellt.
Sezgin Dağ war auch ein Überlebender des Terroranschlags von Suruç. Dieser Anschlag fand am 20. Juli 2015 in der türkischen Grenzstadt Suruç statt. Bei dem ein Selbstmordattentäter, der Dschihadistenmiliz IS (Islamischer Staat) 33 junge Menschen getötet und mehr als 100 verletzt hatte. Sezgin Dağ war einer der schwer verletzten Opfer. Dieser Terroranschlag richtete sich gegen eine Versammlung von etwa 300 kurdischen und linksgerichteten jungen Menschen, die von Suruç aus über die nur zehn Kilometer entfernte syrische Grenze zur Kurdenstadt Kobane ziehen wollten, um dort beim Wiederaufbau zu helfen und Hilfsgüter zu bringen. Kobane wurde jahrelang von der Dschihadistenmiliz IS belagert und zerstört. Sezgin Dağ wurde nach dem Angriff jahrelang medizinisch betreut und trug bis zu seinem Tode die Splitterstücke des Bombenangriffs in seinem Körper.
Beim Ayslgesuch in der Schweiz erklärt er, den zuständigen Behörden, nicht nur die über ihn zur Vollstreckung ausgesetzten politischen Verurteilungen, er erklärte auch seinen kritischen Gesundheitszustand. Da er nicht nur mit den Splitterstücken in seinem Körper zu kämpfen hatte, sondern auch unter seiner Koronaren Herzkrankheit litt. In der Türkei hatte Sezgin einen Myokardinfarkt erlitten, nach der Genesung wurde ihm ein Stent gesetzt.
Er bat die Behörden in der Schweiz um eine angemessene Behandlung für seinen kritischen Gesundheitszustand. Er bat um das Recht auf Leben und Gesundheit.
Wir haben ernsthafte Zweifel, ob Sezgin eine angemessene medizinische Versorgung für seinen sensiblen Gesundheitszustand erhalten hat.
Es gibt offensichtliche Verstösse und Nachlässigkeiten, die zu seinem Tod geführt haben. Diese müssen untersucht und in den Ermittlungsverfahren miteinbezogen werden.
Begründung:
Am 12. November 2020 begab sich Sezgin Dağ gegen 16.00 Uhr ins Spital Aarberg in der Lyss-Strasse 31, 3270 Aarberg, dass zur Insel-Gruppe gehört, mit den Beschwerden über Taubheitsgefühle im Arm und am Kiefer sowie Sodbrennen, Schmerzen im Hals und Magen. Diese Symptomatik hatte er auch beim Myokardinfarkt in der Türkei.
Nach unseren Recherchen, wurde ein Blutbild erstellt und eine Röntgenaufnahme durchgeführt.
Die Diagnose des behandelnden Arztes lautete Magenverstimmung und Herzrhythmusstörungen wegen des zuvor getrunkenen Energiegetränks.
Der Arzt verschrieb ein Dafalgan-Schmerzmittel und ein weiteres Medikament gegen sein Sodbrennen.
Sezgin wurde mit dieser Diagnostik und den Medikamenten ins Asylzentrum zurück geschickt.
Im Verlauf des Tages verschlechterte sich sein Zustand immer mehr. Seine Freunde haben den Verantwortlichen im Asylzentrum bedeutend über den Gesundheitszustand gewarnt.
Gegen 22.00 Uhr wurde es sehr kritisch und lebensbedrohlich für Sezgin. Nach Zeugenaussagen, hatte er Schaum vor dem Mund und weinte. Er umarmte sich selbst, schrie „Mein Herz, mein Herz!“ und verkrampfte zeitweise.
In dieser kritischen und lebensbedrohlichen Situation bestellte der verantwortliche Mitarbeiter des Asylzentrums einen Taxi, anstatt eines Krankenwagens. Sezgin Dağ wurde, ohne Begleitung, alleine mit einem Taxi ins Spital Aarberg gefahren. Laut Aussage der leitenden Kommissarin ist er am 13. November 2020 um ca. 00.20 Uhr in diesem Taxi verstorben.
Wir wollen, dass die medizinische Versorgung von Sezgin Dağ ab dem Ayslgesuch bis zu seinem Tode; vor allem die Untersuchungsbefunde sowie die Behandlungen vom 12. November 2020 im Spital Aarberg und insbesondere muss das Management des Asylzentrums für seine Unverantwortlichkeit, die es vorzieht, in solch einer kritischen und lebensbedrohlichen Situation ein Taxi statt eines Krankenwagens zu rufen, vor dem Gesetz Rechenschaft ablegen und die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen offenlegt.
Die mangelnden Kontrollen der staatlichen Institutionen in den privatisierten Asylzentren führt zu solchen Ereignissen.
Es ist unverantwortlich und wir empfinden es als Diskriminierung gegenüber allen Flüchtlingen, dass die autorisierte Firma ORS ihre Mitarbeiter nicht anweist, in solchen lebensbedrohlichen Situationen einen Krankenwagen zu rufen.
Dies zeigt uns, dass der Profit des Managements vordergründiger ist, als ein Menschenleben.
Die überhöhten Kosten für die Ambulanzdienste sind ebenfalls ein wichtiger Mangel des schweizerischen Gesundheitssystems.
Wir sind traurig unseren Sohn, Bruder, Cousin und Freund verloren zu haben.
Die Verantwortlichen sowie das System, die für den tragischen Tod eine Mitschuld tragen, müssen in Frage gestellt werden.
Alle notwendigen rechtlichen Schritte müssen eingeleitet und um den Tod von weiteren Sezgins zu verhindern, müssen die notwendigen Vorkehrungen bedingungslos und dringend getroffen werden.
FAMILIE DAĞ & KAPLANGİL – İGİF – SKB – FEDA – CDK-S – SYKP – İTİF
ROTA-MIGRANTISCHE SELBSTORGANISATION – VERMESS
Linke PoC/Migrantifa – PangeaKolektif
Migrant Solidarity Network
Revolutionäre Front, Violett-Rot-Kollektiv – ATİK – İTİF – KKP – KUTÜSCH


3. Medienbericht (Originalquelle: https://www.20min.ch/story/asylsuchender-stirbt-im-taxi-familie-erhebt-vorwuerfe-421065649943)
Asylsuchender stirbt im Taxi – Familie erhebt Vorwürfe
Nach dem Tod des 41-jährigen Sezgin Dağ, der bis zu seinem Tod im November im Bundesasylzentrum in Lyss untergebracht war, werden die Behörden beschuldigt, falsch gehandelt zu haben. Das SEM weist die Vorwürfe zurück, bei der Staatsanwaltschaft liegt die Akte aber noch offen.

Am Montagnachmittag kam es vor dem Hauptgebäude des Staatssekretariats für Migration (SEM) in Wabern bei Bern zu einer Versammlung einer Gruppe Trauernder. Mit Kerzen, Fahnen und Plakaten machten die rund 30 anwesenden Personen gemeinsam auf einen noch ungeklärten Todesfall, der sich vor wenigen Wochen in einem Taxi in Lyss BE ereignete, aufmerksam.
Gemeinsam forderten die Anwesenden die Behörden auf, den Tod ihres Bruders, Freundes und Bekannten – Sezgin Dağ (41) – restlos aufzuklären. Und vor allem auch «die Verantwortlichen vor dem Gesetz zur Rechenschaft zu ziehen».

Für die Hinterbliebenen ist nämlich klar: Der 41-Jährige, der als Asylsuchender im Bundesasylzentrum in Lyss untergebracht gewesen war, hätte in der Nacht auf den 13. November eigentlich nicht sterben müssen. «Wir haben ernsthafte Zweifel, ob Sezgin eine angemessene medizinische Versorgung für seinen sensiblen Gesundheitszustand erhalten hat», sagen seine Angehörigen und deren Unterstützer gegenüber 20 Minuten.

Doch was ist in den Stunden vor dem Tod passiert? Sowohl die Angehörigen wie auch das SEM bestätigen, dass Sezgin Dağ am Vortag wegen gesundheitlicher Probleme das Spital Aarberg aufgesucht hatte. Dağ, der seit 2015 aufgrund eines IS-Bombenanschlages in der Türkei Splitterstücke im Körper hatte, klagte über Taubheitsgefühle in Arm und Kiefer, über Sodbrennen und Hals- und Bauchschmerzen.

Vorwurf: Das Taxi gerufen, statt die Ambulanz alarmiert
«Die Diagnose des behandelnden Arztes lautete Magenverstimmung und Herzrhythmusstörungen wegen des zuvor getrunkenen Energiegetränkes», teilen Dağs Angehörige jetzt mit. Man habe ihm deswegen ein Dafalgan verschrieben und ihn wieder zurück ins Asylzentrum geschickt. Auch das SEM bestätigt, dass Sezgin Dağ noch gleichentags ins Asylzentrum nach Lyss zurückkehrte. «Während der Nacht wurde Meldung gemacht, dass der Bewohner erneut gesundheitliche Probleme habe», rapportiert SEM-Sprecherin Emmanuelle Jaquet von Sury. «Daraufhin wurde ein erneuter Spital-Transport organisiert», so die Sprecherin weiter.

Von einem «Spital-Transport» könne hier nicht wirklich die Rede sein, kritisieren die Hinterbliebenen: «In dieser kritischen und lebensbedrohlichen Situation bestellte der verantwortliche Mitarbeiter des Asylzentrums ein Taxi anstatt eines Krankenwagens.» Alleine hätte man ihn so zurück ins Spital geschickt. Im Spital kam der 41-Jährige aber nie an: Noch während der Fahrt, um circa 0.20 Uhr, verstarb Sezgin Dağ im Taxi.

Auf Nachfrage von 20 Minuten bestätigt das SEM schliesslich, dass es sich beim «Spital-Transport» um ein Taxi gehandelt hatte. Doch die Vorwürfe der Angehörigen weist die Bundesbehörde zurück; ergänzend teilt das SEM mit: «Analog einer in der Schweiz wohnhaften Person wird situativ entschieden, ob ein Taxi oder die Ambulanz gerufen wird. In diesem Fall wurde aufgrund der Vorgeschichte (wurde Stunden zuvor im Spital abgeklärt und aufgrund keiner auffälligen Ereignisse wieder ins BAZ zurückgeschickt) die Situation gleich eingeschätzt wie am Nachmittag und darum keine Ambulanz gerufen.»

Staatsanwaltschaft untersucht den Todesfall
Anschliessend seien die Vorkommnisse untersucht worden. Ebenso werde geprüft, inwiefern Verbesserungsmassnahmen angezeigt und möglich sind. «Der Vorfall wurde dokumentiert und an die zuständigen Stellen im SEM rapportiert. Es wurde festgestellt, dass sich das Personal korrekt verhalten hat», teilt die Sprecherin mit. Man bedaure den Tod und spreche den Angehörigen Mitgefühl aus.

Während der Fall beim SEM abgeschlossen zu sein scheint, liegt bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern eine Akte in Sachen «Sezgin Dağ» noch offen. Die Sache wird derzeit als sogenannter ausserordentlicher Todesfall (agT) behandelt. «Die Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland hat eine Legalinspektion des Leichnams durch das Rechtsmedizinische Institut (RMI) angeordnet, um festzustellen, was genau zu dessen Tod geführt hat», teilt Markus Scholl, der stellvertretende Informationschef der Justizbehörde, mit. Die Resultate der Autopsie und zusätzlichen Untersuchungen liegen noch nicht vor. «Es wird aktuell gegen niemanden ermittelt», so Scholl.