Transpis und Malereien auf der Schützenmatte
Inhalt:
1. Communiqué
2. Nachtrag
1. Communiqué (Originalquelle: https://barrikade.info/Freiraum-Schutzenmatte-433)
Die Parkplätze scheinen zwar wieder von Autos befahren und doch nicht mehr ganz so grau wie vorher: Der Boden ist mit Farbe bemalt, Transpis umhüllen den grossen Platz, Holzbauten versperren Zufahrtswege.
Schon fast gewöhnt haben wir uns an den Anblick der autofreien „Schütz“, voller Bars und Örtchen zum Verweilen. Mitgestalter*innen des „Neustadt Labs“ hatten – in ständiger Absprache mit der Stadt Bern – den Platz die letzten zwei Monate besiedelt, um kleine und grosse Projekte zu verwirklichen.
Definitiv gewohnt sind wir uns aber die Einöde des Parkplatzes, dessen ausschliesslicher Nutzen die restlichen zehn Monate des Jahres die Abstellmöglichkeit von Autos und grösseren Fahrzeugen darstellt.
Ungewohnt hingegen ist eine Schützenmatte, wie sie euch wohl heute morgen begegnet ist:
Die grauen Parkplätze scheinen zwar von Autos befahren und doch nicht mehr ganz so grau wie vorher: Der Boden ist mit Farbe bemahlt, Transpis umhüllen den grossen Platz, Holzbauten versperren Zufahrtswege.
Aber was ist dieser „Freiraum“, den die Transparente fordern? Eine solche Frage ist grundsätzlich schwierig zu beantworten, fasst dieser Begriff doch so unglaublich viele Bedürfnisse von Menschen zusammen.
Wir sind eine bunt zusammengewürfelte Gruppe junger Menschen. Wir sind Aktivist*innen, Kulturschaffende, Künstler*innen. Wir sind in verschiedenen politischen Zusammenhängen tätig, setzen uns aber alle für eine Stadt ein, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht und haben daher einige Anhaltspunkte formuliert, die wir mit „Freiräumen“ verbinden:
Unter Freiräumen verstehen wir Gefässe, in denen Schaffen ohne Leistungs- und Profitdruck möglich ist. Freiräume sollen frei von Konsumzwang, niederschwellig und diskriminierungsarm möglichst allen Menschen Zugang bieten. Wir fordern Räume, in denen wir selbstorganisiert, selbstbestimmt Verantwortung übernehmen können.
Dass die Schützenmatte (momentan noch) von Oktober bis August als regulärer Parkplatz genutzt unseren Vorstellungen eines Freiraums nicht entspricht, ergibt sich aus unseren Ausführungen. Aber auch die Platznutzung in der Art des Neustadt Labs entspricht nicht unseren Vorstellungen eines Freiraums. Solange ein öffentlicher Raum als Eigentum der Stadt betrachtet wird, Bewilligungen eingeholt, Auflagen eingehalten werden müssen, sonst Bussen anfallen, kann kein freier Raum entstehen. Zudem haben rückblickend auf die letzten Jahre die kommerziellen Betriebe vermehrt Platz eingenommen, viele der kulturellen Gefässe wurden vermindert, was den partizipativen Charakter des Neustadt Labs massiv einschränkte. Was blieb, war ein Raum, der hauptsächlich auf den Konsum ausgerichtet war.
Die Schützenmatte ist nur ein Beispiel für Räume, die kommerzialisiert und reglementiert werden – in der Stadt Bern und weltweit. Wir haben uns heute diesen Raum genommen, um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und ein Zeichen zu setzen, damit nicht vergessen geht, dass die Diskussion um Freiräume auch nach und vielleicht gerade wegen einem Neustadtlab weitergeht. Es ist möglich kompromisslos Räume einzunehmen, lasst uns gemeinsam weiterhin dafür kämpfen. Auf der Schützenmatte, in Bern und überall!
#SupportYourLocalFreiraum
2. Nachtrag (Originalquelle: https://barrikade.info/Vom-Versuch-einen-Raum-mit-Denkanstossen-zu-fullen-434)
Vom Versuch, einen Raum mit Denkanstössen zu füllen
Letzte Nacht trug eine Gruppe von Menschen ihre Freiraumideen mit Transparenten, Bauten und Farbe auf die Schützenmatte in Bern.
Einige Gedanken dazu…
Die Stadt, Eigentümerin und Verwalterin dieser grossen Fläche, handelte rasch und entschlossen: Bereits eine halbe Stunde nach Bemalen des Bodens widmete sich ein Mensch mit orangener Leuchtweste und Hochdruckreinigungsfahrzeug dem Vorhaben, den Beton wieder grau, öde und „parkplatzfähig“ zu machen.
Auch die Transparente, deren Aufschriften unter anderem zum Hinterfragen von Eigentumsverhältnissen und zum Erkämpfen von Freiräumen aufriefen, wurden kurze Zeit später wieder der öffentlichen Plattform entzogen.
Heute Mittag ist der Platz wieder gefüllt mit Autos und Reisecars, fürs Bezahlen der Parkgebühr bildet sich schon eine Warteschlange.
Im ersten Moment (und auch im zweiten und im dritten) macht es wütend, zu sehen, wie rasch und unkompliziert es für Autoritäten funktionert, den ihnen geltenden Widerstand vom Tisch zu räumen. Und doch hätte es wohl alle überrascht, wenn es nicht so gewesen wäre.
Dies zeigt uns nur einmal mehr: Die Stadt toleriert Freiraumideen genau so lange, wie sie in ihr Konzept passen. Sie unterstützt die Ideen, solange sie bestehende Strukturen genügend wenig hinterfragen und solange sie ja nicht zu viele selbstbestimmte Gedanken in den Menschen auslösen, die dem Freiraum begegnen oder gar beginnen, das Gefäss mitgestalten zu wollen.
„Bald ist die Schützenmatte ja autofrei, da habt ihr euren Freiraum.“ Falsch. Die Schützenmatte wird a) in der nächsten Zeit nie ganz von Parkplätzen „befreit“ sein und b) würde sie auch dadurch nicht gleich zu einem Freiraum. Gerne verweise ich dazu noch einmal auf den obenstehenden Link.
Denn kleine Bars mit flachen internen Hierarchien bieten keine Freiräume, nur weil sie Fairtradeprodukte zu hohen Preisen verkaufen. Konsum wird nicht partizipativer, nur weil er uns in einem alternativen Ambiente serviert wird. Und für eine breite Palette an Menschen werden Räume kaum zugänglicher, nur weil sie optisch etwas weniger verschlossen aussehen.
Mensch wünsche sich darum kein alternatives Gewerbe auf der Schützenmatte, sondern einen Ort der Partizipation und der Selbstorganisation, deren Grundlage weder Kommerz noch Konsum sein muss!
Und so scheint es plötzlich auch nicht mehr, als wäre die Motivation der nächtlichen Aktion gewesen, die Schützenmatte in einem Schritt zu einem bunten, belebten Raum zu machen. Vielmehr hätte sie wohl ein Symbol des Denkanstosses sein sollen, quasi ein grosses Fragezeichen, mit dem sich jede*r von uns konfrontieren sollte: Was bedeuten Freiräume für uns und wie schaffen wir diese?
Also halten wir doch an diesem Fragezeichen fest, tragen es in Diskussionen mit unseren Freund*innen und in Debatten mit jenen, mit denen uns bisher nur wenig eint. Denn einen niederschwellig zugänglichen Freiraum, der die Partizipationsmöglichkeit aller voraussetzt, können wir unmöglich alleine erkämpfen.
Bis das Bunte, dem wir auf der Schütz begegnen, nicht mehr die neon-orangen Hochdruckreiniger sind. Und natürlich noch viel, viel länger!