Bundesgericht Streichung Polizeigesetzartikel
Inhalt:
1. Medienbericht
1. Medienbericht (Originalquelle: https://www.derbund.ch/bundesgericht-hebt-berner-polizeigesetz-teilweise-auf-529048684275)
Das Bundesgericht hebt die «Lex Fahrende» des reviderten Berner Polizeigesetzes auf. Die umstrittene Kostenüberwälzung auf Demonstranten bleibt jedoch bestehen.
Die «Lex Fahrende», der Artikel zum Einsatz von GPS-Geräten für die Observation und die zwingende Verbindung einer Wegweisung mit einer Strafdrohung werden aus dem Berner Polizeigesetz gestrichen. Sie verstossen gegen die Verfassung, hat das Bundesgericht am Mittwoch in einer öffentlichen Beratung entschieden.
Insgesamt werden somit vier Artikel des totalrevidierten Berner Polizeigesetzes aufgehoben. Die Beschwerde von 19 Organisationen und zwei Privatpersonen wurde damit teilweise gutgeheissen.
Gestrichen wurden zwei Artikel, die geschaffen wurden, um Fahrende schnell wegweisen zu können, die sich ohne Bewilligung auf einem Platz installiert haben.
Im Wortlaut des Gesetzes werden die Fahrenden nicht explizit genannt, sondern es wird die Wendung «auf einem Grundstück campieren» verwendet. Die Entstehung der Bestimmung zeigt gemäss Bundesgericht jedoch klar, was die Absicht des Gesetzgebers war.
Dieser Artikel steht in Zusammenhang mit einem weiteren, der die Räumung vorsieht, wenn eine Wegweisung nicht innerhalb von 24 Stunden befolgt wird. Die entsprechende Weisung sollte schriftlich vor Ort erfolgten.
«Zuhause verlassen»
Sowohl bei schweizerischen als auch bei ausländischen Fahrenden erachtet das Bundesgericht diese zwei miteinander verbundenen Artikel als einen unverhältnismässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Betroffenen.
Verschiedene Richter führten aus, dass besonders Schweizer Fahrende sich meist längere Zeit an einem Ort blieben, dort zur Arbeit gingen und die Kinder die Schule im jeweiligen Dorf besuchten. Die 24-Stunden-Regelung würde bedeuten, dass innert dieser Frist ein Platz geräumt würde und «diese Leute ihr Zuhause aufgeben müssen».
Auch die zwingende Verbindung einer Wegweisung jeglicher Art mit einer Strafandrohung, wie sie das Strafgesetzbuch vorsieht, ist gemäss Bundesgericht nicht verhältnismässig. Dies hätte zur Folge, dass auch in leichten Fällen ein Strafverfahren eingeleitet würde.
Grosses Missbrauchspotential
Über das Ziel hinaus schiesst laut Bundesgericht sodann die Bestimmung, wonach die Polizei technische Überwachungsgeräte einsetzen kann, um in Echtzeit den Standort einer Person verfolgen zu können. Das Bundesgericht erachtet dies als einen nicht mehr leichten Eingriff in die Privatsphäre.
Problematisch daran ist jedoch, dass diese Überwachung ohne vorgängige Bewilligung und ohne Tatverdacht hätte erfolgen können. Die Strafverfolgungsbehörden hätten beim Einsatz solcher Mittel strengere Vorgaben erfüllen müssen.
Das Bundesgericht schliesst nicht aus, dass es zu einem Missbrauch beim Einsatz von solchen GPS-Geräten hätte kommen können.
Kostenüberwälzung zulässig
Unbestritten waren in der Diskussion der fünf Bundesrichter die Artikel zur Kostenüberwälzung auf Veranstalter oder Einzelpersonen, wenn es zu Gewaltanwendung kommt. Weil die Regelung verhältnismässig angewendet werden kann, verstösst sie nicht gegen die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit, so die Meinung des Bundesgerichts.
Fahrenden-Organisationen und Regierungsrat zufrieden
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) begrüsst den Entscheid zugunsten der Fahrenden: Das Berner Polizeigesetz hätte vorgesehen, dass Personen, die ein Grundstück ohne Erlaubnis des Eigentümers oder Besitzers als Halteplatz nutzen, ohne rechtliches Gehör und entsprechende Verfügung weggewiesen werden dürfen, heisst es in einer Stellungnahme. «Die Streichung der entsprechenden Artikel aus dem Berner Polizeigesetz ist ein wichtiger Schritt für die rechtliche Verankerung des Minderheitenschutzes in der Schweiz», schreibt die Gesellschaft für bedrohte Völker weiter. «Dies hat hoffentlich Signalwirkung für andere Kantone, welche ähnliche Bestimmungen planen.»
Auch der bernische Regierungsrat gibt sich in einer Mitteilung «erfreut». Das Urteil bedeute, dass das Polizeigesetz «grundsätzlich rechtskonform» sei. Der Regierungsrat zeigt sich insbesondere damit «zufrieden», dass die Möglichkeit der Kostenüberwältzung auf Demonstranten vor Bundesgericht Bestand hatte.
Im Bezug auf die «Lex Fahrende» hätten sich die rechtlichen Bedenken, die der Regierungsrat bereits in der Debatte im Parlament angebracht habe, bestätigt.
Volk stimmte 2019 zu
Seit Anfang Jahr gilt im Kanton Bern das revidierte Polizeigesetz. Das Volk hatte die Vorlage 2019 deutlich angenommen. Einzelne Artikel waren jedoch wegen der Beschwerden, über die das Bundesgericht jetzt entschieden hat, noch nicht in Kraft.